FrontKulturDer Mammon siegt über die Kunst

Der Mammon siegt über die Kunst

Tristesse total: Die Kultur liegt corona-bedingt seit Monaten am Boden und jetzt bricht der Mammon auch noch der Tonhalle Maag das Genick. Sie wird zur Lichthalle Maag, eine Art Lichtmuseum mit immersiven, auf Lichteffekten basierenden Ausstellungen. 

Die virtuelle Realität ersetzt also in Zürich schon bald die reelle. Das in den höchsten Tönen gelobte kostbare Gut, die mit 10 Millionen erstellte Holzbox in den Gemäuern des ehemaligen Industriekomplexes Maag, welche das Tonhalleorchester während des Umbaus ihres Kronjuwels am See als Interimsstätte nutzte und immer breiteren Zuspruch fand, steht vor dem Aus.

Franz Welser-Möst, einst illustrer Chefdirigent am Opernhaus Zürich, lobte den Konzertsaal in den höchsten Tönen: „Die Halle ist ein Gottesgeschenk.“ Er hoffe nur, dass man ihn erhalten könne, denn das sei «eine Jahrhundertchance für Zürich». Auch Paavo Järvi, umjubelter neuer künstlerischer Hausherr der Tonhalle-Gesellschaft, schwärmte für die akustischen Bedingungen, die ihn beflügelten, ein erstes Projekt mit Tschaikowski-Tonträgern in Angriff zu nehmen. 

Zwischen zwei Lockdowns: Saisoneröffnung am 23. September 2020 / Foto © Alberto Venzago

Wenn man es jemandem zugetraut hätte, den Konzertsaal zu erhalten, dann dem früheren Finanzvorstand der Stadt Zürich und heutigen Präsidenten der Tonhalle-Gesellschaft, Martin Vollenwyder. Er weibelte von Pontius zu Pilatus, verhandelte mit musikaffinen Stiftungen und potenziell zahlungswilligen Firmen, doch den gordischen Knoten konnte auch er nicht durchtrennen.  So wie das Schauspielhaus mit dem Schiffbau eine vielseitig nutzbare, experimentelle Bühne erhielt, wären in der Maag-Box alternative Modelle, u.a. Auftritte des Zürcher Kammerorchesters, auch Jazz- und Pop-Konzerte oder Generalversammlungen denkbar gewesen, für die das Hallenstadion eine Schuhnummer zu gross ist.

Vom Kunstklang der Tonhalle zum Sound einer Lichthalle

Auch die Idee eines E-Musik-Zentrums, welches Bundesbern als Schirmherr gewährleisten sollte, scheiterte offenbar an einem schwer verdaulichen Anti-Zürich-Reflex. Die Stadt Zürich war zwar durchaus bereit, eine mögliche Trägerschaft finanziell zu unterstützen, aber Subventionen an einen Mischbetrieb wie mit der gewinnorientierten Maag Music & Arts AG konnte natürlich nicht in Frage kommen. Die Event-Firma gedenkt, die Balkone zu opfern und mit Eigenproduktionen künstlerische Lichtinstallationen zu zeigen, wie sie mit van Gogh, Hodler, Klee und Tutanchamun auch andernorts erfolgreich umgesetzt wurden. Ob dieses Provisorium nach 2023 der Abreissbirne trotzen wird, ist aber ungewiss.

Lichtinstallationen statt klassische Musik: Planstudie von der Maag Music & Arts AG

Die Immobilienfirma Swiss Prime Site (SPS), die hier bauen will, lässt sich nicht in die Karten schauen, ob sie den Vertrag mit der Maag Music & Arts AG auf 2023 nicht kündigen werde. Ein Abbruch wäre kein Sakrileg. Man lasse sich nicht von Emotionen leiten, liessen sich Vertreter der Renditen-Jäger etwas kaltschnäuzig verlauten. Gewinnmaximierung als allein selig machendes Prinzip? Kultur nur als Mittel zum Zweck?  Die Zwingli-Stadt zeigt wieder einmal knochentrocken, wie sie die Prioritäten setzt. Martin Vollenwyder, der als Präsident auch der privaten Trägerschaft der Eleonorenstiftung des Zürcher Kinderspitals vorsteht, meinte einst zum monetären Spiessrutenlauf, es sei leichter, Geldgebern das Herz für kranke Kinder zu erweichen als für die hehren Künste. Wie recht er hatte. 

Ob die sehnlich erwünschte Wiederaufnahme des Konzertbetriebs in der Tonhalle Maag vor Auszug in die sanierte Tonhalle am See im Herbst 2021 überhaupt noch möglich ist, wird der infektiöse Verlauf der Pandemie ganz allein bestimmen. Es ist ein schwarzer Tag für das kulturelle Zürich. Ernüchterung weicht der Hoffnung auf eine sinnstiftende Lösung, die sich die Finanzmetropole partout nicht leisten will. Schade.    

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