StartseiteMagazinKulturDer Geist ist tot, die Hülle auch

Der Geist ist tot, die Hülle auch

Die Kontroverse um die Erhaltung, Sanierung oder gar den Abriss des Zürcher Schauspielhauses schlägt hohe Wellen. Ein Blick zurück und in die Gegenwart zeigt, was aus dem einst bedeutendsten deutschsprachigen Theater geworden ist.

Die Diskussion um einen Neubau des Schauspielhauses beschäftigte Zürich schon in den 60er-Jahren. Der dänische Architkt Jørn Utzon sollte 1964 analog zu seinem Entwurf der Sydney Opera nichts Geringeres als ein Wahrzeichen aus dem Boden zaubern. „Die unbefriedigenden Verhältnisse des Schauspielhauses am Pfauen könne auch eine Renovation nicht lösen“, hiess es, ein Neubau müsse her. Man wollte Hauptbühne, Probebühnen und Werkstätten unter einem Dach vereinen und stellte sich ein «edel gestaltetes Bauwerk» vor, das «den hohen Anforderungen an die für Zürich wichtige und repräsentative Aufgabe eines Schauspielhauses entgegen kommt».

Jørn Utzon: das Modell der 60er-Jahre, Neubau Schauspielhaus Zürich 

Ein architektonischer Wurf sollte es werden. Das Jurymitglied Max Frisch forderte in seinem Exposé, dass der «erotischen Magie der leiblichen Anwesenheit» zuliebe eine grösstmögliche Nähe aller Zuschauer herzustellen sei. Aufgrund unabsehbarer Kostenüberschreitungen in Sidney bekam der Zürcher Stadtrat aber kalte Füsse und stoppte das Projekt nach siebenjähriger Planung. Vergessen geht, dass in dieser aufkeimenden Euphorie Architekt William Dunkel 1967 auch einen Neubau für das Stadttheater am See, heute Opernhaus,  konzipieren sollte. Zum Glück trotzte der 1891 erstellte Fellner und Helmer-Bau genauso dem Abriss wie das Schauspielhaus, das noch eine Weile vom einstigen Ruhm zehren konnte. 

Wenn Hoffnungen zu Erinnerungen werden

Wer den Spielplan der neuen Schauspielhaus-Intendanten Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann begutachtet, erliegt der Ernüchterung. Statt mit bedeutenden Autorennamen und Werken des Literaturkanons aufzuwarten, werden auf Teufel komm raus experimentelle Sandkastenspiele durchexerziert, die mehr eigener Beweihräucherung huldigen als der Pflege der abendländischen Kultur dienen.

Unter dem Titel «Theater hat immer mit dem Unvorhergesehenen zu tun», liess die Direktion zum Spielplan 2020/21 verlauten: «Das Modell der acht Hausregisseur*innen hat sich nicht nur bei der Gestaltung der vergangenen und der kommenden Saison bewährt, sondern auch bei der Bewältigung der mit der Corona-Krise entstandenen Herausforderungen, denen am Schauspielhaus Zürich mit reicher künstlerischer Experimentierfreude begegnet wurde. Für die künstlerische Leitung ist es daher weiter das zukunftsweisende Modell für ein Stadttheater auf der Höhe der Zeit, das sowohl das Kollektiv betont als auch wirkliche Diversität zulässt –was innerhalb des Betriebs ebenso spürbar ist, wie es sich nach aussen über die künstlerischen Handschriften abbildet.»

Die Multi-Kulti-Regietruppe:
Leonie Böhm, Alexander Giesche, Suna Gürler, Trajal Harrell, Yana Ross, Chirstopher Rüping, Nicolas Stemann, Wu Tsang

Regisseur*innen, zukunftsweisenden Modellen, dem Kollektiv und der Diversität wird das Wort geredet, wegweisende Dramatiker bzw. Autor*innen kommen kaum mehr vor. Das klassische Repertoire begnügt sich aktuell mit der Nennung von Dürrenmatts Welterfolg „Der Besuch der alten Dame“ zu seinem 100. Geburtstag. Wenn also Deutschlehrer*innen, wie das während Jahrzehnten zielführend praktiziert wurde, mit ihren Klassen literarische Bühnenwerke ansehen und als Vorbereitung auf die Matura oder die Berufsmaturität nutzen möchten, dann bleiben ihnen höchstens noch glaubhafte DVD-Einspielungen. Selbst wenn Dramen von Shakespeare, Lessing, Goethe, Schiller, Kleist, Brecht, Frisch oder Dürrenmatt gespielt werden, sind es meist Bearbeitungen narzisstischer Selbstdarsteller, die sich nur der Schatztruhe bedienen, um ihren sich rasch verflüchtigenden Ruhm zu mehren. Wie umwerfend originell sich die neuen Päpste am Pfauen verkaufen wollen, zeigt die läppische, neue Schreibweise des Theaters: Zauspielhaus Sürich!  Nein, das ist ist kein Schreibfehler, sondern bierernst. Ja, das Theater ist in der Krise – nicht nur in Zürich, weil die gesellschaftlichen Wertvorstellungen am Erodieren sind und wir einem globalisierten Zeitgeist frönen, der uns vor lauter Desorientierung nur noch dahin dümpeln lässt und in die Sackgasse führt.

Können Sie mir aus der jüngeren Garde einen Schauspieler nennen, der nur annähernd an die Gestalt von Bruno Ganz heranreichte? Haben Sie ihn in Goethes „Torquato Tasso“ mit Jutta Lampe und Edith Clever in der Inszenierung von Peter Stein erlebt ? Oder wie klingen Ihnen ein paar Namen der Schauspielhausblüte in der Erinnerung nach? Maria Becker und Therese Giehse, Annemarie Blanc und Liselotte Pulver, Agnes Fink und Elisabeth Bergner, Will Quadflieg und Ernst Ginsberg, Heinrich Gretler und Erwin Parker, Albert Bassermann und Kurt Horwitz, Wolfgang Langhoff und Walter Richter, Karl Paryla und Leonhard Steckel, Matthias Wiemann und Peter Brogle. Die Reihe liesse sich beliebig fortsetzen.

Erhalten oder abreissen? Das ist die Frage, die Zürich zurzeit pro und contra beschäftigt.

Die Schauspieler*innen werden heutzutage mit dem Durchlauferhitzer auf die Theaterbühnen geschwemmt. Sie brüllen ihre Rollen im Stakkato-Schnellsprechtempo in den Zuschauerraum und sind samt und sonders austauschbar. Aus den Augen, aus dem Sinn. Die Persönlichkeitsschulung war gestern, die Leere im Kopf nach dem Theaterbesuch ein Jammer.  

Wissen Sie auch noch von den geschichtsträchtigen Uraufführungen von Hauptmann, Wedekind, Horváth, Brecht, Frisch und Dürrenmatt, aber auch von Vaclav Havel, Thomas Hürlimann, Hansjörg Schneider, Botho Strauss, Elfriede Jelinek und Lukas Bärfuss? Barbara Freys „Nachtstück“ blieb als letzter Abgesang noch hängen, seither herrscht Rätselraten über Gegenwart und Zukunft des Hauses vor. Doch wo der Geist tot ist, lässt sich auch über die Hülle nicht mehr diskutieren. Die nostalgische Verklärung bringt keine schlüssige Antwort über Werterhaltung oder Abriss eines stolzen Kapitels Kulturgeschichte der Stadt Zürich.

Wie weiter trotz allem? Ein neues Theater macht nur Sinn, wenn gültige Sinnfragen die derzeitigen Worthülsen ersetzen, eine ‚conditio sine qua non‘ oder auf Deutsch: eine Bedingung, ohne die es nicht geht. Wie halten wir es mit diesen notwendigen Fragen?

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