FrontKulturSchreiben gegen Gewalt an Frauen

Schreiben gegen Gewalt an Frauen

Der Roman der südindischen Schriftstellerin Meena Kandasamy trägt den Titel «Schläge. Ein Porträt der Autorin als junge Ehefrau» und damit ist das Thema klar benannt: Es geht um Unterdrückung der Frauen und ihre Befreiung.

Die Handlung dieses Romans ist schnell erzählt: Eine junge Intellektuelle, die gerade ihren Universitätsabschluss gemacht hat, heiratet einen scheinbar fortschrittlichen Kommunisten, ebenfalls Akademiker, und zieht zu ihm nach Kerala. Ziemlich schnell muss die namenlose Erzählerin erkennen, dass ihr Ehemann zwar politisch auf der äussersten linken Seite steht, sich sogar als Revolutionär und Terrorist bezeichnet, seine junge Ehefrau jedoch wie in finstersten Zeiten unterdrückt, all ihre Kontakte zur Aussenwelt kappt, E-Mails in ihrem Namen, aber ohne ihr Wissen schreibt; kurz: er nimmt ihr jegliche Eigenständigkeit und will ihre Kreativität unterdrücken. Das kann ihm nicht gelingen, deshalb – der Titel sagt es schon – gibt es Schläge, er peinigt die junge Frau und vergewaltigt sie, nicht nur einmal, sondern unerträglich oft.

So weit, so schrecklich. Die Handlung spielt in Südindien, Meena Kandasamy stammt aus Tamil Nadu mit der Hauptstadt Chennai (früher Madras). Im durchschnittlich ärmeren Südindien sind die gesellschaftlichen Strukturen noch rückständiger als im Norden. Der Autorin geht es um diese Brüche. Sie will aufrütteln, die Lesenden aus dem bequemen Lesevergnügen herausreissen und ihre Aufmerksamkeit auf die Zustände des patriarchalischen Kastensystems lenken, das immer noch erlaubt, Frauen, Dalit («Kastenlose») oder ethnische Minderheiten unmenschlich zu behandeln.

Indien, die Rape Nation

Aufmerksame Zeitgenossen werden vernommen haben, dass in Indien häusliche Gewalt und insbesondere Vergewaltigungen noch immer schockierend häufig vorkommen und längst nicht immer juristisch geahndet werden. – In Europa lesen wir nur von schlimmen Einzelfällen. Die Dalit, denen ihre verfassungsmässig zustehenden Rechte oft immer noch nicht gewährt werden, sind eine Menschengruppe von mehr als 200 Millionen Menschen.

Dieser autofiktionale Roman könnte also ein schier unlesbares, vor Grausamkeit strotzendes Buch sein, wenn Kandasamy nicht eine so kluge, raffinierte Schriftstellerin wäre. Sie schreibt die Szenen, als wäre sie selbst nicht anwesend, sondern «nur» die Autorin: «Ich erinnere mich an den wesentlichen Punkt, eine Autorin zu sein. Eine Autorin ist jemand, die die Fäden in der Hand hält.» Indem sie das Geschehene beschreibt und auf ihre Art bearbeitet, verarbeitet sie die erlittenen Schmerzen und das Trauma. Das erlaubt es Kandasamy auch, die Seiten der Erzählerin ans Licht zu bringen, die in dieser Ehe unterdrückt werden, die aber die Persönlichkeit der jungen Frau ausmachen und die sie nicht verliert. Indem die Erzählerin alle Möglichkeiten auslotet, die Hoheit über sich selbst wiederzugewinnen, erstarkt sie innerlich und erreicht ihr Ziel. Sich als Opfer zu sehen, erlaubt sie sich nicht.

Eine starke Frau

Raffiniert beginnt die Autorin den Roman mit der Rückkehr der jungen Protagonistin zu ihren Eltern. Aus deren Sicht ist die Flucht der Tochter für die Familie eine Blamage. «Es ist ein Zeichen von Dummheit, Offensichtliches auszusprechen», lässt sie die Mutter sagen. Dann schreibt die Autorin: «Wenn sie die Geschichte meiner Flucht erzählt, spricht sie von meinen Füssen.» Äusserlichkeiten müssen dazu herhalten, die Tatsache der Gewalt zu verschleiern. Streckenweise wird Kandasamys Text zu einer messerscharfen Satire.

Meena Kandasamy  © Fotografin Teri Pengilley

Meena Kandasamy wurde 1984 in Chennai geboren. Ihr Vater stammte aus einer südindischen nomadischen Gemeinschaft, er war der erste, der das Gymnasium besuchte und Professor für tamilische Literatur wurde. Meenas Mutter stammt aus einer Kaste von Handwerkern und Tagelöhnern, also ebenfalls aus der untersten Kaste; sie unterrichtete an der Fakultät für Mathematik der Uni Madras und setzte sich für Dalit-Studentinnen ein. Meena Kandasamy promovierte in Angewandter Linguistik. Ihren ersten Gedichtband veröffentlichte sie mit 19 Jahren. Sie bezeichnet sich selbst als Feministin und Aktivistin. Ihre Werke zeugen von ihrem breiten Horizont: Der Untertitel dieses Buches spielt auf James Joyce’s frühestes Werk an; sie zitiert auch Elfriede Jellinek, Jacques Derrida oder J. M. Cotzee u.a.

Chudi Bürgi, langjährige Leiterin des artlink-Literaturklubs, schreibt über die Autorin: «Meena Kandasamy bin ich zuerst 2012 begegnet. Sie war eine Wucht, wenn sie auf der Bühne ihre Gedichte vortrug – schön, provokativ, einnehmend, gescheit. Sie wirkte zerbrechlich und zugleich stark, ein brillanter Geist mit präziser Sprache, in der sie schonungslos über Sexualität, verlogene Mythen und Gewalt gegenüber Frauen und ethnischen bzw. sozialen Minderheiten schrieb.»

Meena Kandasamy: Schläge. Ein Porträt der Autorin als junge Ehefrau.
Aus dem Englischen von Karen Gerwig.
CulturBooks, Hamburg 2020. 264 Seiten.
ISBN 978-3-95988-148-7

Dieses Buch ist in der Reihe «Der Andere Literaturklub» erschienen, einem seit 2008 bestehenden Projekt von artlink, Büro für Kulturkooperation. Ziel von artlink ist es, Kunstformen, Künstler und Künstlerinnen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa bekannt zu machen sowie die Arbeit der in die Schweiz eingewanderten Kulturschaffenden zu unterstützen. Dies als Ausdruck einer der Welt gegenüber offenen Schweiz, die in der interkulturellen Zusammenarbeit eine Chance wahrnimmt, eurozentristische Haltungen zu relativieren, den Respekt vor anderen Formen, Traditionen und Wertesystemen zu fördern und die Welt auch aus anderen Blickwinkeln zu betrachten.

Mehr zur Situation der Dalit: «Indien – gefangen in seinen Kasten», eine Sendung von Thomas Gutersohn in der Reihe «International» (Radio SRF2 Kultur).

Titelbild: «Warum tut er mir das an?» Gestellte Szene, entstanden im Rahmen einer Serie zum Thema Gewalt gegen Frauen. © Gabriele Remscheid  / pixelio.de

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