Unsere Hausgemeinschaft hat Zuwachs bekommen. Es sind offensichtlich fleissige und rührige Nachbarn, die momentan von früh bis spät damit beschäftigt sind, ihr Heim wohnlich einzurichten. Was da alles angeschleppt wird!
Aber wir wollen ja keine Vorurteile haben. Immerhin kommen sie stets sehr gepflegt daher, mit weisser Bluse, beziehungsweise Hemd und ansonsten elegant in Schwarz. Also da gibt es nichts auszusetzen. Eher ist es so, dass man sich in den eigenen Gartenklamotten – abgetragene, aber bequeme Jeans und irgendein T-Shirt – etwas underdressed vorkommt.
Und fleissig sind sie, die neue Nachbarn! Vom Morgen bis zum Abend sind sie unermüdlich tätig. Was auch verständlich ist, erwarten sie doch bald schon Nachwuchs. Ich nehme an, dass sie sich, sobald sie mit ihrer Wohnungseinrichtung durch sind, um unseren Garten kümmern werden. Und da vor allem den Schädlingen zu Leibe rücken.
Nachbarn verjagt man doch nicht!
Nur etwas stört ein wenig: Wir haben noch weitere Interessenten, die eine Wohnung auf unserem Grundstück beziehen möchten. Aber da sind unsere neuen Nachbarn unerbittlich. Wer sich auch nur in die Nähe wagt – und Nähe heisst ziemlich weit weg von ihrem Domizil – wird unerbittlich verjagt. Dafür lassen sie ihre Arbeit schnell mal liegen und gehen zum Angriff über. «Es hat doch für alle Platz!» möchte man da rufen, weiss aber, dass man ohnehin nicht angehört wird.
Eine andere Frage ist, wie sie mit dem Wetter zurecht kommen. Heute Montag zum Beispiel schneit es seit dem frühen Morgen wieder in dicken Flocken. Und ihr Heim hat doch weder Heizung noch Dach! Und ist auch noch unmöglich gelegen. Zuoberst auf einer Tanne, nur knapp unter dem Wipfel.
Elegant sind sie ja, aber auch ziemlich egoistisch. Sie dulden keine Nachbarn in ihrem Revier.
Wie sie, also die Elstern, es wohl aushalten, wenn es mal so tüchtig windet. Zumal die Tanne gegen Norden sehr exponiert steht. Ob da nicht der ganze Hausrat samt Kinderstube auf dem Parkplatz oder auf einem Autodach landen könnte? Hoffentlich nicht.
Dabei steht in unserem Garten eine sehr grosse, breit ausladende Buche. In ihren Astgabeln wäre so ein Elsterndaheim sicher besser aufgehoben. Im Moment vielleicht etwas ungeschützt, weil die Buche noch unbelaubt ist. Aber nein. Die Tanne musste es sein.
Für ihre Kinderstube müssen sich die Amseln wohl einen anderen Baum aussuchen. (pixabay)
Und die Amseln, die seit etwa zwei Wochen versuchen, in der Buche zu nisten, werden immer wieder verjagt. Ob die Elstern wohl eine Zweitwohnung planen, sollte es ihnen auf der Tanne zu eng werden?
Gesang kontra Fleiss
Man möchte die Amseln trösten und ihnen sagen, dass ein Gelege in der Nähe von Elstern ohnehin keine gute Idee wäre. Denn Elstern gelten als Nesträuber, die sich gerne mal (fremde) Eier zu Gemüte führen.
Die Amseln aber wehren sich auf ihre eigene, ungemein charmante Art: An schönen, warmen Abenden setzen sie sich ganz oben auf die Buche und singen ihr Abendlied. So schön und melodisch, dass alle innehalten und ihnen zuhören. Da können ihre geflügelten Nachbarn, so fleissig und rührig sie auch sind, nicht mithalten. Mit ihrem «tschack, tschack» lässt sich nun wirklich kein Blumentopf gewinnen.