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Das Schicksalsjahr

Das Buch «Ruthchen schläft» von Kerstin Campell beginnt mit dem Geburtstagskaffee für den 46jährigen Georg. Frau Lemke, 84 Jahre alt, ist die Gastgeberin. Als Georg acht Jahre alt gewesen war, hatte er zum ersten Mal bei Frau Lemke gefeiert, weil seine Eltern keine Zeit für ihn gehabt hatten. Schauplatz ist Berlin.

Der zweitletzte Satz des Buches lautet: «Er konnte sich nichts Besseres vorstellen, als seinen 47. Geburtstag hier in der Küche mit Frau Lemke und mit seinen Freunden zu feiern.» Das alte Haus, das Georg bewohnt, hat ihm sein Grossvater vererbt. Seine wichtigste Mieterin ist Frau Lemke-von Bülow. Dass Frau Lemke unverheiratet von Bülow hiess, vernehmen wir so nebenbei. Meist in Zusammenhang mit Ausführungen darüber, wie sie sich kleidet. Immer mit Stil. Das war sie sich schuldig!

Der Lauf der Dinge

Im Verlaufe dieses Jahres zwischen den zwei Geburtstagen lernen wir unzählige Menschen kennen, die in näherer oder fernerer Beziehung zu Frau Lemke oder Georg stehen. Wir tauchen ein in die Generation von Georg, den unlängst seine langjährige Freundin verlassen hat. Er selbst hat seinen Job beim Radio hingeschmissen, hat keine Karriere, keine Kinder, einen Freundeskreis, der über die Jahre in Kleinfamilien entschwunden war. Aber er hat das Haus, um das er sich kümmern muss. Wohnungen im Haus sind vermietet, die wichtigste Mieterin ist Frau Lemke.

Nebeneinander entfalten sich die beiden Leben, dasjenige der alten Dame und das des Mannes im mittleren Alter, der immer noch auf der Suche nach sich selbst ist. An diesen beiden Leben nehmen wir als Leserinnen und Leser teil. An den Herausforderungen, den Widrigkeiten, den Aufgaben, die jeden Tag zu bestehen sind. Es bleibt uns keine Wahl, als Teil der Geschehnisse zu werden. Die Autorin schreibt und beschreibt. Wir sehen, riechen und schmecken diese Welt. Menschen treffen sich, kommen zusammen, Kinder kommen zur Welt. Was ist ihre wirkliche Abstammung? Vieles ist klar, einiges ist unklar. Nicht, weil es wirklich unklar wäre, sondern weil nicht darüber gesprochen wird.

Nach New York

Grosses Bangen überfällt uns, wenn wir vernehmen, dass Wolfgang, der Sohn von Frau Lemke, seine Mutter nach New York holen will. Weil er sie bei sich haben möchte, jetzt, da sie älter wird. Die Mutter hat ihm mitgeteilt, dass Ruthchen, ihre Katze, zu alt sei für den Umzug. Wenn Ruthchen mal nicht mehr da sei, ziehe sie nach New York. Aber «noch lebt Ruthchen».

Doch schneller als erwartet, stirbt Ruthchen: «Der Tod hatte sich Ruthchen im Schlaf geschnappt, als er und Frau Lemke dachten, dass sie noch Zeit hätten, und Georg hoffte, dass New York bis in alle Ewigkeit aufgeschoben würde». Doch, «da sie beide den Tod nicht thematisiert hatten, war er auch nicht da, und deshalb sagte er: Ich glaube, Ruthchen muss zum Arzt». Damit war auch Frau Lemke einverstanden. Es ist aber nicht der Arzt, der die Fortsetzung der Geschichte bewirkt. Unerwartet und originell ist es der Tierpräparator, der zum Zuge kommt. Ruthchen kehrt zu Frau Lemke zurück, auf ihren Platz auf dem Sofa, und «schläft».

Wolfgang, der gleichsam «das Böse» verkörpert, ist zunächst stärker. Zu Hilfe kommt ihm ein Unfall: Frau Lemke fällt in ihrer Wohnung von einer Leiter, muss operiert werden, wird in ein Pflegeheim verlegt, in welchem sie es nicht aushält. Wolfgang räumt unterdessen ihre Wohnung, bereitet den Flug nach New York vor.

Georg, mit Caro, der Tierpräparatorin an seiner Seite, hält dagegen, ist aber, da «nur» ein Freund und nicht der Sohn, rechtlich machtlos. Geld schafft schliesslich die Wende. Denn Wolfgang, der klotzig auftretende Geschäftsmann, ist pleite. Das hat Georg via Internet herausgefunden. Nicht die Sorge um die Mutter, sondern die Möglichkeit des Zugangs zu ihrem Vermögen waren die treibenden Kräfte für seine plötzlich erwachende Sohnesliebe.

Die Beteiligten finden sich, eine Vereinbarung wird, unter Beizug von Anwälten, erarbeitet, unter Zeitdruck notabene, und unterschrieben. Wolfgang fliegt ab, Frau Lemke bleibt in Berlin, bald wird der 47. Geburtstag von Georg gefeiert. Der letzte Satz des Buches lautet: «Auf dem Sofa schlief Ruthchen, als wäre nichts geschehen.»

Die Autorin
Kerstin Campbell studierte Romanistik und Publizistik. Sie veröffentlichte Kurzgeschichten, moderierte bei einem Jugendradio, schrieb aus den Berliner Clubs und ist heute, nach einem beruflichen Aufenthalt in New York, Kulturredakteurin beim ZDF. Sie lebt mit ihrer Familie in dem Stadtteil Berlins, in dem ihr erster Roman «Ruthchen schläft» spielt.

Ich habe mir lange überlegt, wie es Kerstin Campbell fertigbringt, uns Teil dieses gewöhnlichen ungewöhnlichen Lebens uns zunächst unbekannter Menschen während eines Jahres werden zu lassen? Wir können uns ihrer eindringlichen, unterhaltsamen Erzählung nicht entziehen. Identifizieren uns mit dem Gebotenen, fiebern mit. Meine Generation kann sich in vielen Facetten der Persönlichkeit von Frau Lemke wieder erkennen. Und wir freuen uns, dass das anstrengende Jahr für die Beteiligten doch noch ein gutes Ende findet.

Kerstin Campbell: «Ruthchen schläft». 2021 Kampa Verlag AG, Zürich. ISBN 978 3 311 30005 2

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1 Kommentar

  1. Ismet Damgaci :Liebe Redaktion, erübrigen Sie sich bitte diese Bemerkung Sie wirkt nicht gerade original, zumal sie mehrfach genaeht wird.Ich lehne kategorisch ab, was sie jedesmal behaupten. Bitte etwas höflicher agieren.

    Das erinnert mich an meine Jahre bei der «Knabenmusik der Stadt Zürich» (siehe andere Kommentarseite)

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