StartseiteMagazinGesellschaftGute Betreuung – leichter gesagt als getan!

Gute Betreuung – leichter gesagt als getan!

Silvia Angst, Leiterin Fachstelle Alter in der Gemeinde Uster, beschäftigt sich seit Jahren damit, was gute Betreuung im Alter ist, was auf kommunaler Ebene gelingen kann und wo immer wieder Schwierigkeiten auftauchen.

Im Gespräch mit Beat Steiger unterhält sie sich über Handlungsfelder der guten Betreuung im Alter für Personen, die noch zuhause wohnen. Grundlage für unser Gespräch ist das kürzlich veröffentlichte Impulspapier Nr. 1 der Paul Schiller Stiftung*.

Frau Angst, bevor wir uns mit dem Thema der guten Betreuung im Alter befassen, eine Frage zur Corona-Situation. Wie hat das Virus Ihre Arbeit als Leiterin der Fachstelle Alter beeinflusst?

Silvia Angst: Das Corona-Jahr war für uns – wie für alle anderen – sehr aussergewöhnlich. Nach dem Lockdown im März 2020 haben sich die lokalen Organisationen im Altersbereich trotz der anspruchsvollen Situation intensiv bemüht, die Unterstützung älterer Menschen aufrecht zu erhalten. Es brauchte Zeit, bis klar war, wer was konkret anbieten konnte. Meine Aufgabe war, die Übersicht über die Hilfsangebote zu behalten, die ältere Bevölkerung über die Angebote zu informieren und Fragen von Ratsuchenden zu beantworten. Die Solidarität vieler Freiwilliger war gross. Die tägliche Herausforderung bestand darin, abzuschätzen, was in den jeweiligen Phasen ohne Ansteckungsgefahr möglich und erlaubt ist. Viele Angehörige haben in dieser Zeit aus Furcht vor einer Ansteckung die Betreuung ihrer Partner/innen oder Eltern vollständig übernommen und auf Unterstützung Externer verzichtet. Aber auch die direkte Nachbarschaftshilfe hat gut funktioniert.

Wenn wir das Thema Corona verlassen und übergehen zu allgemeinen Fragen guter Betreuung im Alter, dann stellen wir fest, dass die meisten Menschen erfreulicherweise bei guter Gesundheit in Pension gehen und zunächst keine Betreuung benötigen. Wie können Sie diese fitten Alten in der kommunalen Betreuungsarbeit einsetzen und zur Freiwilligenarbeit motivieren?

Die Förderung der Freiwilligenarbeit für den Altersbereich gehört zu meinen zentralen Aufgaben. Verschiedene Organisationen im Altersbereich sind auf freiwilliges Engagement angewiesen. Die ständige Suche nach Freiwilligen ist für sie eine grosse Herausforderung. Deshalb habe ich im letzten Herbst in Zusammenarbeit mit verschiedenen Organisationen eine Motivations-Veranstaltung für Pensionierte zwischen 65 und 70 Jahren durchgeführt. Der Saal war voll und mit dem gleichzeitig stattfindenden Online-Streaming erreichten wir über 300 Personen. Unsere Freiwilligenorganisationen wie Besuchsdienst, Fahr- und Mahlzeitendienst oder die Genossenschaft Zeitgut haben in der Folge Anmeldungen von Interessierten erhalten. Auf der Webseite der Stadt Uster können sich Interessierte zudem über die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten informieren. Sie können sich aber auch bei mir für ein persönliches Beratungsgespräch melden, was immer wieder mal vorkommt.

Die Betreuungsarbeit wird in der Anfangsphase von Beeinträchtigungen meistens von Angehörigen, Nachbar/innen und Freund/innen geleistet. Man könnte meinen, dass diese nahen Bezugspersonen die Bedürfnisse der Betreuungsbedürftigen am besten kennen, wissen, was guttut und wo der Schuh drückt. Ist es aber nicht auch so, dass diese Betreuenden aus dem nahen Umfeld auch gelegentlich Unterstützung oder Weiterbildung benötigen? Was können Angehörige tun, wenn sie mit der Betreuung ans Limit kommen? Wie kann die Fachstelle Alter da weiterhelfen?

Betreuen bedeutet, ältere Menschen bei der Lebensgestaltung im Alltag zu unterstützen. Am besten gelingt dies, wenn in einem Gespräch die Bedürfnisse und Wünsche aller Betroffenen offengelegt und gemeinsam eine passende Lösung gesucht wird. Solche Gespräche finden auch bei mir statt. Angehörige erkundigen sich bei mir auch häufig über zusätzliche Betreuungsdienste und wie sie diese organisieren können oder was diese kosten. Einige von ihnen kommen allerdings erst, wenn sie fast am Ende ihrer Kräfte sind. Ich kann ihnen dann Entlastungsmöglichkeiten vorstellen und sie auch direkt an die entsprechenden Organisationen weitervermitteln. Bei manchen gelingt es, dass sie weitere Unterstützung in Anspruch nehmen, bei anderen nicht. Die Lebenssituationen können sehr komplex und die Gründe, warum dann doch keine Hilfe in Anspruch genommen wird, sehr vielfältig sein.

Neben der informellen Betreuung von Personen aus dem nahen Umfeld kann man, wenn nötig, auch weitere Betreuungsangebote von professioneller Seite annehmen. Was wird in Uster von professioneller Seite angeboten und wie kann man als Betreuungsbedürftiger zum passenden Angebot gelangen und wer bezahlt dies?

In Uster stehen verschiedene ambulante Dienstleistungen für die Betreuung zur Verfügung. Zudem bieten die Pflegezentren von Uster zur Entlastung von betreuenden Angehörigen Ferienbetten oder auch Tagesaufenthalte an. Allerdings sind diese Angebote kostenpflichtig, deshalb werden die kostenlosen Betreuungsleistungen von Freiwilligen geschätzt. Für eine professionelle Betreuung muss man um die 60 Franken pro Stunde bezahlen, für ein Ferienbett in einem Pflegezentrum bezahlt man über 200 Franken pro Tag. Zur Finanzierung von Betreuungsleistungen kann die Hilflosenentschädigung beantragt werden. Diese ist abhängig vom Grad der Hilfsbedürftigkeit, aber unabhängig von Einkommen und Vermögen. Es gibt drei Stufen im Kanton Zürich, die unterste ist bei gut 200 Franken, die oberste bei gut 900 Franken pro Monat. Im Übrigen haben Menschen mit wenig finanziellen Ressourcen Anspruch auf Ergänzungsleistungen. Betroffenen fällt es oft schwer, Geld für die Alltagsgestaltung – wie zum Beispiel eine Begleitung zum Spaziergang oder zum Einkaufen – auszugeben. Eine grosse Herausforderung ist die Betreuung von Menschen mit Demenz. Diese Aufgabe ist sehr anspruchsvoll und herausfordernd sowohl für Angehörige als auch für Freiwillige.

Wenn wir die sechs Handlungsfelder aus dem Impulspapier der Paul Schiller Stiftung betrachten, gibt es in jedem Handlungsfeld mehr oder weniger grosser Handlungsbedarf. Solche Baustellen sind in den folgenden Fragen kurz angesprochen. Können Sie darauf kurz antworten?

  1. Selbstsorge: Wie kann man selbstbestimmtes Handeln am besten unterstützen ohne einer paternalistischen Fürsorglichkeit zu verfallen?

Wichtig ist, dass man einander auf Augenhöhe begegnet, dass man die andere Person ernst nimmt in ihren Bedürfnissen, ihr Möglichkeiten anbietet, von denen sie selbst entscheiden kann, was für sie gerade jetzt in Frage kommt und was nicht.

  1. Wie kann die Alltagsgestaltung personenbezogen organisiert werden zwischen gutgemeinten aktivistischen Ablenkungen und langweiligem Alltagseinerlei?

In Uster haben wir ein breites Angebot an Aktivitäten und Begegnungsmöglichkeiten für Senior/innen, dieses erlaubt auszuwählen, wozu man Interesse hat. Selbstverständlich kann man auch sagen, «ich will gar nichts». Wer daheim wohnt, bestimmt den Alltag selber im Haus und ausserhalb. Wir können aber dazu beitragen, dass möglichst attraktive Angebote in der Gemeinde und im Quartier zur Verfügung stehen.

  1. Wie können durch soziale Teilhabe Einsamkeit und Kontaktverluste gemindert werden?

Es gibt Menschen die leben gerne zurückgezogen, ohne sich einsam zu fühlen. Viele ältere Menschen in Uster nehmen aber auch gerne an den verschiedenen Aktivitäten teil und nutzen die Gelegenheit, neue Kontakte zu knüpfen. Damit sie auch wissen, was los ist, gebe ich den Veranstaltungskalender «Agenda60plus» heraus. Wer in seiner Mobilität beeinträchtigt ist, kann durch Freiwillige zu gewünschten Aktivitäten begleitet oder von Besuchsdiensten zuhause aufgesucht werden. 

  1. Wie kann die Haushaltführung vor allem zu Hause möglichst eigenständig, aber ohne Über- respektive Unterforderung erfolgen?

Wichtig ist, darauf zu achten, dass man sich selber nicht in Gefahr bringt und Hilfe dann annimmt, wenn die Gesundheit und Sicherheit gefährdet sind. Wenn die Unterstützung in der Haushaltführung durch die Spitex erfolgt, wird in der Bedarfsabklärung darauf geachtet, wo Unterstützung sinnvoll ist, was die Person noch selbst machen kann und wo Angehörige gelegentlich einspringen können. Da die Beeinträchtigungen sich im Laufe der Zeit verändern, ist immer wieder mal eine Überprüfung und Anpassung des Unterstützungssettings für die Haushaltführung angezeigt.

  1. Wie kann man dafür sorgen, dass in Pflegesituationen mit hohem Pflegebedarf psychosoziale Betreuung nicht zu kurz kommt und die noch vorhandenen persönlichen Ressourcen der Pflegebedürftigen genutzt werden?

Nun ich denke, dass auch hier im Gespräch die Bedürfnisse der pflegebedürftigen Person genau abgeklärt und dann die entsprechende Betreuung und Pflege organisiert werden muss. Dies kann bedeuten, dass sich dann verschiedene Personen diese Aufgaben teilen. Es ist eine Frage der vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen. Dort wo diese fehlen, geht dies vor allem zu Lasten der psychosozialen Betreuung.

  1. Wie werden die in der Betreuung und Pflege involvierten Personen unter Achtung der Selbstbestimmung und Würde der Hilfsbedürftigen am besten im Alltag miteinander koordiniert?

Sehr häufig übernehmen Angehörige die Koordination. Auch die Spitex unterstützt die Koordination und Organisation von weiteren Angeboten, soweit dies möglich ist. In Uster gibt es zudem die Sozialberatung der Pro Senectute, die bei Bedarf auch eine aufsuchende Beratung macht und die Aufgleisung von Hilfeleistungen unterstützt. Für alle gilt aber, was an Hilfestellungen organisiert und koordiniert wird, bestimmt die hilfsbedürftige Person selbst.

Wie können Sie das Impulspapier in Ihrer Arbeit als Leiterin einer Fachstelle Alter verwenden?

Mir gefällt das Phasenmodell der Betreuung und die Übersicht mit den verschiedenen Handlungsfeldern. Es führt zu einem besseren und umfassenderen Verständnis von Betreuung. Viele ältere Menschen brauchen zuerst Betreuung, bevor sie dann auch Pflege benötigen. Dies gilt vor allem für Menschen mit Demenz. Da Betreuung aber selbst finanziert werden muss, liegen die Hürden sehr hoch, solche Angebote auch in Anspruch zu nehmen. Ich hoffe für die älteren Menschen und ihre Angehörigen, dass durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Betreuung neue Wege gefunden werden, Betreuungsleistungen für alle zugänglicher zu machen.

*Link zum Impulspapier Nr. 1 Paul Schiller Stiftung 


Silvia Angst wurde 1957 in Zürich geboren und hat nach einer kaufmännischen Ausbildung die Matura auf dem zweiten Bildungsweg erworben. Danach arbeitete Angst viele Jahre in der Administration, Organisation und Projektentwicklung. An der Universität Zürich hat sie von 2002 bis 2008 Soziologie studiert. Anschliessend arbeitet sie bis 2014 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Gerontologie der Uni Zürich. Nach ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit baute Silvia Angst 2014 die Fachstelle Alter in Uster auf. Diese leitet sie bis heute.

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