Der Himmel weinte, aber die Musik überstrahlte alles. Die Salzburger Pfingstfestspiele, die Cecilia Bartoli als Intendantin seit Jahren beseelt, standen lange auf der Kippe. Doch das Wagnis zahlte sich aus und wurde dankbar und einhellig bejubelt.
„Die Salzburger Festspiele Pfingsten 2021 konnten als das weltweit erste größere Klassikfestival nach Ende des Kultur-Lockdowns von 21. bis 24. Mai stattfinden.“ So selbstverständlich, wie das klingt, war es keineswegs: Rigorose Schutz- und Kontrollbestimmungen wie die obligatorischen FFP2-Gesichtsmasken und das Vorzeigen der Impfausweise waren Voraussetzung dafür. Eine weibliche Kommandostimme trommelte die von der Bundesregierung verordneten Massnahmen den im Schachbrettmuster platzierten Gästen vor jeder Vorstellung eindringlich in die Gehörgänge.
Aber der Erfolg gab Salzburg schon im Sommer 2020 recht, denn keine einzige Person wurde damals angesteckt. 5767 Besuchende aus 20 Nationen beehrten nun über die vier gestreckten Pfingsttage die Mozart-Stadt und trugen für die sechs Veranstaltungen mit einer Auslastung von 99,5 Prozent zum Erfolg bei. Dieses Verdienst wird massgeblich Cecilia Bartoli zuteil, die seit 2012 und noch bis 2026 das Pfingstprogramm bestreitet, dieses Jahr mit ‚ROMA AETERNA‘ ihrer Heimatstadt gewidmet.
Bellezza (Mélissa Petit) und Piacere (Cecilia Bartoli) im Glamour-Rausch der Massenmedien
Es gab dabei auch einige Zürcher Reminiszenzen zu beklatschen: Wer erinnert sich nicht gerne an das zauberhafte Händel-Oratorium „Il trionfo del tempo e del disinganno“, welches das Gespann Jürgen Flimm und Marc Minkowski 2003 absolut hinreissend im Opernhaus Zürich in Szene setzten. Schon damals sang die Halbzürcherin und hier wohnende Bartoli die Partie der Piacere, die der Allegorienfigur Bellezza (betörend gesungen von der in Zürich ausgebildeten Mélissa Petit) das weltliche Vergnügen als höchstes Gut so lange verkauft, bis der Zahn der Zeit unwiderruflich an ihrer Schönheit nagt und sie zur inneren Einkehr führt. Dass uns Alexander Pereira, der unserem Opernhaus während 21 Jahren die Treue hielt und heute Intendant in Florenz ist, auf Schritt und Tritt begegnete, rundete das Zürcher Flair im nass-kalten Salzburg ab.
Bellezzas Schönheit geht zur Neige / Fotos © Salzburger Festspiele
Dieses Mal zeichnete der auch in Zürich gefeierte Robert Carsen mit einer brillant überdrehten Casting-Show für die Regie verantwortlich. Und Gianluca Capuano, der die musikalische Leitung des Barockorchesters ‚Les Musiciens du Prince-Monaco‘ inne hat, zeigte seine Affinität zu Händel und erst recht zu Cecilia Bartoli im virtuosen Arienkonzert, das sie anstelle von John Eliot Gardiner einfügte, weil dessen Auftritt den Quarantäne-Vorgaben zum Opfer fiel.
Cecilia Bartoli und Gianluca Capuano während ihrem bejubelten Arienkonzert «What Passion cannot music raise»
Die römische Reverenz bekundeten Ohrwürmer von Mendelssohn (darunter sein Violinkonzet mit Maxim Vengerov) und Respighi, von Altmeister Zubin Mehta mit dem Charme seiner 85 Jahre und dem ‚Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino‘ eindrücklich zu Gehör gebracht. Respighis symphonische Dichtung «Pini di Roma», lange als etwas eklektisch apostrophiert, erlebte mit seinen schmetternden Bläserkaskaden eine triumphale Auferstehung.
Zu ‚ROMA AETERNA‘ darf auch das Oratorium „Cain, overo il primo omicidio“ von Alessandro Scarlatti zählen, das Philippe Jaroussky mit dem Ensemble Artaserse und Barocksolisten aufs Stimmigste aus der Taufe hob. Konzertant erlebte Mozarts letzte Oper „La Clemenza di Tito“, ebenfalls mit Cecilia Bartoli, Mélissa Petit und Gianluca Capuano am Pult, eine darstellerisch etwas hilflos händeringende Wiedergabe.
Doch dann folgte der Abschluss mit Puccinis „Tosca“, wie ich sie in solcher Vollendung noch nie hörte. Ich habe die Operndiva Maria Callas in Jugendjahren nie live mitbekommen, doch sie blieb meine Ikone, bis ich nun Anna Netrebko als Floria Tosca erlebte. Es gibt zahlreiche exzellente Interpretinnen in dieser Traumrolle, aber keine hat das Format dieser Ausnahmeerscheinung. Sie verfügt über eine ungemein fesselnde Klangkultur, eine irisierende Ausstrahlung und ein unendlich fliessendes Timbre in allen Lagen, auch in den opulenten Schattierungen. Ihre Stimme schwebt auch dann noch über dem 100-köpfigen Orchester, wenn die männlichen Protagonisten in den Grenzbereich ihres Stimmvolumens geraten. Und weil die Oper konzertant aufgeführt wurde und Orchester, Dirigent und das Ensemble sich in Tuchfühlung so nahe waren, geriet die Wiedergabe zu einem singulären Bekenntnis. Es galt der Kultur insgesamt, welche nun pandemie-bedingt eine entbehrungsreiche Durststrecke durchzustehen hatte, angeführt von zwei Weltstars, die sich uns in Herz und Sinne einbrannten.
Geschichtsträchtige «Tosca» mit v.r. Cecilia Bartoli, Zubin Mehta, Jonas Kaufmann, Anna Netrebko, Luca Salsi, Primgeiger
Dass der Münchner Jonas Kaufmann ein Heimspiel haben würde, war schon von Anfang an klar. Doch sein Cavaradossi war ganz einfach unwiderstehlich und von einer Strahlkraft, die man nach seiner Stimmbanderkrankung nicht mehr für möglich hielt. Ob er der grösste Tenor der Gegenwart ist, wie uns das Programmheft verhiess, ist so ein Superlativ, der zur Zurückhaltung nötigt, aber an diesem Pfingstmontag war er schlicht unübertrefflich. Auch der italienische Bariton Luca Salsi, der Bryn Terfel als Scarpia ersetzte, hatte an Stimmmitteln alles, was es zu diesem despotischen Tyrannen braucht. Einzig den durchtriebenen Bösewicht nimmt man ihm nicht so recht ab. Der unverwüstliche Zubin Mehta sass mit seiner immensen Erfahrung wie ein Fels in der Brandung vor dem ‚Orchestra e Coro del Maggio Musicale Fiorentino‘. Chor und Kinderchor sangen sogar mit Maske, was aber ihrem eindringlichen Impetus nicht abträglich war.
Das gleissende Wort ‚Sternstunden‘ sollte nicht über Gebühr benutzt werden, doch die Pfingstfestspiele Salzburg 2021 werden mit Cecilia Bartoli, Anna Netrebko und Jonas Kaufmann gewiss in die Geschichtsbücher eingehen.
Die heilige Cäcilie, Märtyrerin und Schutzpatronin der Kirchenmusik, wird mannigfach mit Rom in Verbindung gebracht, wo sie im 3. Jahrhundert n.Chr. lebte und während der Christenverfolgung hingerichtet wurde, nachdem sie den heidnischen Glauben verhöhnte. Den mit Schmunzeln geäusserten Gerüchten zufolge soll die hochgeschätzte Cecilia Bartoli, welche den Pfingstfestspielen ein einzigartiges Charisma einverleibte, in Salzburg vielleicht schon bald heiliggesprochen werden. Erst dann soll Mozart ihr in den Olymp folgen. Wunder über Wunder.
Netrebko ist warlich «eine von vielen Interpretinnen» diese Partie. Hätte der Autor die Gelegenheit gehabt, die wahre Tosca in Gestalt von Anja Harteros zu erleben, AN wäre zu einer Fußnote geschrumpft. Ich kenne beide…… Zwischen Sebstdarstllung und Rolleninterpretation ist eben ein himmelweiter Unterschied…….
Sehr geehrte Frau Rieger, ich schätze Anja Harteros sehr, insbesondere auch als Elisabeth von Valois in Verdis «Don Carlo», auch in anderen Charakterrollen, und ich verfolge ihre beispielhafte Karriere seit gut zwanzig Jahren. Leider musste sie für Salzburg absagen. Zu Floria Tosca gehören aber neben einer grossartigen Stimme auch die launischen Eifersüchteleien und die Diven-Allüren – Sie nennen das Selbstdarstellung. Diese Mischung verkörperte Anna Netrebko einfach perfekt. Hatten Sie das Glück, sie in Salzburg zu hören? Im Sommer bieten sich weitere Gelegenheiten.