StartseiteMagazinKultur«Nichtstun zerstört die Menschen und die Welt»

«Nichtstun zerstört die Menschen und die Welt»

Konzert Theater Bern hält uns mit der Tragikkomödie «Onkel Wanja» von Anton Tschechov einen Spiegel vor, wo die Menschheit endet, wenn niemand handelt. Im Zentrum der Berner Inszenierung stehen die Klimakatastrophe und die Unfähigkeit, gemeinsam zu handeln.

«Onkel Wanja» ist eines der meistgespielten Dramen der neueren europäischen Theatergeschichte. Tschechow präsentiert darin fünf gescheiterte Existenzen, die zur Reflexion unfähig sind. Scheitern ist Teil ihres Lebens, doch es ist weder verarbeitet noch akzeptiert. Das Leben ist erlitten – jeden Tag aufs Neue. Es lähmt die Figuren und hält diese in der Gegenwart gefangen. Unmöglich ist es, dass sie sich wegwünschen in eine alternative Vergangenheit oder in eine glücklichere Zukunft. Der Wunsch nach dem Ausweg aus der sich abzeichnenden Katastrophe wird nicht erfüllt. Jede kleine Flucht aus der Starre misslingt. Chancen werden vertan, Risiken gemieden. So bleibt letztlich alles beim Alten, weil niemand über genug Mut, Entschlossenheit oder Kraft verfügt, etwas zu ändern. «Nichtstun zerstört die Menschen und die Welt» ist die zentrale Botschaft des Stückes.

Die Handlung

Das Leben in der Stadt ist teuer geworden, und so entscheidet sich Serebrjakow (Stéphane Maeder), Professor im Ruhestand, zusammen mit seiner neuen Partnerin Jelena (Irina Wrona), auf das Landgut seiner verstorbenen Frau zu ziehen. Seit Jahren kümmern sich Serebrjakows Tochter Sonja (Florentine Krafft) und ihr Onkel Wanja (Klaus Brömmelmeier) um das Gut. Sie wirtschaften dabei stets in die Taschen des Professors, gilt dieser doch als akademische Berühmtheit. Doch nun zeigt sich, dass die beiden sich all die Jahre für einen eitlen Blender abgerackert haben. Die Ernüchterung ist gross. Auch Wanjas unerfüllte Liebe zu Jelena und die niederschmetternden Umweltprognosen von Arzt Astrow (Gabriel Schneider) machen die Lage kaum erträglicher. Als der Professor schliesslich verkündet, das Gut zu verkaufen, eskaliert die Situation. Wanja wird sich seiner desolaten Existenz bewusst. Er greift zur Waffe und schiesst auf Serebrjakow.

Die Botschaft

Die Lethargie der Figuren spiegelt die soziale Situation in Russland um 1900. Jahrelang schuften sich Wanja und Sonja für den Professor in der Stadt ab. Mit dem Verkauf des Guts zerstört Serebrjakow die Existenzen seiner eigenen Familie. Zurück bleiben Onkel Wanja, der sich in der Verzweiflung erkennt: «Wenn man kein wirkliches Leben hat, lebt man von Illusionen. Das ist immer noch besser als nichts.“ Sonja verguckt sich in den Arzt und schimpft in einem beispiellosen Monolog auf Amazon und die Dekadenz der Konsumgesellschaft. Der Arzt Astrov dagegen, der für mehr Ökologie, Verzicht und ein radikales Umdenken plädiert, mahnt lautstark: «Man muss ein Werk schaffen, Herrschaften! Man muss ein Werk schaffen!“

Onkel Wanja (Klaus Brömmelmeier) sinniert über den Sinn des Lebens. 

Der Aktualitätsbezug der Inszenierung ist unüberhör- und unübersehbar: Die Unfähigkeit der Protagonisten zu handeln, erinnert an den aktuellen politischen Kampf gegen die Klimakatastrophe, an das Scheitern des Rahmenabkommens mit der EU, an die Scheinheiligkeit der weltweiten Armutsbekämpfung. Eigentlich wären die Mega-Themen der Gegenwart Grund genug, dass wir solidarisch, gemeinschaftlich handeln. Denn unsere gemeinsame Zukunft ist bedroht. Da die Sehnsucht nach einer grundlegenden, nachhaltigen Wende unerfüllt bleibt, droht auf der Bühne wie in der politischen Realität die Apokalypse. Für Tschechow war die Menschheit bereits vor über hundert Jahren in einem System gefangen, in einem System von sozialer Ungerechtigkeit, Zerstörung der Natur und Sinnlosigkeit des Lebens.

Humor und Empathie

Die Berner Inszenierung lässt uns ohne überzeugende Antworten auf die brennenden Fragen der Gegenwart zurück: Liebe ist eine Illusion, Intellekt eine Qual, Religion ein Versprechen ohne Hoffnung. Der Traum von einer besseren Welt endet im Hass, im Kampf, im Alkohol. Doch trotz all der Trostlosigkeit ist «Onkel Wanja» auch ein Stück mit Humor und Empathie. In sintflutartigen Wasserszenen umarmen sich die Protagonisten, zeigen Witz, um sich wenige Sekunden später wieder zu bekämpfen. Für Regisseur Kieran Joel bleibt Thema des aussergewöhnlichen Theaterabends stets das Spiel: «Die Illusion ist stärker, obwohl ich die ganze Zeit sage: Was sie hier sehen, ist nicht echt.» Ein Schlüsselsatz ganz zum Schluss bringt es auf den Punkt: «Man muss etwas tun!» Doch jeder denkt, der andere tut etwas. Wie im richtigen Leben.

Der Arzt Astrow (Gabriel Schneider) und Onkel Wanja (Klaus Brömmelmeier) finden im Alkohol Ablenkung.

https://www.konzerttheaterbern.ch/programm/onkel-wanja

Titelbild: Jelena (Irina Wrona) lehnt sich gegen den Status quo auf, hat aber nicht die Kraft, etwas zu verändern. (Fotos: Annette Boutellier)

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