StartseiteMagazinKulturPaul Klee: «Menschen unter sich»

Paul Klee: «Menschen unter sich»

Der Künstler Paul Klee wird oft als unpolitisch wahrgenommen. Eine neue Ausstellung «Menschen unter sich»  will diesem Eindruck entgegentreten. Ausgestellt sind in Bern vornehmlich Bleistift- und Federzeichnungen des Künstlers.

Paul Klee gilt in den Augen vieler als abgehobener, eher distanzierter Künstler, der die Welt aus einer überirdischen Perspektive betrachtet. Seine Botschaften sind oft verborgen, ambivalent, nicht auf den ersten Blick fassbar. Sozialpolitische Kritik verpackt er in Metaphern oder verfremdet sie.

Die neue Ausstellung im Zentrum Paul Klee beschäftigt sich anhand von eher unbekannten Werken mit der Organisation der Gesellschaft. Wer nimmt welche Rolle ein? Wie funktioniert die Familie? Wer übt Macht, wer Gewalt aus? Zwangsläufig werden in den Zeichnungen Kritik an der Kirche, an Staatsorganen, am System erkennbar. Klee analysiert die beobachteten Konflikte und stellt sie ironisierend sowie auf das Wesentlichste reduziert dar.

Laut Kurator Martin Waldmeier war Klee vor allem ein Zeichner: Das Zentrum hat rund 2500 Zeichnungen des Künstlers in seiner Sammlung. Foto Peter Schibli

Die Ausstellung ist in acht Räume strukturiert. In jedem Raum präsentiert Kurator Martin Waldmeier ein Thema. Besondere Aufmerksamkeit verdienen Klees Illustrationen zweier Bücher: Die satirische Revolutionsnovelle «Potsdamer Platz» von Curt Corrinth hat der Berner Künstler 1919 nach einer Einladung illustriert, weil ihn das Thema interessiert. Es geht um die sexuelle Befreiung der Geschlechter: Hunderte Frauen strömen nach Berlin, wo sie in einem Bordell Befreiung und Verdienst finden. Dass der Bewegung hunderte von Männern folgen, liegt auf der Hand.

Die Titelseite der Novelle «Potsdamer Platz» von Curt Corrinth, 1919 gezeichnet von Paul Klee. © Verlage Walde + Graf

In den Zeichnungen entdecken wir beim genaueren Hinschauen einen grafisch-pornografischen Klee. Die dargestellten Individuen suchen im Sex nach Erlösung. Was faszinierte Klee an dem Thema? Ist das Buch eine Warnung vor einer falschen Sexualmoral? Oder eine Kritik an der puritanischen Kirche?

Nach Aussage von Kurator Martin Waldmeier können wir über diese Fragen nur spekulieren. Belege für die eine oder andere These gibt es nicht. Das Buch war Jahre lang verboten. Berühmt ist es weniger wegen der Geschichte als vielmehr wegen Klees Illustrationen.

«Chassa Candide du château à grands coups de pied dans le derrière». 1911.

Ein zweites Werk hat Klee freiwillig, also ohne Auftrag, vermutlich sogar gratis, illustriert: den Tabu-brechenden Klassiker «Candide oder der Optimismus» des französischen Philosophen Voltaire. In der satirischen Novelle wendet sich der Autor gegen übertriebenen Optimismus und propagiert mit Witz sowie viel Ironie Skeptizismus und Pessimismus. Voltaire prangert den überheblichen Adel, die kirchliche Inquisition, Krieg sowie Sklaverei an und verspottet die naive Utopie des einfachen Mannes, der ein sorgloses Leben führte.

Mit seinen Strichmännchen hat sich Klee 1911 in einer neuen Bildsprache versucht und Voltaires Häme geschickt illustriert. Auch in seinen Darstellungen kommen Kritik an der göttlichen Kirche, an der staatlichen Obrigkeit, an der Weltordnung vor dem Ersten Weltkrieg zum Ausdruck. Möglicherweise hat sich Klee mit der Hauptfigur der Novelle, Candide, identifiziert. Erschienen sind seine Illustrationen in mehreren Ausgaben.

«Familie Widerspruch». 1940.

Im Zentrum Paul Klee sind zahlreiche Werke zu sehen, hinter deren oft ironischer Fassade sich politische und gesellschaftliche Dimensionen verbergen. Nach Zeichnungen von «jämmerlichen Figuren» (dem Verhältnis zwischen Mensch und Tier) widmet sich ein weiterer Themenraum dem Blick auf die Organisation sowie die Dynamik innerhalb der Familie und auf gefährliche Kinderspiele.

Zeichnerisch umgesetzt hat Klee etwa den familiären Disput, die elterliche Liebe, die Verbundenheit, das Mutter-Kind-Verhältnis, ja sogar das Thema Bigamie. Bei den Kinderzeichnungen fällt das inhärente Risiko beim Spielen auf. Dargestellt sind Raufereien, Zwischenfälle in Kindergruppen: mit «Sch» wird vor Unfallgefahren gewarnt. In ihrer evolutionären Entwicklung verwandeln sich Kinder zuweilen auch in kleine Diktatorinnen und Diktatoren, was Klee strichgenau nachgezeichnet hat.

«Gewalt». 1933.

Macht und Gewalt sind Themen des nächsten Raums. Es ist kein Zufall, dass diese Zeichnungen 1933 entstanden, nachdem Klee aus Deutschland zurück in die Schweiz fliehen musste. Mitte März hatte eine Hausdurchsuchung in Klees Dessauer Wohnung stattgefunden. Am 21. April wurde Klee als Professor der Düsseldorfer Akademie fristlos beurlaubt; aufgrund des «Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums» erhielt er dann per 1. Januar 1934 die offizielle Kündigung.

In seinen Werken verarbeitete der Künstler sein Nazi-Trauma, indem er aggressive Polizisten, barbarische Söldner, Disziplinierung, Verfolgung und eine Ku-Kux-Klan-Szene zeichnete. Die Bilder erzählen von Angst, Verzweiflung und Ohnmacht.

Stammtischler. 1931.

Begriffe wie SS, Nationalsozialismus oder den Namen Hitler sucht man auf Klees Gewalt-Zeichnungen aber vergeblich. Der «Führer» ist klar erkennbar. Im Bildtitel wird dieser aber despektierlich als «Stammtischler» beschrieben. Für Kurator Martin Waldmeier gehören diese Zeichnungen «zu den bedeutendsten Kunstsammlungen, die sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen».

«BewegGrund»

Speziell an der neuen Klee-Ausstellung sind sechs grossflächige Videos, in denen sich die Berner Tanzgruppe «BewegGrund» mit den gezeichneten Themen auseinandersetzt. Unter den Tänzerinnen und Tänzern befinden sich auch Menschen mit einer Behinderung, ein eindrückliches Beispiel von Inklusion, wie man es sich in der Kunst wünscht. Genau wie Klee reduzieren auch die Tänzerinnen und Tänzer den Umgang mit ihrem Körper, die Bewegungen auf das Wesentliche. Thematisch ergänzen sich Klees Zeichnungen und die in der Dampfzentrale aufgenommenen Videos hervorragend.

Garten Eden

Den Abschluss der Ausstellung machen Klee-Bilder zu den Themen Natur und Garten. Der Künstler war Zeit seines Lebens fasziniert von Gärten und Parks, in denen er Glück, Erfüllung und Kraft fand. Dass im letzten Raum ausschliesslich farbige Werke zu sehen sind, kontrastiert auf eindrückliche Weise Klees Menschenbild, das offenbar überwiegend schwarz-weiss war.

Titelbild: Garten am Bach, 1927, Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Livia Klee. Alle nicht gezeichneten Fotos: © Zentrum Paul Klee.

Ausstellung bis 22. Mai 2022 – https://www.zpk.org/

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