FrontKulturRache und Sexfantasien zum Auftakt

Rache und Sexfantasien zum Auftakt

Das Zürcher Schauspielhaus startet mit zwei gewagten Inszenierungen in die neue Spielsaison: mit «Der Besuch der alten Dame» von Friedrich Dürrenmatt im Pfauen und «Kurze Interviews mit fiesen Männern» nach David Foster Wallace in der Schiffbau-Halle.

Um es gleich vorwegzunehmen: Beide Inszenierungen sind schwere Kost, die viel Verdauungsarbeit erfordern. In beiden Aufführungen werden die zentralen Themen ins Groteske gesteigert, virtuos gemeistert von grossartigen Schauspielern, die das Spektakel um Rache und Sexualität facettenreich auskosten.

Dürrenmatt aufs Schuldenmachen reduziert

Dürrenmatts Erfolgsdrama «Der Besuch der alten Dame», 1956 im Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt, handelt von der Milliardärin Claire Zachanasssian, die in ihre verarmte Heimatstadt Güllen zurückkehrt, um Rache an ihrem ehemaligen Geliebten Alfred Ill, der sie geschwängert und im folgenden Vaterschaftsprozess Zeugen bestochen hat, zu nehmen. Auf eindrucksvolle Weise zeigt das Stück, wie schnell Menschen korrupte Züge annehmen und zu unmenschlichen Handlungen fähig sind, wenn sie Aussicht auf Geld haben.

Aufgeräumte Stimmung beim Eintreffen der ersten Schuhpakete: Patrycia Ziokowaska und Sebastian Rudolf. Foto: Zoè Aubry 

In Nicolas Stemanns Inszenierung stemmen – ein Novum – nur die beiden Schauspieler Patrycia Ziolkowaska und Sebastian Rudolf die in der Tragikkomödie angelegten rund 30 Rollen, vollführen eine Kür der ständigen Verwandlung. Mit von der Partie ist die Musikerin Camilla Sparksss, die das Ringen um Gerechtigkeit und Rache immer wieder mit ohrenbetäubenden Beats flutet. Hinzu kommen Videoeinspielungen, in denen unter anderem der MeToo-Bewegung gehuldigt wird.

Co-Intendant Stemann hält sich weitestgehend an Dürrenmatts Textvorlage, setzt aber auf heutige Fragestellungen wie Europa, Schuld, Gerechtigkeit, Klima, Frauenpower. Anschaulich thematisiert er vorab das Leben auf Pump, indem endlos mit Ding-Dong-Klängen Pakete vollgepackt mit gelben Schuhen auf die Bühne geliefert und dort gestapelt werden. Bezahlt wird später. Erdrückt von dieser Menge, resigniert Alfred Ill: «Ich kann mir nicht mehr helfen. Und euch auch nicht». Der Schluss ist schnell erzählt: Die versprochene Milliarde wird überreicht und Claire Zachanassian reist mit dem toten Alfred Ill im Sarg nach Capri ab, wo sie ihren ehemaligen Geliebten in einem Mausoleum bestatten lässt.

Virtuose Leistung der zwei Darsteller

Die beiden Schauspieler Ziolkowaska und Rudolf zeigen eine bravouröses Spiel, mühen sich redlich ab, die unterschiedlichen Handlungsstränge mit viel Körpereinsatz und wechselnden Stimmlagen überzeugend und verständlich zu meistern. Grossartig ist ihr Spiel der beiden Protagonisten Claire und Alfred. Facettenreich gibt Ziolkowasaka die Milliardärin Zachanassian, mal als feine Dame, dann als boshafter Racheengel. Derweil müht sich Rudolf vergeblich mit machohaften Allüren ab, Claire von ihrem Vorhaben abzubringen.

Geflutet mit Beats und Schulden: Sebastian Rudolf in Grossformat. Foto: Zoe Aubry

Die von Stemann gewählte Reduktion auf zwei Darsteller ist grenzwertig, einzelne Szenen sind gar grobschlächtig gestaltet, doch insgesamt wird dank grossartiger Darsteller eine recht unterhaltsame Aufführung mit aktuellen gesellschaftskritischen Bezügen geboten. Dafür gabs am Premierenabend viel Beifall.

Männer-Sexfantasien im Fokus

In «Kurze Interviews mit fiesen Männern – 22 Arten der Einsamkeit» nach David Foster Wallace wird die toxische Sexualität von Männern thematisiert. Der amerikanische Autor Wallace liess in seinem Buch Männer in schonungsloser Deutlichkeit von ihren meist toxischen Beziehungen zu Frauen erzählen, von Sexfantasien und Machtbesessenheit, aber auch von Einsamkeit, Depressionen und Selbstekel.

Toxisch und verführerisch: Pornofrau bietet ihren Körper an. Foto: Sabina Boesch

Die Hausregisseurin Yana Ross hat aus dem Stoff eine theatralische Montage ohne lineare Erzählweise gestaltet. Das Schauspielhaus warnt deutlich vor verbaler Gewalt und Live Sex auf der Bühne und gestattet nur Volljährigen Eintritt. Ausserdem ist es möglich, die Aufführung jederzeit zu verlassen, was am Premierenabend nur wenige taten.

Ross sieht die Pornographie als «phänomenales Werkzeug, unsere gesellschaftliche Gegenwart zu beschreiben». In ihrer Inszenierung tut sie das mit Cowboys, die in einem Bauhaus-Bungalow mit Durchgang, Swimmingpool und Terrasse auf dem Dach über ihre Sex-Fantasien und Verlorenheit palavern. Mit von der Partie sind zwei echte Pornodarsteller, die in einem verglasten Zimmer den angekündigten Live-Sex praktizieren. Amüsant sind die Sextipps, die die Pornofrau lehrhaft dem im Halbrund platzierten Publikum vermittelt. Ansonsten dominiert düstere Stimmung, agieren traumatisierte Figuren, die emotionslos ihre Geschichten erzählen. Heiter wird’s, wenn die Cowboys mit zornigen Masken bewehrt unflätiges Zeug reden. Auf die Schilderung einzelner Erzählstränge verzichten wir.

Pastellig am Pool: Emotionslos wird gereinigt. Foto: Sabina Boesch

Die sechs Darsteller, allen voran Michael Neuenschwander und Lena Schwarz, bemühen sich um ein lustvolles und temporeiches Spiel, agieren mit viel Ironie, mal bissig, mal gelangweilt. Insgesamt wird eine zweistündige Aufführung geboten, die durchaus einige Highligths bietet, aber mehrheitlich eher ratlos stimmt.

Weitere Spieldaten:

Der Besuch der alten Dame, Pfauen: 24. September, 3., 5., 6., 13., 15., 17., 21., 23., 25. Oktober, 2., 5. November

Kurze Interviews mit fiesen Männern, Schiffbau-Halle: 30. September, 1., 3., 5., 6., 8., 9., 11., 14., 15. Oktober

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