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Tanz und Licht und Emotionen

Nach langer Durststrecke wieder eine Ballettpremiere am Opernhaus! Crystal Pites «Emergence» und ihr stürmisch beklatschter «Angels Atlas» und Marco Goeckes Antwort auf das Ende seiner Stuttgarter Zeit, «Almost Blue», waren ein fulminanter Start in die Saison.

Das begeisterte Publikum erlebte ein ganzes Universum an tänzerischem Ausdruck: Fragilität gepaart mit Fragen zur Endlichkeit des Lebens, Beziehungsstrukturen und die Harmonien zwischen Tanz, Musik, Gesang und Licht. Angefangen bei Crystal Pites 2018 bereits einmal in Zürich gezeigtem Stück «Emergence» über Marco Goeckes flirrende, zitternde Abrechnung mit seiner Entlassung als Hauschoreograf am Stuttgarter Ballett – und dem Aufbruch in eine neue Schaffensperiode – bis zum schlichtweg zauberhaften «Angels Atlas», in dem sich Licht und Erdenschwere, Leben und Transzendenz, Himmel und Erde ganz nahe kommen.

Geborgen im Bienenstaat

In «Emergence» lotet die 1970 geborene Kanadierin Crystal Pite hierarchische Strukturen aus. Hier die Ballettcompagnie, wo sich jede Tänzerin, jeder Tänzer einer vorgegebenen Choreografie unterordnen muss, dort die «Schwarmintelligenz» der Bienen, wo jedes Insekt sich in die Gesamtheit der Struktur fügt. Dabei wird das Opernhaus zum Innern einen Bienenstocks. Das Licht ist warm und sanft – nur wenn sich das Ausflugsloch, für einen Moment öffnet, dringt die laute, grelle Welt von draussen in den kleinen Kosmos – und die elektronische Musik von Owen, dieses Sirren und Knirschen, Schaben und Pochen gepaart mit Marschmusik und Glockenklang, macht die Illusion eines einzigen, lebendig pulsierenden Individuum perfekt.

Fast ohne Bodenkontakt, die «Bienen» in «Emergence». (1)

Und die Tanzenden, deren Namen im Programmheft alphabetisch und somit nicht hierarchisch aufgeführt sind, mutieren wirklich zu einem Insektenstaat. Die testosterongesteuerten Drohnen mit ihren Ringkämpfen und ihrem Imponiergehabe werden von der Phalanx der weiblichen Bienen an den Rand gedrängt, die in Linedance-Formation die Bühne in Besitz nehmen. Auf Spitze tanzen die mit schwarzen Masken verhüllten «Insekten» durch ihre Welt, gewähren nur einer einzigen Drohne ihre Gunst und schaffen doch eine lebendig flirrende Gemeinschaft.

Chrystal Pites hat die Compagnie mit ihren Fähigkeiten und Ideen in den Gestaltungsprozess einbezogen – so steht es im Programmheft – und so eine emergente Ordnung geschaffen, wo jede und jeder synchron und virtuos seinen Teil zur Gemeinschaft beiträgt.

Grenzerfahrungen

Dieses Zusammenspiel wird auch in der minuziös ausgestalteten Dramaturgie und Choreografie von «Angels Atlas» deutlich. Ende Februar 2020 mit dem National Ballet of Canada in Toronto uraufgeführt, erlebt die Produktion in Zürich ihre europäische Erstaufführung. Crystal Pites lotet darin nichts weniger als die Welt zwischen Himmel und Erde aus. «Engel stehen für das, was wir nicht wissen. Der Atlas für das, was wir wissen. Und das Stück für die Grenze dazwischen», sinniert Pites im Programmheft.

Das Stück beginnt musikalisch mit dem «Ballettklassiker» Pjotr Tschaikowski und seinem 1878 entstandene Cherubim-Hymnus, der die Herrlichkeit des Himmels, des Jenseits preist. Und auf den Flügeln dieser sakralen Klänge senkt sich auf der Bühne von oben ein Lichtschleier, eine grünlich flimmernde Utopie zur Erde, bildet leuchtende Stalaktiten aus, die die Menschen auf der Erde, nein, nicht aufspiessen, eher erwecken. Dieses sich ausbreitende Licht ist Basis und Grenze zugleich. Basis für Liebe und Trauer, die in Pas de deux, aber auch aufgenommen von der grossen Compagnie ineinander verwoben werden, Grenze dort, wo Musik und Tanz sich im Dunkeln, in der Endlichkeit und Vergänglichkeit verlieren.

Kraftvoller Tanz vor filigraner Lichtkulisse in «Angels Atlas». (2)

Wie Menetekel stehen einzelne Lichtkompositionen im Raum, werden abgelöst von fast suggestiven Lichtbewegung. Und diese schwerelose Reflexion, diese Bewegungen setzt Pites in Tanz um, einem Tanz, dem immer ein Stück Erdenschwere anhaftet, auch wenn das Verlangen der Menschen, diesen Fesseln zu entfliehen, deutlich wird. Es ist ein Ballett, das von der Liebe lebt. Der Liebe der Choreografin zu ihrem Mann, dem Lichtgestalter und Bühnenbildner Jay Gower Taylor, der diese Beleuchtung zwischen Himmel und Erde zusammen mit dem Lichtdesigner Tom Visser gestaltet hat. Wie Pites dazu mit der sehr grossen Compagnie – und sehr ausdrucksstarken! – diese Fragen nach Leben und Tod auf die Bühne bringt – einfach hinreissend, faszinierend.

Emotionale Abrechnung

Eingebettet in die beiden sowohl kraftvollen wie auch poetischen Ballette von Crystal Pites bildet «Almost Blue» von Marco Goecke einen fast schmerzhaften Kontrast. Goeckes ganz eigene Tanzsprache, die immer etwas an zu straff gespannte Saiten eines Instruments erinnert, paart sich in dem Stück, das Goecke selber mit «Beinahe traurig» übersetzt, mit Wut, Verletztheit, Trauer. Goecke verfasste die Choreografie als Antwort auf seinen unfreiwilligen Abgang beim Stuttgarter Ballett, wo er 13 Jahre lang Hauschoreograf war.

«Almost Blue» ist typisch für Goecke: Diese fiebrige, vibrierende Gestik, die expressiven Ausdrucksformen, aber auch seine Gefühle  setzt er, der seine Choreografien nie von langer Hand entwirft, ganz direkt in Tanz um. Getragen von den intensiven Stimmen der Transgender-Sängerin Anohni, vormals Antony Hegarty, und der Bluessängerin Etta James wird auf der Bühne abgerechnet. Mit der Kulturpolitik, mit seinen Zukunftsängsten, mit den seelischen Wunden.

Wie amputiert fühlte sich der Choreograf Marco Goecke, nachdem er das Stuttgarter Ballett verlassen hatte. (3)

Dabei trennt er sich zeitweise auch von seinem Markenzeichen, den typischen, nervösen Gesten: Mit langen, schwarzen Handschuhen werden die Tänzerinnen und Tänzer auf der fast dunklen, raffiniert ausgeleuchteten Bühne (Udo Haberland) zu Torsi, reduziert auf Oberkörper und Köpfen. «Seht her, so amputiert fühle ich mich!», glaubt man den Choreografen zu hören. Und als dann aus zwei Lichtbalken noch Staub und Erde auf die Bühne prasseln, versteht auch der letzte, dass hier einer Spuren hinterlassen will. Und seis nur im Dreck.

Und dann der Abgang: Langsam schreitet ein Tänzer zum Bühnenhintergrund und verschwindet. Und wird von Stimmengewirr wieder ins Leben zurückgerufen, blutverschmiert zwar, aber bereit, sich der Situation wieder zu stellen. Seit 2018 ist Goecke Chef du Ballet am Staatstheater Hannover.

Bildnachweis: Teaserbild und Nummer 1: Gregory Batardon/ Opernhaus Zürich. Nummer 2 und 3 Carlos Quezada/ Opernhaus Zürich.

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