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Eine starke Frau

Fahria, deren Mann seit dem Kosovo-Krieg vermisst wird, gründet mit andern Frauen, gegen grosse männliche Opposition, eine Selbsthilfegruppe und eine Lebensmittelproduktion. Der Spielfilm «Hive» von Blerta Basholli über diese Frau ist ein eindrückliches Symbol weiblichen Überlebenswillens.

Für viele dürften Kosovaren, Serben und Albaner drei Völker sein, von denen wir vor allem die jungen zu uns geflohenen Männer kennen und danach die Völker beurteilen. Welch komplizierte Kriegsvergangenheit ihr Leben bestimmt, wird oft übersehen. Grund genug, mit «Hive» diese Wirklichkeit etwas auszuleuchten.

Dass die traurigen Geschichten von dort vor allem von Frauen handeln, wissen wir zwischenzeitlich vor allem von Filmen, die immer häufiger von Frauen selbst gedreht werden. Grund genug, eines dieser Werke kennenzulernen, bilden Frauen doch die Hälfte der Menschheit.

Generell scheint mir, dass das Thema Mann – Frau in der Geschichte und der Politik, der Kunst und der Religion wohl andiskutiert, doch längst nicht ausdiskutiert ist. Grund genug, mit «Hive» weiter zu sinnieren. Vielleicht hat dieser Diskurs auch einmal Einfluss auf unser Leben.

 Witwen mit den Fotografien ihrer Männer

Ein intensives Drama …

In «Hive», ihrem ersten Spielfilm, lässt sich die Regisseurin Blerta Basholli von einer Geschichte mit Fahrije Hoti inspirieren, einer alleinerziehenden Mutter, die viele Jahre nach dem Verschwinden ihres Mannes aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen war, den Verlust zu verarbeiten und gleichzeitig etwas Neues aufzubauen. Der Film nimmt uns mit auf eine emotionale Reise ins Land des Trauerns und Protestierens mithilfe einer fesselnden, klassischen Geschichte über den Umgang mit Macht und Gewalt: indem Fahria, die Protagonistin im Film, das Haus verlässt, einen Job sucht, mit dem sie ihrer Familie und zugleich andern Frauen hilft.

«Eine Witwe sollte putzen, ihre Schwiegereltern respektieren und zu Hause bleiben.» Solche Worte hört Fahria jeden Tag, nachdem sie ihren Mann verloren hat. Von Anfang an ist ihr klar, dass es ein harter Kampf wird, als auch ihr behinderter Schwiegervater und ihre beiden Kinder dagegen sind, dass sie ihre Pläne realisiert, bei einem Fahrlehrer Stunden nimmt, ein Frauenforum aufbaut und gemeinsam mit andern Frauen Peperonisauce an einen Grossstadt-Supermarkt verkauft. Doch «alles, was du tust, betrifft auch die Familie», hört sie immer wieder von der Familie. Andere Frauen, die sich zwar in der Gruppe treffen, haben noch lange Todesangst vor dem Klatsch und dem Verbot der Männer.

Der Grossvater, ein Patriarch im Rollstuhl

… einer weiblichen Befreiung

«Hive» beginn mit stillen und berührenden Szenen, in denen sich Fahria in ein Sanitätszelt schleicht, wo sie Leichensäcke nach den verwesten Überresten ihres Mannes Agim durchsucht. Die Tatsache, nicht zu wissen, ob er tot oder lebendig ist, und die Trauer, dass sie ihn wahrscheinlich nie finden wird, machen das Leiden, das sie mit vielen andern teilt. Szenen wie der Versuch, Agims Tischkreissäge für dringend benötigtes Geld zu verkaufen, offenbaren die Sturheit der Gesellschaft und machen deutlich, dass Fahria etwas Aussergewöhnliches, etwas Mutiges macht, wenn sie am Steuer eines ramponierten Autos, das ihr vom Frauenkollektiv ausgeliehen wird, mit leicht triumphierendem Lächeln in die Stadt fährt.

Auf ruhige, besinnliche Art baut «Hive» (wörtlich Bienenstock) eine mutige, fast schon verzweifelte Handlung mit der einfachen, sympathischen Landfrau auf, verkörpert von der granitgesichtigen, dennoch glamourösen und fesselnden Yllka Gashi als Fahria. Die kosovarische/schweizerische/nordmazedonische/albanische Coproduktion wurde am Sundance Festival ausgezeichnet und gewann den Grand-Jury-Preis, den Publikumspreis und den Regiepreis im World Cinema Dramatic-Wettbewerb.

Fahrias zukunftsweisende Idee war es, am Ort eine Frauengruppe zu gründen und in ihrem Haus arbeiten zu lassen, wo sie Peperoni schmoren, zerkleinern und in Flaschen abfüllen. Abgesehen von einer erfrischend freimütigen älteren Frau, die ihr vor dem Supermarktmanager mutig den Rücken freihält, zögern die meisten Frauen weiterhin, öffentlich mitzuarbeiten, weil die Männer ihrer Familien, die im Café faulenzen und palavern, sie verspotten, ihr ein Autofenster einschlagen und einer am Schluss gar versucht, sie zu vergewaltigen. Doch Fahria macht weiter! Sie weiss, dass die Bienenstöcke, die ihr vermisster, wahrscheinlich toter Ehemann vor langer Zeit gebaut und betreut hat, die Familie in der Zukunft nicht ernähren können und sie selbst es nicht mehr erträgt, weiter von Bienen gestochen zu werden.

Die Geschichte, die in Krusha, ihrem hübschen Bergstädtchen spielt, wurde von Alex Bloom respektvoll und einfühlsam in den meist dunklen, harmonischen Farben der Landschaft und Innenräumen ins Bild gesetzt, und die sparsam eingesetzten Hintergrundmelodien von Julien Painot unterstützen die Gefühle der Personen im Film, dass wir sie in uns aufnehmen und verarbeiten können.

 Fahria im Kampf gegen Bienenstiche

… aus dem Dorf der Witwen

 Fahria hat weiterhin keine Nachricht von ihrem Mann, der wie so viele andere verschwunden ist. Sie ist allein, um ihre Kinder und ihren Schwiegervater zu ernähren und die andern Frauen, die sich in ähnlicher Situation befinden, solidarisch zu unterstützen: mit dem Frauenbund, einer Art Selbsthilfegruppe, gegründet für die Produktion und den Vertrieb von Ajvar-Produkten, einer Pasta aus Peperoni und anderem Gemüse. Als ihr Projekt erfolgreich läuft, gibt es auch mal Zeit für ein Tänzchen der Frauen, mit dem sie sich belohnen und das Erreichte feiern. Hartnäckig und unerbittlich kämpft Fahria in der Öffentlichkeit weiter gegen Widerstände und Vorurteile der Gesellschaft – während sie im Innern gleichzeitig am Verlust ihres Mannes, den sie liebte, leidet, ihn weiter sucht, auf ihn wartet und hofft.

Der Text des Nachspanns stellt die Geschichte von Fahria in einen grösseren Zusammenhang: «1998 ereignet sich in Krusha e Madhe eines der schlimmsten Massaker des Kosovokrieges. Es gab über 240 Tote und Vermisste. Im Kosovo gelten über 1500 Personen als vermisst, 64 aus diesem Dorf. Einige wurden in den Fluss geworfen, andere im Wald ermordet. Einige hoffen, sie lebend zu finden.»

Produktion der Ajvar-Gemüsepasta

Motivation der Regisseurin für diesen Film

«Ich sass in meiner Wohnung in Brooklyn und versuchte, meine Diplomarbeit fertig zu schreiben, während ich eine kosovarische Fernsehsendung schaute. Eine Frau erzählte darin von ihrem Führerschein und dem Gerede im Dorf, wie damit ihre Familie erniedrigt wurde. Zuerst dachte ich, es sei ein Scherz. Es war einerseits lustig und andererseits doch sehr traurig, hart und herausfordernd. Fahrije Hoti, die Witwe und Mutter von zwei Kindern, musste etwas tun, um zu überleben, und das hat sie getan. Sie machte ihren Führerschein und erhielt so einen Job. Alle haben darüber geredet, es hat sie fast verrückt gemacht, aber sie hat es geschafft. Eines Tages eröffnete sie ein kleines Unternehmen, in dem sie andere Witwen beschäftigte, und jetzt produziert sie eingelegtes Gemüse, das im ganzen Kosovo verkauft wird. (Ajvar-Produkte gibt es auch in der Schweiz bei Grossverteilern. Red.)

Abgesehen davon, dass ich selbst eine Frau und Mutter bin, haben mich der Wille und die Stärke dieser Frau fasziniert. Sie will überleben, etwas Grosses erreichen und niemals zurückblicken. Ihre positive Haltung und Energie sind faszinierend. Das ist etwas, das ich auf die Leinwand bringen möchte, eine starke und farbenfrohe Frauenfigur. Ich möchte diese Art von Frau als Hauptdarstellerin einem grossen Publikum im Kosovo zeigen. Ihre Entscheidung, mit ihrem Leben weiterzumachen, egal was passiert, mag verwirrend, schmerzlich, manchmal sogar komisch wirken, aber sie ist vor allem zutiefst inspirierend.»

Blerta Basholli, 1983 im Kosovo geboren, ist eine Autorin und Regisseurin mit einem originellen, visuell realistischen Stil. «Hive» ist ihr erster Spielfilm.

Historischer Kontext von «Hive»

Titelbild: Autokauf, Fahrprüfung, Arbeit in der Stadt

Regie: Blerta Basholli, Produktion: 2021, Länge: 84 min, Verleih: Frenetic

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