Mit «Portraits – Femmes de Suisse» haben der Fotograf Christian Scholz und der Christoph Merian Verlag einen qualitativ hochstehenden, eindrücklichen Bildband mit Schwarzweiss-Fotos herausgegeben. Er enthält ausdrucksstarke Frauen-Porträts mit intensiver Nähe und Originalität.
Der Bildband «Portraits – Femmes de Suisse» bietet einen Einblick in das Gesamtwerk des Zürcher Fotografen Christian Scholz und ist zugleich ein eigenständiges Projekt. Präsentiert werden ausschliesslich Frauenportraits. Ohne Fokussierung auf eine Vorstellung von Schönheit, ohne Folklore und ohne dokumentarische Absicht. Die meisten Frauen sind ungeschminkt, natürlich, entspannt oder ausgelassen. Einige posieren selbstbewusst, ja sogar stolz. Andere wirken skeptisch bis scheu oder scheinen gar zu zweifeln. Allen ist eine unglaubliche authentische Präsenz eigen, die im Blick, in der Haltung, in der Würde zum Ausdruck kommt.
Die Afrikanerin Nadège Ngalula.
Abgebildet werden 66 Frauen aus allen Landesteilen und unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen, grosse, kleine, alte, junge, berühmte und unbekannte. Der Schweizer Pass spielte bei der Auswahl der Protagonistinnen keine Rolle. Neben den Bildnissen der Politikerinnen Doris Leuthard, Beatrice Simon und Doris Mauch finden sich in dem Buch auch einmalige Fotos der Ex-Chefanklägerin Carla Del Ponte, der Installationskünstlerin Pipilotti Rist, der Opernsängerin Noëmi Nadelmann, der Skifahrerin Michelle Gisin und der Fernsehfrau Andrea Vetsch.
Zu den unbekannten Personen gehören eine Schülerin, eine Bäuerin, eine Sekretärin und eine Kunstsammlerin. Das jüngste Gesicht gehört der zweijährigen Julie Guignard, das älteste der 99jährigen Galeristin Alice Pauli. Der Fotograf meidet jeden Anstrich nationaler Färbung oder gesellschaftlicher Bedeutung. Es geht ihm um die individuelle Verbundenheit mit der Schweiz. «Starke Frauen braucht das Land» lautete einst ein Slogan der Frauenbewegung. «Ausdrucksstarke Frauen hat das Land» könnte die resümierende Antwort der Autoren des sorgfältig produzierten Bildbandes lauten.
Aussergewöhnlich sorgfältige Produktion
Pipilotti Rist.
Die Qualität beginnt beim grosszügigen Format (29 x 32 cm) und dem eleganten, halbtransparenten Schutzumschlag, setzt sich mit dem schweren Buchpapier fort, bedruckt im hochwertigen Triplex-Verfahren. Dadurch erhalten die Bilder eine besondere Tiefe und Plastizität, ein ungewöhnliches Schwarz sowie feinere Nuancen, was ihnen eine kraftvolle Präsenz verleiht.
Erarbeitet in intensiven Begegnungen, gelingen Christian Scholz Momentaufnahmen voller Wertschätzung gegenüber den dargestellten Frauen. Keine Spur von Voyeurismus, im Gegenteil, die Fotos überzeugen dank grosser Intimität und Privatheit.
Der Kunstband folgt einer klassischen Dreiteilung: Im ersten Teil sind traditionelle Porträtperspektiven publiziert, fotografiert mit grosser Detailverliebtheit bei natürlichem Licht. Im zweiten Teil werden spielerische Detailansichten wie Augen, Haare und Hände der Protagonistinnen präsentiert. Im dritten und letzten Teil widmet sich der Fotograf dem Dreiviertelprofil, das in dem Band seinen eigenen Reiz hat.
Zeit und Höhe des biografischen Raums
Die Galeristin Alice Pauli.
An der Vernissage im Berner Rathaus erläuterte der Künstler die Alleinstellungsmerkmale seiner Aufnahmen: «Die Dargestellten kommen dem Betrachter nicht nahe. Stattdessen gewinnen sie an Präsenz, Struktur sowie Kraft in der Darstellung. Man erkennt die Tiefe der Zeit und die Höhe des biografischen Raumes in den Abbildungen,» sagte Scholz in seiner Rede. Als zweite Eigenschaft nannte er die Tatsache, dass die Dargestellten in seinem Buch alle positiv in Erscheinung treten. Auch diejenigen, die aus der Fremde kommen. «Letztere haben den Alltag ebenso gestemmt, haben Mehrwert für die Schweiz geschaffen, auch ohne Schweizer Pass. Sie gehören zum Bildraum Schweiz, zur Leistungskraft, zum Wohlstand unseres Landes.»
«Frauen zu porträtieren ist für einen Mann immer ein Wagnis», findet der Künstler. Es brauche «Mut, Vorsicht, Kühnheit, Respekt sowie ein Gespür für eine oft einmalige, aussergewöhnliche Situation, die den künstlerisch-visuellen Dialog erst gelingen lässt.» Scholz hat mit den Porträtierten viele Stunden verbracht, mit ihnen gesprochen, mit ihnen gelacht oder geschwiegen. «Die Situation» nennt der Künstler den Moment der Aufnahme. Gemeint ist: «Die Situation der rasenden Augenblicke, Impuls und Verdichtungen». Den Anspruch hat er voll erfüllt.
Heldinnen bei der Gestaltung des Landes
Die Zürcher Stadtpräsidentin Doris Mauch.
Der Bildband thematisiert auch die Frage nach der Essenz der fotografischen Darstellung des Menschen inmitten der Bilderflut unserer Informationszeitalters. In einem Nachwort schreibt Tatyana Franck, Direktorin des «Musée de l`Élysée» in Lausanne: «Frauen haben massgeblich zum Aufbau, zur Gestaltung des Landes beigetragen und immer wieder neue Türen für neue Ideen und Gedanken anderswo geöffnet.» Ihnen allen haben der Verlag und der Fotograf einen wunderbaren Bildband gewidmet.
Über den Künstler
Christian Scholz ist ein Fotokünstler alter Schule. Seit dreissig Jahren erforscht er im «Projekt 501 – Portraitwerk Schweiz – das rätselhafte Zeichensystem des menschlichen Antlitzes» – stets analog, in Schwarzweiss und in natürlichem Licht. Ein Vorhaben von nahezu enzyklopädischer Dimension. Scholz (geboren 1951 in Stockholm) ist mit seinen Werken in Sammlungen des In- und Ausland bekannt. Sein Interesse gilt fast hemmungslos einzig der Zeit. Die Kamera versteht er als Mittel, dieser ein Antlitz zu geben, zum Beispiel mit dem klassischen Portrait. Scholz lebt und arbeitet in Zürich.
Bibliografie:
Christian Scholz
Portraits – Femmes de Suisse
132 Seiten, 66 s/w Abbildungen, gebunden, mit transparentem Schutzumschlag, 29 x 32 cm, Deutsch/Englisch/Französisch, ISBN 978-3-85616-940-4
Link: Christoph Merian Verlag
Titelfoto: An der Vernissage zeigte der Fotograf Christian Scholz die Aufnahmen der Berner Regierungsrätin Beatrice Simon (links) und von alt Bundesrätin Doris Leuthard. (rechts) Foto: © Peter Schibli
Alle übrigen Fotos: © Christian Scholz