Das Schauspielhaus Bochum gastiert mit dem grossen Shakespeare-Klassiker «King Lear» am Schauspielhaus Zürich, grandios nüchtern inszeniert von Intendant und Regisseur Johan Simons.
«King Lear» gilt als Shakespeares grausamste und am schwersten zu spielende Tragödie. Der alte König Lear hat sein Reich an die falschen Töchter abgegeben – bald trachten sie ihm nach dem Leben, worüber Lear wahnsinnig wird. Die verstossene jüngste Tochter Cordelia will ihn retten, fällt aber selbst Intrigen zum Opfer. Aus Schmerz über ihren Tod stirbt Lear – wie auch die meisten anderen Figuren. Mit „King Lear“ hat Shakespeare ein echtes Meisterwerk geschaffen, das heute noch hochaktuell ist. Es ist oft das Streben nach Macht, das die Mächtigen eiskalt und skrupellos werden lässt, selbst den engsten Vertrauten gegenüber.
Am Boden zerstört: Pierre Bokma als König Lear.
«Eine unverkennbare Johan Simons-Inszenierung ist diese King Lear-Tragödie, die der Bochumer Intendant zur Spielzeiteröffnung im September 2020 auf die Bühne brachte», schreibt ein Kulturmagazin nach der Bochumer Premiere. Nunmehr gastiert die Bochumer Inszenierung als Zürcher Premiere auf der Pfauenbühne des Schauspielhaus Zürich. Keine Frage: Regisseur Simons hat es meisterlich verstanden, diesen gewaltigen Stoff in drei Stunden mit Pause packend zu inszenieren. Langeweile kommt nie auf.
Ein entschleunigtes Spiel
Wie von Simons gewohnt entschlackt er die Tragödienhandlung und entschleunigt das Spiel seines Ensembles, das auf einer fast komplett leeren Bühne von Johannes Schütz agiert. Rechts türmt sich ein kleiner Erdhügel auf, an dem der greise Lear die Teilung des Reiches wie an einem Sandkastenmodell durchexerziert und in dem später viele der zahlreichen Leichen dieses Stücks versinken. Im Hintergrund zwischen ungleich hohen Durchgängen ist die Kaffeeküche eines Büros zu erahnen. Grossformatige Videoeinspielungen mit den wartenden Protagonisten im Hinterzimmer illustrieren die Verlorenheit und Verzweiflung der involvierten Figuren. Mit hell-dunklen Lichteinfällen und raumgreifenden Soundklängen wird die Geschichte dramatisch vorangetrieben, werden die düsteren Vorahnungen lanciert.
Das heuchlerische Geschwisterpaar tot am Boden: Mourad Baalz als Goneril und Michael Lippold als Regan. Fotos: JU Bochum
Die Schauspieler agieren äussert karg, stellen meist sinnierende Gestalten dar, die um ihren jämmerlichen Zustand wissen. Vereinzelt kommt es zu Wut- und Temperamentausbrüchen, doch insgesamt wird eine nüchterne Handlung geboten, stehen die Dialoge im Mittelpunkt. Wortlastig ist der Abend alleweil, erfordert hohe Konzentration. Während die beiden Töchter Goneril und Regan die Familienidylle heucheln und ein Stück vom Königreich erhalten, geht die jüngste Tochter Cordelia wegen ihrer kantigen Art leer aus, wird dem französischen König zur Frau überlassen und kehrt als Hausnarr zu ihrem Vater zurück. Mit der Verrücktheit erkennt Lear, was er im Leben verkehrt gemacht hat, doch selbst sein Narr muss erkennen, dass er nicht mehr helfen kann. Gleiches gilt für die Parallelhandlung um Gloster und seine Söhne Edgar und Edmund. Auch sie führen sich selbst unaufhaltsam in den Untergang.
Es gibt nur Verlierer
An diesem Tragödien-Abend gibt es nur Verlierer: den greisen König Lear (Pierre Bokma), der sich täuschen lässt, den Halt verliert und in geistige Umnachtung fällt, aber auch die intriganten Strippenziehernnen, seine Töchter Goneril und Regan (Mourad Baaiz und Michael Lippold) und der uneheliche Sohn Edmund (Patrick Berg) sowie Gloster (Steven Scharf) und sein echter Sohn Edgar (Konstatin Bühler). Am Ende liegen alle tot am Boden, Cordelia (Anna Drexler) arrangiert sie. Alle Darstellende spielen sehr kontrastreiche Figuren, allen voran Pierre Bokma, der Lears langsamem Untergang höchst dramatische Momente verleiht, und Anna Drexler, die als kantige Tochter Cordelia ihr widerborstiges Verhalten prall und unbeschwert auslebt. Dafür gabs am Zürcher Premierenabend viel Applaus.
Weitere Spieldaten: 9., 10., 11., 12., 14., 15. Dezember