StartseiteMagazinLebensartArchaische Erdmütter im Wallis

Archaische Erdmütter im Wallis

In ihrem Buch «Bergmütter, Quellfrauen, Spinnerinnen» stellt Ursula Walser-Biffiger 51 Sagen und Geschichten aus dem Wallis vor. In den weiblichen Sagengestalten, die häufig als gruselige böse Hexen erscheinen, sucht sie nach deren Ursprung und entdeckt kraftvolle, weise Frauen.

Wild, wirkmächtig und geheimnisvoll sind die Frauenfiguren, die unsere Sagenwelt bevölkern. Die Erzählungen kreisen um lokale Ahnfrauen, um Ereignisse, die tief in der Walliser Landschaft verwurzelt, über Generationen weitergetragen und zu einem wichtigen Kulturgut geworden sind.

Aletschgletscher Felsnase. Berge eröffnen eine archaische Welt.

«Sagenerzählen war immer schon ein lebendiger Prozess – wie ein altes, wertvolles Tuch, das von Menschen verschiedener Generationen gesponnen, gefärbt, gewebt, geflickt aufgetrennt und neu vernäht wird», schreibt Ursula Walser-Biffiger auf ihrer Webseite. Viele der Sagen stammen aus bekannten Sammlungen, einige waren nur bruchstückhaft überliefert, manche sind in der Begegnung mit der archaischen Natur der Alpen komplett neu entstanden. Die Autorin stellt nicht nur eine Sammlung von Sagen vor, sondern sie erforscht auch kulturhistorische Hintergründe und legte Zusammenhänge frei, die weit über das Wallis hinausweisen.

Das Matterhorn als archaische Bergmutter.

Berge werden überall auf der Welt als Göttinnen oder Urmütter verehrt. Das Matterhorn zieht heute millionenfach Touristen und Alpinisten an. Die frühen Menschen sahen im Matterhorn eine machtvolle Bergmutter und verehrten sie an Kultplätzen. Zwei grosse prähistorische Steinplatten mit Schalen und Ritzungen sind bei Zermatt erhalten. Die Mütterlichkeit der Berggöttin umfasst die Welt der Lebenden und sie nimmt auch die Seelen der Verstorbenen in ihrem Eismantel auf, schreibt die Autorin. An vielen vorgeschichtlichen Kultstätten stehen heute Marienkapellen, die auf die Urmutter oder Ahnfrau hinweisen.

Alter Kirschbaum, Mühlebach. Die «wilden» Frauen wurden durch das Christentum entweder Heilige oder dämonisiert.

In den Sagen unterstehen Natur, Landschaft, Berge, Flüsse und Quellen dem weiblichen Mythos. Die Natur ist in den Bergen und Tälern oft wild und unberechenbar und so stehen auch die Walliser Erzählungen in Verbindung mit archaischen, starken, wilden Frauen, die später durch das Christentum verfälscht wurden. Im Wallis waren es hauptsächlich Pfarrherren, die die Geschichten aufschrieben und überlieferten. Den katholischen Geistlichen lagen jedoch die männlichen Protagonisten näher als die unheimlichen Frauengestalten, die nicht dem christlichen Moralverständnis entsprachen. Ein Grund sie zu dämonisieren.

Tanz der Lärchen. Wird die Ahnin nicht respektiert, wird sie als Bedrohung angesehen.

In der Lötschentaler Sage Die Kronenschlange stellt eine Hirtin einer weissen Schlange mit einer Krone regelmässig eine Schale mit Milch hin. Als Männer die Krone mit List entwenden, verschwindet die Schlange für immer und mit ihr auch der Wohlstand. Die Schlange als Erscheinungsform der Erdgöttin sichert ein gelingendes Leben, solange die Menschen sie respektieren und mit ihr im Austausch stehen. Doch vergessen sie den sorgsamen Umgang mit ihr, wird die Schlange nur noch als gefährliches Wesen wahrgenommen, das gemieden oder getötet werden muss.

Arven im Nebel. Erdgöttinnen nehmen im Nebel die unterschiedlichste Gestalt an.

Im Goms sollen die Alpknechte die Hohbachspinnerin noch im letzten Jahrhundert gefürchtet haben. In den Sagen erscheint sie als altes Weib mit langen Zähnen und einer bösartigen schwarzen Katze auf den Schultern. Stets arbeitet sie mit der Handspindel, dabei beeinflussen die gesponnenen Fäden das Schicksal der Menschen. Sie tut niemandem etwas zuleide, erschreckt nur faule Mädchen. Auf Anraten der Kirche werden vier gesegnete Holzkreuze an jeder Ecke der Alp vergraben, worauf die Hohbachspinnerin mit der Katze verschwindet. Im Wallis wird sie als Arme Seele, die für ihre Sünden büssen muss, verstanden.

Ursula Walser-Biffiger stellt mit der spinnenden Frau und der Katze eine Verbindung mit dem Berchta-Hulda-Mythos her, der in den Märchen durch Frau Holle überliefert ist. Frau Holle verkörpert eine weibliche Erd- und Himmelsgöttin, die über die Elemente, das Wetter und die Jahreszeiten regiert. Sie wurde unter verschiedenen Namen verehrt, wie etwa Holle/Hold/Hel, das im deutschen Sprachraum verhüllt, hell entspricht oder Bercht/Berta/Perchta, glänzen, leuchten, so wie die Gletscher und Schneefelder.

Die helle Eishöhle erinnert an Frau Holle oder Perchta.

Nach dem alten Volksglauben lebt Frau Holle sowohl auf dem Berg als auch im Untergrund. Wie alle Muttergöttinnen ist sie für Leben und Tod zuständig. Sie wandelt gerne ihre Gestalt. Einmal ist sie jung und schön, dann auch wieder alt und hässlich. Sie beschenkt die Menschen, stellt sie auf die Probe, warnt oder droht. Sie unterstützt jene, die ihren natürlichen Gesetzen folgen. Die Kirche versuchte die Holle/Percht zu verbieten. Noch in den Hexenprozessen des 17. Jahrhunderts wurden Angeschuldigte gefragt, ob sie Kontakt zu ihr hätten. Da das vollständige Auslöschen der alten Göttin nicht gelang, wurde sie entweder zur heiligen Bertha oder als Schreckgespenst dämonisiert.

Das Buch ist ansprechend gestaltet mit stimmungsvollen Fotografien aus dem Wallis von der Autorin.

Frau Holle gehört zu den ältesten Märchenfiguren, die durch Droherzählungen wilde Mädchen zu braven und tüchtigen Hausfrauen machen sollte. Erst dank jüngster Recherchen wird in Frau Holle wieder eine der grossen Naturgöttinnen und Ahnfrauen entdeckt.

Ursula Walser-Biffiger ist im Oberwallis in den Bergen aufgewachsen und seit ihrer Kindheit mit den elementaren Kräften, den Sagen und Mythen vertraut. Sie setzt sich seit Jahren mit Landschaftsmythologien auseinander und publizierte dazu mehrere Bücher. Heute lebt sie im Schweizer Mittelland, kehrt aber immer wieder ins Wallis zurück.

© Alle Bilder von Ursula Walser-Biffiger, mit freundlicher Genehmigung und bestem Dank.

Ursula Walser-Biffiger, Bergmütter, Quellfrauen, Spinnerinnen. Sagen und Geschichten aus dem Wallis, Verlag Hier und Jetzt, Zürich 2021. ISBN 978-3-03919-537-4

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