StartseiteMagazinKulturPiatti und seine Eulen

Piatti und seine Eulen

Die beliebtesten Taschenbücher waren vor einem halben Jahrhundert jene vom Deutschen Taschenbuch Verlag. Nicht zuletzt wegen der Illustrationen von Celestino Piatti (1922-2007) auf dem Deckel. Am 5. Januar 2022 ist sein hundertster Geburtstag.

Zu diesem Anlass ist unter dem Titel Alles, was ich male, hat Augen ein grossformatiges Erinnerungsbuch an den grossen Grafiker und Illustrator erschienen, publiziert vom Christoph Merian Verlag, Basel, und der dtv Verlagsgesellschaft, München.

Der Grafiker Celestino Piatti auf dem Balkon seines Basler Ateliers, im Hintergrund eines seiner Plakate (für das Basler Tierheim), 1972

Das in enger Zusammenarbeit mit dem Verein «Celestino Piatti – das visuelle Erbe» entstandene Buch zeigt das Werk Piattis in seiner ganzen Fülle: Plakate, Briefmarken, Illustrationen und die legendären Umschläge der dtv-Taschenbücher belegen die Vielseitigkeit des in Wangen (ZH) als Sohn eines Tessiner Steinhauers und einer Zürcher Bauerntochter geborenen und in Dietlikon aufgewachsenen Künstlers. In Zürich ausgebildet lebte und arbeitete Piatti seit 1948 in Riehen und Basel als selbständiger Grafiker. 1974 zog er nach Duggingen im Laufental, wo er sich ein zweites Atelier einrichtete.

Das von der Literaturwissenschafterin und Publizistin Barbara Piatti, der Tochter des Künstlers, und vom Historiker Claudio Miozzari herausgegebene Erinnerungsbuch beleuchtet Piattis Werk in vier Kapiteln. Das erste stellt den Plakatkünstler vor, der sich schon kurz nach Beginn seiner Karriere als Werbegrafiker mit eingängigen Sujets einen Namen machte, unter anderem mit den in den Liga-Läden der Basler Konsumgesellschaft BKG abgegebenen Rabattmarken.

Celestino Piatti – Plakat für Ovomaltine, 1963

Die Erfindung des Hamsters, der ab 1961 bis in die 1970er Jahre in vielen Variationen für fleissiges Märklisammeln warb, machte seine Kunst populär. Hier sind schon zwei Elemente der Piatti-Kunst präsent: ein Tier als Sympathieträger und die stilisierte Zeichnung mit einer kräftig-schwarzen Kontur. Insgesamt schuf Celestino Piatti rund 500 Plakate für Konsumgüter, aber auch für Bücher, Zeitungen und für politische Anliegen, die er unterstützte.

Celestino Piatti – Plakat für die Einführung des Frauenstimmrechts im Kanton Basel-Stadt im Jahr 1959

Der zweite Teil des Buches ist der dreissigjährigen Zusammenarbeit mit dem Deutschen Taschenbuchverlag gewidmet, für den Piatti im Laufe der Zeit nicht nur rund 6300 Buchumschläge entwarf, sondern auch die Corporate Identity für das von elf Buchverlagen zur Zweitverwertung ihrer Produktion gegründete Gemeinschaftsunternehmen entwickelte – Briefpapier, Prospekte, Plakate. Piattis Arbeit für den Deutschen Taschenbuchverlag hat die Buchgestaltung und -präsentation in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachhaltig geprägt. Mit dem Verleger Heinz Friedrich verband ihn nicht nur eine solide, professionelle Geschäftsbeziehung, sondern auch eine herzliche Freundschaft. Piatti, erinnert sich Heinz Friedrich, «verfügte über eine schier unbegrenzte Bildfantasie» und «über einen Sinn für das praktisch Machbare … wie ich das bisher in solcher Übereinstimmung bei einem Grafiker noch nie erlebt hatte: der Künstler als Handwerker, und der Handwerker als Künstler».

Impression aus Celestino Piattis ehemaligem Basler Atelier, aufgenommen 2019. Foto: Basil Huwyler, Verein Celestino Piatti – das visuelle Erbe

Auf das Handwerk des Grafikers legen die Herausgeberin und der Herausgeber des Buches besonderes Gewicht. An zahlreichen Beispielen zeigen sie, wie sich Celestino Piatti zeitlebens in der analogen Welt einrichtete. Seine Werkzeuge waren Pinsel, Federn und Farbstifte, Wasserfarben und Tusche, Schere und Federmesser, Transparentpapier und Leim. Texte musste er setzen und drucken lassen, um sie anschliessend mit seinem Bildentwurf zu verbinden. Das war jeweils – gerade bei den Buchumschlägen – ein aufwändiges Hin und Her zwischen Basel und München.

Celestino Piatti – Eule mit roten Augen auf blauem Grund, Lithografie, 1966. »Man kann eine Eule tausendmal zeichnen, an ihr Geheimnis kommt man nicht heran.«

Im dritten Teil fokussiert die Publikation zum Jubiläum auf die sieben Kinderbücher, die Celestino Piatti zwischen 1963 und 1976 für den Zürcher Artemis-Verlag gestaltete. Als er sein erstes Kinderbuch Eulenglück entwarf, hatte er mit kindgerechten Illustrationen bereits Erfahrung. Schon 1954 hatte er zusammen mit Marianne Piatti-Stricker, seiner ersten Frau, eine Rechenfibel mit dem baseldeutschen Titel Ains, zwai, drei, du bisch frei für die erste Klasse geschaffen. Die Illustrationen stammten von Marianne Piatti. Einige Jahre später erhielten die Piatti vom Lehrmittelverlag des Kantons Basel-Stadt den Auftrag zur Gestaltung der Lesefibel Anneli und Hansli. Die als Loseblatt-Sammlung konzipierte Fibel wurde von 1959 bis in die 1980er-Jahre verwendet. Sie wurde in verschiedenen Kantonen der Schweiz eingesetzt, entsprechend hoch waren die Auflagen.

Der Leiter des Zürcher Artemis-Verlags, Bruno Mariacher (1922-2011), gilt als Entdecker Piattis als Buchgestalter. Er vermittelte ihm 1960 den Kontakt zum neu gegründeten dtv-Verlag und gab ihm wenig später den Auftrag zur Illustration des Eulenglück-Kinderbuchs. Das Werk des holländischen Jugendstil-Künstlers Theo van Hoytema (1863-1917) mit einem Text seiner Frau Tine erschien zum ersten Mal 1895 unter dem Titel Uilengeluk in Amsterdam.

Buchcover: »Eulenglück« erschien 1963. Heute ist Piattis Parabel der Zufriedenheit ein Klassiker des NordSüd Verlags.

Wie schon die holländische Urfassung war die Artemis-Version ein Bestseller. Auch die weiteren Kinderbücher waren erfolgreich. Besonders gilt dies für das ABC der Tiere. Für drei der sieben Titel steuerte Piattis zweite Frau, die Journalistin Ursula Piatti-Huber (*1942), den Text bei. Der Zürcher NordSüd-Verlag, der das Kinderbuchprogramm von Artemis übernommen hat, legt zum Jubiläum alle Werke in dem Sammelband Piatti für Kinder neu auf.

Der vierte Teil der Retrospektive ist dem frei schaffenden Künstler gewidmet. Das Kapitel versammelt frühe Arbeiten und Entwürfe, die zum Teil unbekannt geblieben sind. Und es befasst sich mit Piattis Faszination für die Eule, die in der Antike als Symbol der Weisheit verehrt und im späten Mittelalter als Dienerin von Hexen und Teufeln gefürchtet wurde. Celestino Piatti hielt sich an die antike Tradition und machte das Tier zu seinem freundlichen Lieblingsvogel. Neben den Eulen und anderen Tieren inspirierten ihn Häfen und Schiffe. Auf seinen Reisen in die Mittelmeerländer und nach Irland fotografierte, skizzierte und malte er Fischerboote – und machte auch einige mit Augen zu natürlichen Wesen.

Impression aus Celestino Piattis Privatarchiv, aufgenommen 2021. Foto: Basil Huwyler, Verein Celestino Piatti – das visuelle Erbe

Auch als Künstler, der ohne Auftrag arbeitete, blieb Piatti ein Handwerker. Er liebte den Holz- und den Linolschnitt, und besonders faszinierte ihn die Lithografie. Mit Thomi Wolfensberger (*1964), dem Leiter der Steindruckerei Wolfensberger in Zürich, pflegte er eine enge Beziehung. Schon seit 1902 galt der Betrieb als erste Schweizer Adresse für den Druck von Künstlerplakaten und stellte Lithografien für zahlreiche Künstler her – von Ferdinand Hodler und Cuno Amiet bis zu Hans Erni, Alois Carigiet oder Jean Tinguely. Zu den Bildern gesellten sich gelegentlich auch Skulpturen aus Holz und Metall. Bis ins hohe Alter stellte Piatti seine Werke aus. Rund 50 Einzelausstellungen sind dokumentiert.

Zum professionell inszenierten Material im Jubiläumsbuch gehören auch persönliche, mit Bildern aus dem privaten Fotoalbum illustrierte Erinnerungen der Familie Piatti. Aufschlussreich sind die Auszüge aus dem intensiven Briefverkehr zwischen dem dtv-Verleger Heinz Friedrich und seinem Art Director Piatti sowie Äusserungen von gut drei Dutzend Freunden, Bekannten und anderen Zeitzeugen.

Das Erinnerungsbuch: Miozzari, C. und Piatti, U. (Hrsg.): Celestino Piatti. Alles, was ich male, hat Augen/Everything I Paint Has Eyes, Basel und München 2021 (Christoph Merian Verlag/dtv)
ISBN 978-3-85616-950-3 

Zeitgleich mit dem Erinnerungsbuch publiziert der NordSüd Verlag, Zürich, Piattis sieben Kinderbücher in einem Sammelband unter dem Titel
«Piatti für Kinder» Zürich 2021.
ISBN: 978-3-314-10574-6

Titelbild: Celestino Piatti – Originalgemälde, Covermotiv für GRAPHIS 115, 1964

Alle Bilder: © Verein Celestino Piatti – das visuelle Erbe

In Grellingen BL ist am 5. Januar 2022, dem 100. Geburtstag Celestino Piattis, von 16 bis 22 Uhr und am 8. und 9. Januar 2022 von 10 bis 20 Uhr ist das Archiv offen. Eine Anmeldung auf der Website Celestino Piatti/Piatti-Tage ist erforderlich. Ein Covid-19- Zertifikat ist Pflicht.

In Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus feiert München vom 13.-16. Januar 2022 Piatti-Tage. Und in Zürich plant der NordSüd Verlag vom 4. bis 6. März 2022 einen Jubiläums-Anlass. Weitere Informationen finden Sie auf der Website Celestino Piatti

Zum Autor: Jürg Bürgi (*1943) hat seine journalistische Laufbahn nach dem Studium an der Universität Basel bei der National-Zeitung, Basel, begonnen. Er war Schweizer Spiegel-Korrespondent bis 1999, hat Bücher publiziert und schreibt heute auf seiner Webseite zu Themen wie Entwicklungspolitik, Medien und Journalismus, Kunst und Kultur, Politik, Internet und Computer.

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