Ich wage fast nicht über sie zu schreiben! Sie ist so zerbrechlich geworden: Die Idee der Freiheit.
Und dabei war sie ein sicherer Wert, seit der Französischen Revolution mit dem Gedanken der Menschenrechte, und der Aufklärung, die das Gemeinwohl in den Vordergrund stellt. Sie, die Freiheit, sollte fortan nicht dem Egoismus des Einzelnen unterstellt sein, sondern freiwillig sich beschränken, wo immer Rücksicht auf Andere notwendig wurde. Unsere Bundesverfassung und mit ihr alle kantonalen Verfassungen gehen von diesem Grundgedanken aus. Er gilt ohne Ausnahme für alle Gesetze in der Schweiz.
Vielleicht war es dem Romanhelden Robinson Crusoe noch möglich, einfach nur an sich zu denken und zu machen, was immer er wollte auf seiner einsamen Insel. Aber spätestens als er einen Kollegen hatte – er nannte ihn Freitag – änderte sich sein Leben. Ab diesem Moment musste er die Früchte am Baum mit ihm teilen; auch konnte er seinen Übernachtungsort nicht beliebig festlegen. Er merkte, dass er manchmal den anderen störte und musste sich deshalb entsprechend einrichten.
So einfach ist es also nicht mit dem Freisein in einer Gesellschaft. Es scheint seine Grenzen zu haben.
Ich habe das grosse Glück gehabt, vor fast 50 Jahren zwei Semester in Genf bei Jeanne Hersch zu studieren. Das eigentliche Hauptthema der damals sehr bekannten Schweizer Philosophin war die Freiheit. Ihre Überlegungen beschäftigen mich noch heute:
Der Mensch ist ein freies Wesen. Das scheint selbstverständlich zu sein. Von Geburt an aber stösst der Mensch an Grenzen. An Grenzen seiner physischen und später auch psychischen Freiheit. Da ist das Babybett mit dem Sicherheitsschutz auf beiden Seiten, da ist das Laufgitter, da sind die Wände in der Wohnung, die Tische und Stühle und vieles mehr. Alles Grenzen, die man akzeptieren lernt. Niemand geht wahrscheinlich gerne zweimal mit dem Kopf durch die Wand, weil es kein Vergnügen ist. Vielmehr erfordern „Wände“ eine Entscheidung, nämlich auszuweichen, anzuhalten oder gar zurückzugehen.
Auch später, als junge Erwachsene oder überhaupt als Erwachsene, erleben wir auf Schritt und Tritt Einschränkungen unserer Freiheit. Und die Entscheide werden schwieriger: Jemand will eine Ausbildung machen: Welche soll es sein? Welche ist erfolgversprechend? Welche wird mich froh machen? Oder jemand entscheidet sich für eine Ehe mit einem geliebten Menschen oder aber schweren Herzens für eine Trennung. Ein anderer fällt den Entscheid auszuwandern. Oder, für uns ganz selbstverständlich, man hat bei einer Abstimmung die Wahl, ja oder nein zu sagen oder aber sich der Stimme zu enthalten. Und in einem Ernst- oder gar Katastrophenfall gilt es sogar, sich einem Entscheid für die Allgemeinheit pflichtgemäss zu unterordnen.
Immer ist es also eine Entscheidung, die wir fällen müssen, weil die Freiheit halt immer begrenzt ist. Und eine Entscheidung bedeutet die Übernahme von Verantwortung. Man weiss, warum man etwas so entschieden hat und verantwortet es. Denn auch, wenn man sich entscheidet, keine Entscheidung zu fällen, ist es eben eine Entscheidung und damit eine Verantwortung, die man übernommen hat.
„Es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung“, sagt deshalb Jeanne Hersch. Und sie sagt damit auch, dass die Freiheit nie ohne Grenzen ist.
Eine totale Freiheit gibt es nicht für den Menschen. Denn der Mensch ist immer abhängig von seiner Umgebung, von seinen Mitmenschen, von Entscheiden, von Wünschen und Träumen, auch von Gesetzen und Regeln. Er ist nie nur selbstbestimmt. Er steckt immer im Relativen. Damit muss er sich abfinden oder zumindest arrangieren. Dafür hat er seine Vernunft und seinen Verstand.
Mit der Zeit hat sich für den Gebrauch der Freiheit eine Ethik entwickelt. Bis heute stützt man sich auf den sogenannten kategorischen Imperativ von Immanuel Kant, in dem darauf hingewiesen wird, dass persönliche Freiheit höchstens soweit geht, als dass sie dem Anderen nicht schadet. Das heisst: Sie ist beschränkt und immer als Verantwortung für die Allgemeinheit, für das Gemeinwohl zu verstehen.
Diese Überlegung haben wir, wie bereits gesagt, in unserer Gesetzgebung übernommen. Ganz am Anfang unserer Verfassung, in der sogenannten Präambel, heisst es, dass das Schweizervolk und die Kantone sich die Verfassung geben
- im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben, und
- in der Gewissheit, dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen.*
Dieses Bekenntnis ist ein hohes Gut einer kulturellen und politischen Entwicklung: für eine Freiheit, die immer gleichzeitig Verantwortung ist, für die Gemeinschaft, für das Gemeinwohl.
Ich meine, wir alle dürfen uns eingestehen, dass eine solche Haltung hohe Anforderungen an jeden Einzelnen von uns stellt. Und das wiederum beweist, dass Freiheit in einer Demokratie etwas so Kostbares ist, dass wir sie miteinander teilen sollen.
*Ich nehme hier nur zwei Nennungen von den im Ganzen sechs, die die Präambel umfasst.
Der Beitrag wäre interessanter geworden, wenn dieses Thema im Kontext zu der seit zwei Jahre andauernden Pandemie und den damit verbundenen Freiheitseinschränkungen, geschrieben worden wäre. Ich meine damit nicht die absolute Freiheitsdefinition der Impf- und Massnahmengegner. Ich meine den dauerhaften Schaden, den eine freiheitliche Gesellschaft nehmen wird, angesichts der massiv zunehmenden Ausweitung der Staatsmacht und Beschneidung unserer Privatleben. Neuseeland will z.B. ein kompletes Tabakverbot einführen. Auch bei uns werden weiter gehende Verbote und Einschränkungen für Tabakkonsum und -Werbung erwogen. Was kommt als nächstes ein Alkoholverbot, Reduzierung des Fleischkonsums, Zucker… Krankenkassenprämien nach BMI… Autoverbot in Innenstädten, überall 30 innerorts… usw. usf. Es ist unbestreitbar, dass die Politik und Verwaltung mit der Pandemie Appetit bekommen haben, unsere Leben, unsere Freiheiten weiter einzuschränken. Das enpfindet der «Normalbürger» zu recht als Drangsale und Freiheitsbeschränkung. Frustrierend für Otto Normalo, der sich an die Gesetze hält, feststellen zu müssen, dass unser Rechtsstaat Schwerkriminelle immer noch mit Samthandschuhen anfasst und trotz klarer Rechtslage einen ausländischen jungen Totschläger nach der Haftstrafe nicht ausweist sondern hier weiter verhätschelt. (s. Tagespresse) Ganz zu schweigen von den Opfern und Hinterbliebenen, die werden auch im Jahr 2022 immer noch allein gelassen! – Das Thema Freiheit und wie wir sie in Zukunft für unsere Gesellschaft definieren, ist aktueller denn je. Dass die persönliche Freiheit dort endet, wo die Freiheit eines anderen beginnt oder sie einschränkt… sich auf diesen Grundsatz zu einigen, ist nicht schwer… nur haben wir uns von diesem Freiheitsbegriff längst entfernt und der Staat mischt sich längst in unsere Privatsphäre ein oder ist zumindest daran, sie laufend weiter einschränken. Da müssen wir alle sehr wachsam und aktiv bleiben.
Bravo ! ein super Artikel – kann ich voll unterschreiben.
Regina Tscudi Ruch
Liebe Monika
Ein überzeugender, toller Artikel. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass diese Erkenntnisse und das Wissen um diese Zusammenhänge nicht verloren gehen.
Herzlich
Edi Class