Das ist meine letzte Kolumne. Und dazu wollte mir partout nichts einfallen!
Da erinnerte ich mich an das Spiel, das ich gelegentlich frühmorgens mit einer Freundin spiele. Wir tauschen Zitate aus. Mit dem Internet geht das einfach. Da gebe ich ein: «Zitate» und den gewünschten Begriff. Heute war es «Abschied».
Die Ernte, die mir entgegenkam, war reich. Aber die Auswahl war schwierig. Die Spanne war breit, vom Loslassen eines vertrauten Gegenstandes bis zum Verlieren eines nahestehenden Menschen.
Das passte mir alles nicht. So setzte ich mich in einen bequemen Stuhl und fing an, selbst zu denken. Das Wort «Abschied» führte mich zu «Dankbarkeit». Das hatte ich doch oft erlebt. Zuerst einen Schmerz oder eine Unlust, denn Abschied führt immer auch zu Verlust und Veränderung. Und dann wurde das überdeckt durch ein aufwallendes Gefühl der Dankbarkeit.
Das hatte ich erfahren bei der Rückkehr aus meinen ersten Ferien in den USA, vor vielen Jahren. Was hatte ich nicht alles erleben dürfen! Neue Landschaften, neue Menschen kennen gelernt. Freundschaften geschlossen, die bis heute dauern. Wir haben uns über die Jahre hindurch immer wieder getroffen, aber wir haben uns auch immer auf dem Laufenden gehalten.
Mit Belustigung denke ich daran, wie ich damals hierzulande gegen ein Vorurteil ankämpfen musste. Die Amerikaner seien oberflächlich, hiess es, man könne mit ihnen keine «tiefen Beziehungen» pflegen. Am Schluss hatte ich nur noch eine Antwort: «In der Schweiz kenne ich viele Menschen, mit denen ich «tiefe Beziehungen» pflegen kann. Aber in den USA finde ich immer jemanden, der mich zum Flughafen fährt!» Damit spielte ich auf die mich völlig überraschende Erfahrung an, dass vor meiner Wegfahrt aus dem nahen und fernen Bekanntenkreis zig Telefonanrufe eingingen: «Hat Judith jemanden, der sie zum Flughafen fährt?» Ich hatte jemanden. Aber diese vielfältige Nachfrage, ob eine konkrete Hilfeleistung nötig sei, berührte mich.
Anders war es, wenn der Abschied gleichzeitig einen Neubeginn bedeutete. Das erlebte ich mehrmals bei beruflichen Veränderungen. Einmal allerdings, hatte ich mich vor den alles übertönenden nostalgischen Gefühlen nur retten können, indem ich ein Jahr lang nicht mehr an jenem Gebäude vorbeiging, in welchem ich zwanzig Jahre lang beruflich tätig war. Das war eine so interessante, befriedigende Zeit gewesen, die konnte ich nicht einfach «wegstecken». Aber die vergehende Zeit verhalf zur nötigen Distanz. Am Schluss blieb die Dankbarkeit für alles, was ich hatte erleben dürfen.
Wie ist es mit dem Abschied, dem endgültigen Abschied von einem nahestehenden Menschen, durch den Tod? Auch da machte ich mehrmals eine tröstliche Erfahrung. Der Schmerz des Verlustes musste durchgestanden werden. Aber dann kehrten die Menschen in die Erinnerung zurück. Und blieben dort. Unverlierbar! Und es wuchs die Dankbarkeit für alle Erlebnisse, welche diese Beziehungen begleitet hatten.
Dazu passt das Zitat, das mir bei der Morgenlektüre am besten gefallen hat: «Wenn wir dort sind, wo Du jetzt bist, werden wir uns fragen, warum wir geweint haben?»
Am Anfang habe ich geschrieben, dass das meine letzte Kolumne ist für Seniorweb. Auch diese Erkenntnis ist gepaart mit einem grossen Gefühl der Dankbarkeit. Schreiben ist für mich ein Lebenselixier seit meiner Primarschulzeit. Für einen Gedanken, ein Gefühl, die genauen Worte zu finden, machte mir immer grosse Freude. Da konnte ich auch einmal den Duden zu Hilfe nehmen. Deshalb bin ich auch Seniorweb und dem Kreis der Leserinnen und Leser sehr dankbar, dass ich hier die Gelegenheit hatte, Themen zu formulieren und zu veröffentlichen. Denn die Publikation eines Textes ist natürlich ein zusätzlicher Ansporn für Genauigkeit und gute Wortwahl.
Ich bin auch den Kolleginnen und Kollegen der Redaktion, besonders Bernadette Reichlin, die mich mit ihrem Fachwissen kundig begleitete, und unserem Chefredaktor Linus Baur, dankbar für die anregende Atmosphäre und die ernsthaften Diskussionen, in denen wir uns jeweils gemeinsam mit unseren Arbeiten befasst haben.
Gerne werde ich mich in Zukunft unter die Leserschaft mischen und geniessen, was uns diese Internetzeitschrift weiterhin bieten wird. Und hie und da, in Erinnerung an die vielen gemeinsamen, schönen Stunden, so ganz für mich allein lächeln oder schmunzeln!
Liebe Frau Stamm,
ich bedaure sehr, künftig keine Anregung für Bücher mehr zu bekommen. Gerade während Corona, als die Bibliotheken geschlossen waren und ich nicht mehr vor Ort schmökern konnte, genoss ich es Hinweise zu bekommen, so dass ich Bücher in der Bibliothek bestellen konnte. Sie verhalfen mir zu Lektüren, auf die ich ohne Corona wahrscheinlich nie gestossen wäre.
Dafür danke ich Ihnen herzlich und wünsche Ihnen gute kommende Wochen.
Liebe Grüsse
Irene Koch
Liebe Judith, ich werde Dein Lächeln, Deine Berichte, Deine Erinnerungen, Deine Überlegungen aus einem reichen Leben sehr vermissen! Alles Liebe und Gute! fv
Liebe Frau Stamm
Auch ich werde Ihre vielseitigen, spannenden Texte die ich stets mit grosser Begeisterung gelesen habe, echt vermissen. In besonderer Erinnerung bleibt mir der witzige «esprit d’escalier», den ich schon oft angewendet habe ohne mich gross aufzuregen!!
Alles Gute und auf eine gelegentliche Kolumne Ihrerseits freue ich mich sehr.
Ursula Feigel
Liebe Judith
Erst heute wird mir bewusst, dass ich dich künftig nicht mehr unter dem seniorweb finden kann. Soooo schade. Ich freue mich jedoch sehr, wenn wir uns bald wieder einmal physisch begegnen und austauschen können. Es war bereichernd, dich zu lesen. Vielen Dank!
Erna
Liebe Frau Stamm
Ich werde Sie vermissen. Auch wenn ich mich nie gemeldet habe, Ihre Artikel habe ich stets gern gelesen, auch viele andere Artikel von Seniorenweb.
Vielen herzlichen Dank. Ich wünsche Ihnen weiterhin gute Gesundheit und viel Freude.
Maria Brunner