StartseiteMagazinKulturJenny Holzer inszeniert Louise Bourgeois

Jenny Holzer inszeniert Louise Bourgeois

Grafik, Skulpturen, Malerei und gigantisch viel Geschriebenes hat Louise Bourgeois hinterlassen. Die mit Bourgeois befreundete und ebenso berühmte Künstlerin Jenny Holzer hat daraus fürs Kunstmuseum Basel eine faszinierende Ausstellung kuratiert.

Vielleicht sind auch Sie am Bürkliplatz, auf dem Bundesplatz, in Genf oder sonstwo unter Spinnenbeinen spaziert? Die riesige Skulptur nennt Louise Bourgeois (1911 Paris – 2010 New York) Maman und sie beeindruckt auch jene, die von der Künstlerin noch nie gehört haben. Keine der grossen Maman-Spinnen, aber Bourgeois` Gesamtwerk in überzeugender Auswahl ist nun in Basel ausgestellt.

So ungewöhnlich wie die Ausstellung Louise Bourgeois x Jenny Holzer ist deren Entstehung. Wäre Josef Helfenstein 2016 dem Ruf als Direktor nach Basel nicht gefolgt, hätte Jenny Holzer niemals die Carte Blanche des Museums bekommen, Louise Bourgois und ihr Werk zu präsentieren. Eine Ausstellung mit Zeichnungen hätte Jenny Holzer gemacht, aber nicht in Basel, sondern in Houston Texas, wo Helfenstein die Menil Collection and Foundation leitete.

Louise Bourgeois: Extreme Tension. 2007. © The Easton Foundation. Photo: Benjamin Shiff

«Ich dachte, das Projekt sei gestorben,» sagte er vor den Medienvertretern. Aber der Kontakt zu Holzer und zur Stiftung, wo der Nachlass liegt, blieb aufrecht. Seit 2019 hat Jenny Holzer die Basler Sammlungen immer wieder besucht, hat im Archiv viele tausend Tagebücher, Zeichnungen, lose Blätter und Serien von Bourgeois gelesen und begutachtet, aus anderen Sammlungen Werke geliehen, ihre riesige Auswahl aus einer fast unübersehbaren Überfülle getroffen und immer unterstützt von Kuratorin Anita Haldemann die Präsentation vorbereitet. Holzers Kunstinstallation verteilt auf neun Räume mit Projektionen im Aussenraum und Objekten im Hauptbau des Kunstmuseums. Und in den Liften empfängt einen Louise Bourgeois› Stimme, etwa mit einem Kinderlied.

Im Verbindungsgang steht die riesige Maschine «Twosome» von 1991. Foto: © Kunstmuseum Basel – Jonas Hänggi

Das grösste Objekt steht in der Passage zwischen Neubau und Hauptbau: Twosome (1991) erinnert in seiner Monumentalität und Schwärze an den Kessel einer Dampflokomotive, zumal der eine Teil auf Schienen vor- und zurückrollt in das etwas grössere Rohr, begleitet von Sound und rotem Licht aus dem Innern. Die Maschine verkörpert zentrale Inhalte von Louise Bourgeois` Schaffen: das männliche und das weibliche Prinzip, Vereinigung und Trennung mit einer sexuellen Konnotation. Und dem unheimlichen Rotlicht begegnet man ebenso verstörend in der zweiten grossen Arbeit Destruction of the Father (1974), einem Schlüsselwerk der Künstlerin, die lebenslang an der Bewältigung eines Vatertraumas zu kauen hatte. Kunst und Schreiben halfen ihr, Unsicherheiten und Lebensängsten zu widerstehen. Diese Installation virtuell zu erkunden, macht eine App möglich.

Louise Bourgeois: A Fly Caught in a Person’s Thought. Farblithographie auf Tuch. 2002. © The Easton Foundation / 2022, ProLitteris Zürich, Foto Christopher Burke

Holzer, selbst eine Frau der deutlichen Worte, hat den geschriebenen, gestickten, gestanzten Sätzen von Bourgeois spannungsvoll einen weiten Raum geboten. Die rund 500 Objekte aus dem riesigen Fundus folgen keiner Chronologie, auch wenn der erste Raum die Konfrontation der Künstlerin mit der Welt der Wolkenkratzer, die Isolation im Schicksal einer Mutter, Ehefrau und Künstlerin zeigt.

Ausstellungsansicht mit «The Destruction of the Father» 1974-2017 aus der Sammlung Glenstone Museum Potomac. Maryland. Foto: EC

Hier gibt es kleine Objekte, viele noch nie gezeigt, und hoch obendrüber Textbilder aus dem Buch He Disappeared into Complete Silence (1947), die ohne Feldstecher gar nicht gelesen werden können. Da ist ein Relief mit dem Bild eines Buben als Hochhaus, nicht weit davon eine der liegenden Schwangeren mit dem Haus, das sich aus dem Bauch erhebt: Femme maison heisst doch Hausfrau und erzählt Gefühle der Künstlerin, die ihren Durchbruch fast gleichzeitig mit der viel jüngeren Holzer um 1980 hatte.

Louise Bourgeois: Ohne Titel. Besticktes Taschentuch. 1996. © The Easton Foundation / 2022 ProLitteris Zürich, Foto Christopher Burke

Jenny Holzer hat jedem Raum eine besondere Thematik gegeben, ganze Wände, wo nötig, mit Bildern oder Tagebuchblättern tapeziert und damit jedem Raum eine andere Grundstimmung verpasst. Beispielsweise die querformatigen mäandernden Flussläufe – oder sind es Teile von Riesenschlangen – die in ihrer Wiederholung das Fliessende einprägsam machen. Oder der Raum mit Sinnsprüchen, gedruckt und gestickt auf Textilien und geprägt auf Bleitafeln aus unterschiedlichen Schaffensphasen, als Objekt in der Mitte ein simples Kleid präsentiert auf einem Besen – Hausfrau? Putzfrau? denken erwünscht.

Jeder der neun Räume erhält durch ein grösseres Objekt einen Schwerpunkt in der Mitte. Dabei zeigt sich Holzers ebenso drastischer Sinn für Humor, wie jener, der Bourgeois› Traumata überspannte. Im rundum mit roten Gouachen über Familien, Körper und Körperteile ausgestatteten Raum stehen zwei rote Objekte, einmal Nature Study (2004), verstörend und grell, einmal eine der Zellen, darin auf einem Podest drei aneinander genähte rote Stoffköpfe, unheimlich und bedrohlich.

Ausstellungsansicht mit Nature Study. © The Easton Foundation / 2022 ProLitteris Zürich, Foto Jonas Hänggi

Holzer setzt Marken, lässt die Werke ihres bewunderten Vorbilds im besonderen Arrangement für sich sprechen: Es braucht keine Saaltexte, die Menschen sollen schauen, nachdenken, auch lesen, rätseln und lachen über alles, was ihnen da begegnet. Aber hilfreich ist es, wenn man etwas Englisch und Französisch versteht, weil es sehr viel (Hand-)Schrift im Bild gibt. Während man andere grosse Ausstellungen gesättigt und erschöpft verlässt, reizt hier die Erkundung der Gegenüberstellungen im Hauptbau: Der gläserne Sarg mit dem amorphen schwarzen Textilobjekt gegenüber von Holbeins totem Christus, der Landsknecht in Rot mit der auffälligen Schamkapsel von Tobias Stimmer (1564) gegenüber einer ebenso deutlichen Zeichnung von Bourgeois. Im Künstlerbuch, das wiederum nichts erklärt aber vieles zeigt, ist das Gemächt mit der Nature Study auf einer Doppelseite vereint.

Jenny Holzer im Mediengespräch: «Ihr Werk ist sehr divers. Wir liessen nichts aus. Meine Lieblingsstücke konnten hierherkommen.» Foto: EC

Zu einer ungewöhnlichen Ausstellung passt dieses aussergewöhnliche Künstlerbuch, gestaltet von Jenny Holzer, die unter Beifall des Basler Kunstmuseums ihre Carte Blanche kreativ nutzte. Grossformatig sammeln sich Bourgeois› Themen vom Muttersein, von Sex, Gewalt und Tod in Zeichnungen mit und ohne Worte. Es gibt viel zu schauen, aber keine Wegweiser. Buch und Ausstellung zeigen das Werk von Louise Bourgeois, wie Jenny Holzer ihr grosses Vorbild und ihre Freundin zeigen will: Sie war «vor vielen tausend Jahren» in den 80ern bei der älteren Künstlerin erstmals eingeladen, wobei es sogleich zu einem «ernsthaften Gespräch über die blaue Farbe» gekommen sei. Also von Beginn an haben die beiden Künstlerinnen präzise über Kunst gesprochen.

Louise Bourgois: Femme Maison im Dialog mit Paul Cézanne: Baigneuses. Animiert war Kuratorin Holzer von den weissen Körpern. Foto: EC

Die Ausstellung kann übrigens nirgendwohin reisen wie andere grosse Kunstausstellungen. Jenny Holzer hat ihre sinnlich hintersinnige und überwältigende Präsentation im und für das Basler Kunstmuseum erarbeitet. Sie sei glücklich über die Zusammenarbeit und denke nicht, dass irgendein anderes Institut so kühn wäre, das alles mitzumachen, sagte Holzer vor der Eröffnung.

Titelbild: Louise Bourgeois, Selbstporträt 2008. © The Easton Foundation. Foto: Christopher Burke.

Die Ausstellung «Louise Bourgeois x Jenny Holzer» dauert bis 15. Mai.

Künstlerbuch «THE VIOLENCE OF HANDWRITING ACROSS A PAGE. LOUISE BOURGEOIS X JENNY HOLZER. hg. von Jenny Holzer mit Texten von Josef Helfenstein und Anita Haldemann (englisch). 75 Franken.

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