Mit dem Dürrenmatt-Klassiker «Der Richter und sein Henker» gelingt dem Theater Effinger in Bern eine eindrucksvolle Aufführung. Dank dem kraftvoll-dramatischen Spiel von Kommissar Bärlach bleibt der Theaterabend bis zum Schluss spannend.
Wer kennt ihn nicht, den ewigen Kampf um Recht, Gerechtigkeit und Moral, den Friedrich Dürrenmatt in den Kriminalroman «Der Richter und sein Henker» gegossen hat. Werden die Richtigen bestraft? Wie weit dürfen Polizei, Untersuchungsrichter, Kriminalisten gehen? Kann man ein perfektes Verbrechen begehen, das nie entdeckt wird? Oder allgemeiner gefragt: Gibt es Gerechtigkeit auf dieser Welt?
Kommissar Bärlach und der Verbrecher Gastmann (rechts) bleiben Widersacher.
Als junge Männer schliessen Polizist Bärlach und der Ganove Gastmann über diese Fragen eine Wette ab, die ihr Leben bestimmt. Bärlach verfolgt über Jahre hinweg einen Gegner, der ihm immer wieder den Beweis liefert, dass Kapitalverbrechen oft nicht geahndet werden können. Als beide alt sind und Bärlach nicht mehr lange zu leben hat, möchte er die Wette noch gewinnen. Am Schluss schafft er es, den Verbrecher hinrichten zu lassen – nur nicht mit legalen Mitteln.
Was ist rechtsstaatlich erlaubt?
Friedrich Dürrenmatts erfolgreiches Werk ist ein auch heute noch spannender Stoff. Er befasst sich mit kriminalistischen und moralischen Fragen. Kommissar Bärlach kann auf legalem Weg keine Gerechtigkeit schaffen, also macht er andere Menschen zu Marionetten, die seinen Willen ausführen. Ist diese Methode rechtsstaatlich legal? In «Der Richter und sein Henker» gibt es kein Gut, kein Böse, keine klare Grenze zwischen Verbrechen und Strafe – und die Frage nach der Gerechtigkeit bleibt auch am Schluss offen.
Arbeiten zusammen und doch gegeneinander: Bärlach und sein Mitarbeiter, Polizist Tschanz (rechts).
Friedrich Dürrenmatts «Der Richter und sein Henker» ist der erste Kriminalroman des berühmten Schweizer Schriftstellers aus dem Jahr 1950. Das Werk wird auch heute noch als Schullektüre gerne gelesen. Mehrfach wurde das Thema verfilmt und sogar als Oper in Szene gesetzt. Nun zeigt das Berner Theater an der Effingerstrasse eine ebenso schlichte wie kraftvolle Bühnenversion des Krimis.
Kommissar Bärlach (Reinhardt Winter), sein jüngerer Kollege Tschanz (Fabian Guggisberg), der gewiefte Bösewicht Gastmann (Horst Krebs) haben darin ihren Auftritt. Markus Keller, der Theater-Gründer und ehemalige Leiter, führte Regie. Mit der Inszenierung erfüllte er sich den Wunsch, alle drei Dürrenmatt-Kriminalromane auf die Bühne zu bringen. «Je länger die Proben dauerten, desto mehr erkannten wir, wie vielschichtig, komplex und tiefgründig Dürrenmatts Geschichte ist,» lässt sich Keller im Programmheft zitieren.
Dr. Lutz (rechts) ist mit den Methoden des kränkelnden Bärlach nicht immer einverstanden.
Hoch über dem Bielersee wird die Leiche des Polizisten Schmied aufgefunden. Der in der Gegend wohnende Verbrecher Gastmann gerät in Verdacht. Der Vorgesetzte des Toten, Kommissär Bärlach, übernimmt den Fall. Auf eigenen Wunsch lässt er sich bei der Aufklärung des Mordfalls von einem ehrgeizigen, jungen Mitarbeiter unterstützen: Polizist Tschanz hat schon lange auf diese Gelegenheit gewartet. Immer stand er im Schatten des ermordeten Kollegen Schmied. Eine heisse Spur führt Tschanz und Bärlach direkt zu Gastmann. Wer wird die Wette gewinnen?
Polizist Tschanz macht sich an Schmieds Verlobte Anna heran.
Schmied stand mit Gastmann unter falschem Namen in Kontakt. Nun geraten die beiden Ermittler in Schwierigkeiten, weil Gastmann politische Gönner hat. Beim Besuch wird Bärlach von dessen riesigem Hund angegriffen, und Tschanz muss das Tier erschiessen. Wie sich herausstellt, hat Bärlach die Aktion inszeniert, um an eine Kugel aus Tschanz’ Dienstwaffe zu gelangen. Denn er hegt einen Verdacht: Nicht Gastmann, sondern Polizist Tschanz könnte seinen Kollegen erschossen haben. Um Karriere zu machen.
Doppelbödiges Spiel
Der todkranke Kommissar treibt ein doppelbödiges Spiel, in dem er sich im Hintergrund hält und von dort aus die Fäden zieht, um seinen alten Rivalen und Verbrecher Gastmann nach gut vier Jahrzehnten zu überführen. Da er es nicht schafft, ihn mit legalen Mitteln festzunehmen, benutzt er Tschanz, seinen Assistenten, als «Henker» und kann seinen Widersacher so doch noch zur Strecke bringen.
Dürrenmatts berühmtester Kriminalroman erzielte eine weltweite Gesamtauflage von über fünf Million. Collage PS.
Neben Bärlach, Tschanz und Gastmann überzeugen auch die übrigen Spielenden: Bärlachs Vorgesetzter, Dr. Lucius Lutz (Henning Bormann) ist, im Gegensatz zum Kommissar, vertraut mit den Methoden der «modernen Kriminalistik». Er hat oft eine andere Meinung als seine Mitarbeiter. Fräulein Egli, Bärlachs Sekretärin (Karo Guthke), kümmert sich fürsorglich um ihren Chef und ist trotzdem oft einsam. Als Schmieds Freundin Anna (Ingalisa Singewald) am Tod ihres Verlobten zu zerbrechen scheint, kümmert sich Polizist Tschanz nicht ohne Selbstzweck um sie. Gastmanns Leibwächter werden von Sebastian Gfeller, Tamino Glauser, Antonio Maria Moscatelli und Joël Roth gespielt. Die Kostüme hat Sybille Welty geschaffen.
Friedrich Dürrenmatt (5. Januar 1921 – 14. Dezember 1950).
«Der Richter und sein Henker» ist vor allem auch ein Charakterporträt eines desillusionierten Einzelgängers, der dem gewöhnlichen Lauf der Dinge keine kriminalistische Methode, sondern seine Persönlichkeit entgegensetzt, um seinen letzten Fall zu lösen. Heute gibt es keine Bärlachs, keinen Wachmeister Studer, keinen Hunkeler, keinen Kommissar Maigret mehr. Polizeiliche Kriminalistik ist im digitalen Zeitalter eine komplexe Wissenschaft, die nur im Team erfolgreich bewältigt werden kann.
Titelbild: Kommissar Bärlach und seine fürsorgliche Sekretärin, Fräulein Friedli. Alle Fotos Severin Nowacki.
Theater an der Effingerstrasse. Weitere Vorstellungen bis 23. April 2022.