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Tiefenpsychologisches Nordlandmärchen

Es ist ein bunter, surrealistischer Bilderbogen, den der Choreograf Edward Clug auf die Bühne des Zürcher Opernhauses bringt: «Peer Gynt», basierend auf dem Drama von Henrik Ibsen, vertont von Edvard Grieg. Clugs Ballettversion ist Drama, Klamauk, Persiflage, bisschen Liebe – nur langweilig ist sie nicht.

Tiefenpsychologisch lässt sich «Peer Gynt» in wenigen Sätzen zusammenfassen: Der junge Mann aus gutem Hause, durch die Misswirtschaft seines verstorbenen Vaters verarmt, hält der Realität nicht stand, flüchtet sich in eine Traumwelt. Zentral ist die enge Bindung zu seiner Mutter. Sie küsst und ohrfeigt ihn manchmal fast gleichzeitig und Peer Gynt – er hat wirklich gelebt! – mäandert zwischen liebesbedürftigem kleinem Bub und aufmüpfigem Mann. Ein klassischer Ibsen-Stoff! William Moore tanzt diesen Peer in all seinen Facetten so überzeugend, dass das Premierenpublikum ihn zum Schluss verdientermassen begeistert feiert.

Katja Wünsche als Solveig und William Moore als Peer Gynt bei ihrem finalen Pas de deux.

Es ist diese Ambivalenz zwischen Anziehen und Wegstossen, die Clugs Ballettversion prägt. Clugs Ballettfassung beginnt denn auch mit dieser toxische Mutter-Sohn-Verbindung, aus der Peer in «seine» Welt zu flüchten versucht – nur um von der Mutter wieder in den Senkel gestellt zu werden. Sein Kampf mit dem weissen Hirsch (Cohen Aitchison-Dugas, auf Krücken. Umwerfend!) eröffnet den Ballettabend und zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung.

Muttis Bub, der Obermacker

Peer Gynts dominanter Auftritt auf der Hochzeit seiner Freundin Ingrid (Michelle Willems) wird zum Desaster: Ingrid, die ihn immer noch liebt, verlässt Gesellschaft und Bräutigam, nur um am nächsten Morgen festzustellen, dass ihr Liebes- Pas de deux in einer schnöden Zurückweisung gipfelt. Peer wendet sich bereits anderen Frauen zu – «Sennerinnen» mit meterlangen Zöpfen. Es ist Psychologie in Reinkultur: Wer ihn liebt, muss leiden – so wie er seine Mutter leiden lassen möchte, aber die Kraft dazu nicht aufbringt.

Kostümbildner Leo Kulas hat keine Mühe gescheut, die Welt der Trolle plastisch darzustellen.

Dann wird es märchenhaft. Eine geheimnisvolle Frau in Grün (Inna Bilash) nimmt ihn mit ins Reich der Trolle und wohl auch in ihr Bett. Tritt sie doch in der Retrospektive zu Peer Gynts Leben am Schluss mit Kinderwagen auf. Die Fantasywelr mit Trollen – Haudegen, die alle Shrek ähneln, einfach in beige (Kostüme Leo Kuas) und mehr stampfen als tanzen – passt aber auch nicht und Gynt eilt ans Sterbebett der Mutter. Die versohlt ihm als finaler Akt nochmals den Hintern; dann stirbt sie.

Mit der Rüttelflugi nach Afrika

Zeitsprung: Peer Gynt ist nun reich, fliegt nach Afrika – mit einer Kinderflugi, wie sie in vielen Shoppingcenter steht und vor sich hin rüttelt. In der marokkanischen Wüste trifft er auf die Beduinenfrau Anitra. Die Szene mit den Orientteppichen würde auch in jede Aufführung einer Ballettschule passen und Griegs Stück «Anitras Tanz», wird wie nebenbei abgewickelt. Zwar schlüpft sie zum Schluss zu dem unter einem der Teppiche schlafenden Peer, aber nur, um ihm die Taschen zu leeren und mit seiner Hose abzuhauen.

Die «Irren» vom Irrenhaus – und Peer Gynt.

In der nächsten Szene findet sich der nunmehr wieder verarmte Weltenbummler in einer Irrenanstalt, mit «Irren», die mehr als peinlich sind. Frage: Gilt political correctness auf der Bühne nicht?

Müde, krank und zerschlagen macht sich Peer Gynt auf den Weg nach Hause. Zu Solveig, der liebenden Freundin, die ihr Leben lang auf ihn gewartet hat. Katja Wünsche gibt eine stille Lebensgefährtin, die durchaus mehr Raum verdient hätte, denn die Liebe, die verkörpert sie ganz allein. Bis zum Ende.

Der Tod, der Peers Leben rettet

Zu erwähnen wäre noch Daniel Mulligan als Tod, ein wirbliger Deus ex Machina, der immer dann eingreift, wenn es für Peer gefährlich wird. Zum Schluss, als er bereits mit dem Sarg wartet, kommt er aber zu spät. Peer tritt ohne ihn, mit Solveig, ab. Und dann wäre da noch Solveigs kleine Schwester Helga mit ihren Hasenohren und ohne richtige Funktion.

Der Tod reicht Peer die Hand – nehmen aber wird er sie nicht. (Alle Bilder Opernhaus Zürich/ Gregory Batardon)

Edward Clug hat seinen «Peer Gynt» 2015 mit dem Slowenischen Nationalballett in Maribor uraufgeführt. Bei der Musik hält er sich zwar an Evard Grieg, allerdings nicht an die originale Suite, zitiert auch andere Werke. Victorien Vanoosten am Pult nimmt Clugs Intentionen auf, lässt das Orchester klar, sachlich und akzentuiert spielen und liefert so den adäquaten Rahmen zum oft fast martialischen Geschehen auf der Bühne. Einer Bühne übrigens von Marko Japelj, die mit ihrer Ellipsenform einen festen Rahmen schafft, dem Traumtänzer und Fantasten fast schon symbolisch Grenzen setzt – über die Peer Gynt natürlich bis zum Schluss hinwegtanzt.

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