Das sagt der künstlerische Leiter und Obertonsänger Christian Zehnder zum Klangfestival 2022 im Toggenburg. Am Pfingstwochenende setzen Naturtöne das Tal in Schwingung.
Seit 2004 trifft sich alle zwei Jahre die Internationale der Naturklänge. Musikerinnen und Sänger aus dem Tal und aus fernen Ländern und anderen Kulturen, Tradition der Volksmusik und zeitgenössische Tonexperimentierer begegnen sich, wenn Alt St. Johann zum Zentrum des Naturklangs wird. Nach einer Pause wegen der Pandemie steht ein Neuanfang ins Haus, nicht zuletzt dank des künstlerischen Leiters Christian Zehnder.
Antti Paalanen spielt ein diatonisches Akkordeon und singt urtümlichen Untertongesang.
Dem archaischen Zauber der Naturtöne, etwa dem Klang eines Alphorn oder einer Kuhherde, der Magie eines Bet-Rufs samt Echo an den Felswänden, dem Naturjodel einer Gruppe Einheimischer können wir uns kaum entziehen, auch wenn wir sonst vielleicht andere Musik hören oder gar keine. Das Toggenburg ist mit seinem Naturjodel, dem Zauren, dem Talerschwingen und dem Schellenschütteln eines der letzten noch authentischen Naturton-Zentren des Alpenbogens. Das Tal zwischen grünen Hügeln – die schroffen Churfirsten zeigen hier ihre sanfte Seite – ist der richtige Ort für Musizierende und Komponierende, die sich mit dem natürlichen Klang und seinen Gesetzen auseinandersetzen wollen, der ideale Ort auch für all jene, die für einen oder mehrere Tage in diese magische Klangwelt eintauchen wollen.
Die Propstei Alt St. Johann, Foto: © Kath. Kirchgemeinde Alt St.Johann
Zu den Konzerten, Kursen und Klangwanderungen gesellt sich neu das 1. Naturton und Oberton Symposium. So gewinnt das Festival neue Impulse und neue Möglichkeiten: Das Klangfestival ist auf drei Tage konzentriert, das Programm jedoch alles andere als bescheiden. Ebenso wichtig ist den Veranstaltern, für Festivalstimmung zu sorgen. Vor und nach den grossen Abendkonzerten in der Probstei Alt St. Johann sollen Mitwirkende und Publikum auch gemeinsam singen, lachen und tanzen können. Im Festzelt und auf der Aussenbühne treten einheimische Volksmusikgruppen bis spät in die Nacht auf.
Christian Zehnder ist seit drei Jahen künstlerischer Leiter der Toggenburger Klangwelt
Christian Zehnder ist ein international bekannter Obertonsänger und Soloperformer, dessen Konzertkalender dicht gefüllt ist. Einen Fuss hatte er seit je in der Klangwelt, diesem Toggenburger Projekt, welches Naturtöne in den Mittelpunkt stellt. Seit gut drei Jahren ist die Intendanz sein wichtigster Job.
Seniorweb: Christian Zehnder, erst jetzt 2022 «dürfen» Sie erstmals ihre Vision des Festivals umsetzen. Was bedeutet Ihnen das?
Christian Zehnder: Es ist natürlich ein etwas verspätetes und wichtiges „Coming Out“ des Intendanten, aber vor allem für uns als Institution Klangwelt wichtig, endlich wieder wahrgenommen zu werden: Wir leben noch, und wie!
Wie haben Sie die ersten Jahre als Intendant – es waren Jahre des Wartens – überstanden, abgesehen davon, dass Sie als Musiker immer wieder auch international auftreten konnten?
Während der Pandemie hatte ich kaum Auftritte und war im wesentlichen mit dem Überleben der Institution beschäftigt und natürlich mit dem unzähligen, immer wieder verwerfen, wieder neu denken, wieder neu entwickeln, wieder neu planen, wieder Absagen und wieder Hoffen, dass wir endlich, endlich wieder Kultur veranstalten dürfen. Es war aber auch eine fruchtbare Zeit der Transformation: Die Klangwelt ist inhaltlich in Bewegung gekommen und schaut heute gestärkt in die Zukunft.
In wenigen Jahre wird das Klanghaus – hier ein Modell – die Heimat der Toggenburger Klangwelt sein.
War also mehr Zeit übrig für Denkarbeit? Ich meine damit das Künstlerische Leitbild.
Ja, ich habe das neue Leitbild gänzlich während Pandemie entwickelt. Mit dem Klimawandel, der Pandemie und aktuell mit dem Krieg in der Ukraine, sind wir als Kulturinstitution gefordert und aufgefordert die drängenden Fragen unserer Zeit in unsere Arbeit und Programmation zu integrieren. Es braucht mehr denn je eine klare Haltung hinter allem Tun und Wirken und der Wille, der Glaube, dass wir mit Kultur auch einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der globalen Krise beitragen können.
Wie sehen Sie die Klangwelt in der Zukunft?
Klang ist flüchtig und trifft uns dennoch unmittelbar. Er löst Emotionen aus und ist lebendiger Austausch. Klang fordert und bewegt uns – in jeder Kultur, in jeder Zeit. Die Zukunft und Kraft der Klangwelt liegt an der Schnittstelle zwischen Natur und urbanem Leben und unserer Verantwortung für die Zukunft unseres Planeten.
Das norwegische Vokalensemble Nordic Voices bringt eine Komposition zur Uraufführung.
In der Klangwelt verbinden sich neue Klänge und Menschen, Erleben mit Forschen im Dialog oder in der Stille. Die Klangwelt bringt uns hinaus aus der alltäglichen Entfremdung, in Schwingung mit sich und Anderen. Die Klangwelt verbindet Menschen durch den Klang, Traditionen und neue Zukunftsträume.
Ein spezieller Männerchor: der finnische Schreichor
Das Festival an Pfingsten verspricht intensive musikalische Erlebnisse:
♪ Das Symposium: In den Begegnungen steht das Gastland Norwegen mit dem Vokalensemble Nordic Voices und Ingor Ántte Áilu Gaup aus dem Volk der Samen im Zentrum. Das Symposium will das aktuelle Schaffen mit Naturtönen, Obertönen und Mikrotönen herausarbeiten. Am Ende wird die erste Obertonakademie in Europa gegründet.
♪ Der Freitag: Der finnische Schreichor, ein ganz spezieller Männerchor setzt elementar und kraftvoll seine Marke. Die Musikerin Päivi Hirvonen wird mit der Brandhölzler Striichmusig kommunizieren und Antti Paalanen bringt Akkordeonmusik aus dem Norden ins Toggenburg.
♪ Der Samstag: Der Höhepunkt des Klangfestivals soll sämtliche Facetten des Naturklangs von einst und jetzt, nah und fern enthalten: Unter anderen treten auf Balthasar Streiff, der Obertonchor Partial mit dem Chor Interkultur, s Schmidigs Juuzer Zwilling, oder das Ensemble Arcimboldo – ein Feuerwerk an traditioneller und zeitgenössischer, improvisierter und komponierter Musik. Und auf diesem «Gipfel der Naturtöne» sind auch die Gäste aus Norwegen.
♪ Der Sonntag: Es geht auf eine Reise ins Schlösschen Werdenberg, wo die verrückte Tiroler Franui Musicbanda ein Amalgam aus Volksmusik, Klassik und Gegenwart bietet. Auf der Rückfahrt zum Abschlusskonzert in Alt St. Johann singen Isa Wiss und Christian Zehnder «ausserirdische Heimatlieder», wie es in der Ankündigung heisst.
Die Brandhölzler Striichmusig
Worauf freuen Sie sich nun besonders?
Auf die Begegnungen mit dem Publikum und den Künstlerinnen und Künstlern. Auf das Unerwartete und die nicht festzuhaltenden Sternstunden während eines Festivals.
Der Intendant performt selbst. Was bekommt das Publikum geboten?
Ich singe dieses Mal ganz klassisch. Von da wo ich eigentlich herkomme… Das haben noch wenige gehört. Mehr verrate ich aber nicht…
Titelbild: Hier im Toggenburg werden Naturklänge zelebriert – nicht nur auf der Viehweide oder vor der Sennhütte.
Alle Bilder (wenn nicht anders vermerkt): © Klangwelt Toggenburg
Hier geht es zu den Informationen zum Klangfestival.
Tickets gibt es noch für alle Konzerte
Näheres über den Klangweg oder Kurse finden Sie auf der Homepage: Klangwelt.swiss
Das künstlerische Leitbild Klangwelt kann man herunterladen.