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Vom Unterschied zwischen Alt und Jung

Über alte und junge Menschen zirkulieren – gegenseitig – nicht wenige stereotype Meinungen. Eine 25jährige Journalistin und ein 77jähriger Philosoph tauschen sich in einem in Buchform erschienenen Briefwechsel über Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Vorurteile aus.

Zwischen Samantha Zaugg und Ludwig Hasler liegen exakt fünfzig Jahre. Seit Oktober 2020 schreiben sie sich abwechselnd in der „Schweiz am Wochenende“. Sie diskutieren über Erfahrungen, Erwartungen, Haltungen. Über Arbeit und Wohnen, Liebe und Tod, Dating, Ehe für alle, Rollenkonflikte, Rotwein trinken und Kuchen backen. Nun sind die Kolumnen auch in Buchform erschienen. Ein Lesegenuss.

Wie erlebt die 27jährige Journalistin und Künstlerin ihre älteren Zeitgenossinnen und Zeitgenossen? Was denkt der 77jährige Philosoph, Publizist und Vortragsreisende über die Jugend? In ihren Dialogen begeben sich die beiden auf eine spannende Spurensuche.

Auf 147 Seiten liest man in 62 Kolumnen witzige Gedanken, reizvolle Anekdoten, geschrieben in einer verständlichen Sprache, zuweilen provokativ, direkt und oft sehr persönlich. Die Autorin und der Philosoph spielen sich gegenseitig die Themen zu. Die Überleitung ins nächste Kapitel ist oft als Frage formuliert. Die Antworten werfen ein Licht auf die Haltung, Gewohnheit, Handlungs- und Denkweise der eigenen und der jeweils anderen Generation.

Alte Menschen seien langsam, bedächtig, auf ihre Gesundheit fixiert, zuweilen langweilig aber lebenserfahren, manchmal besserwisserisch oder tiefsinnig, liest man. Ihr Leben verlaufe geplant, diskret, ohne Ausschweifungen.

Junge dagegen seien stürmisch, umtriebig, vorwärtsdrängend, weltoffen, zuweilen naiv oder frech – und immer digital. Sie bastelten permanent an ihrem eigenen Image, lauten die gängisten Vorurteile. Ausnahmen vorbehalten.

Link auf YouTube-Video

Dialog zwischen Samantha Zaugg und Ludwig Hasler in Videoform

Zaugg und Hasler bestätigen, was landläufig über die jeweiligen Lebensweisen gedacht und kolportiert wird. Mit zunehmendem Alter zögen sich Betagte von der Bühne in den Zuschauerraum zurück, würden von Akteuren zu Beobachtern. „Da die Beobachterrolle unsere letzte ist, nehmen wir sie gerne ernst – und gleichen, was wir von euch (von der Jugend) aufgeführt bekommen, mit unserer Bühnenerfahrung ab,“ analysiert Hasler.

Auf humorvolle, ja selbstkritische Art beschreibt Zaugg die Erfahrungen der Jugend bei der Partnersuche: Heute suchten viele Junge ihren Partner/ihre Partnerin nicht mehr im Tanzkurs, über ein analoges Hobby oder an der Bar, sondern auf einer Datingplattform. In den Profilen stünden mehr oder weniger lapidare Bemerkungen zu den Suchenden. Dazu ein paar stereotype Fotos. Und das alles mit gesteigerter Effizienz und Treffergenauigkeit. Datingplattformen entsprächen dem Zeitgeist.

Erstaunlich klingt Ludwig Haslers Antwort (Foto: Tanja Gschwandel): Er verdammt das digitale Dating nicht, erzählt dafür von seiner Erfahrung. Seine eigene Partnersuche sei weder digital noch zielgerichtet erfolgt. „Entdecken statt suchen“ sei seine Methode gewesen. „Ich fand, wovon ich noch gar nicht wusste, dass ich es suchte. Die Unerwartete. Gibt es nicht auf Bestellung. Glück ist, lernte ich bei Arthur Schnitzler: Was meine Seele durchrüttelt“.

Wenig überraschend sind die Unterschiede bezüglich Partnerrolle und Chancengleichheit. Ludwig erklärt den heute verpönten Begriff des „Familienoberhaupts“ mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von damals. Zaugg klagt über immer noch unterdrückte Frauen, über die faktische Ungleichheit, worauf Ludwig zugibt, dass er keine Kuchen bäckt. Anpassungsdruck und Konformismus galten früher, heute dominieren Singularität und Individualismus.

Warum wir zusammen reden sollten

In der Mitte enthält das Buch je einen provozierend-charmanten Text von Samantha Zaugg und Ludwig Hasler. Der Philosoph macht sich Gedanken zur Frage, weshalb Alte mit den Jungen kommunizieren und verkehren sollten. Nicht um überheblich, besserwisserisch oder weltverbessernd aufzutreten, sondern: „Die Menschheit lebt wieder einmal an einem Wendepunkt, an dem Verzicht zentral werden könnte. Wir Alten können es vorleben. Weil wir uns das Weniger = mehr leisten können. Wir müssen nicht im Getümmel mitspielen.“

Ludwig rechtfertigt auch gleich den lesenswerten Dialog mit der viel jüngeren Co-Autorin: „So bringt unser Briefwechsel doch ein erstaunlich konkretes Ergebnis – wenn nicht die grosse Verständigung, so doch allerlei Klarheit über die Bedingungen einer Verständigung.

Zum Schluss lenkt Samantha Zaugg (Foto privat), die Ludwig nicht selten widerspricht, ein: bezüglich Rauchen, Fleischkonsum und umweltgerechtem Verhalten. „Viele von uns beschäftigen sich mit Nachhaltigkeit, Klimaschutz oder Rassismus. Alles sehr vernünftige Themen. Warum wohl? Vielleicht wurde uns die Vernunft aufgezwungen? Vielleicht, weil sich die Generationen vor uns bisweilen recht sorglos verhalten haben?

Der Philosoph und Publizist

Ludwig Hasler, 1944, studierte Philosophie und Physik und führt ein journalistisch-akademisches Doppelleben. Als Philosoph lehrte er an den Universitäten Bern, Zürich, St. Gallen. Als Journalist arbeitete er bis 2001 bei »Die Weltwoche«. Seither lebt er als Autor und Referent. Bücher: »Die Erotik der Tapete. Verführung zum Denken« (2005), »Des Pudels Fell« (2010).

Die Journalistin und Künstlerin

Samantha Zaugg, freie Journalistin und Kunststudentin, ist Co-Chefredaktorin beim Magazin »Schweizer Journalist:in« und Kolumnistin bei der »Schweiz am Wochenende«. Zuvor hat sie für verschiedene Zeitungen und Magazine gearbeitet, sowie für das Schweizer Fernsehen. Aktuell studiert sie „Fine Arts“ an der Zürcher Hochschule der Künste.

Titelbild: Samantha Zaugg und Ludwig Hasler im analogen Gespräch. Video-Screenshot: Rufer und Rub.

Ludwig Hasler, Samantha Zaugg | Jung & Alt | Ruefer und Rub. ISBN 978-3-907351-01-7

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