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Vom Objekt zum Museumsstück

Provenienzforschung gehört zu den Schwerpunkten des Museums Rietberg in Zürich. Die Ausstellung «Wege der Kunst» zeigt, wie Objekte ins Museum kommen und wie sie sich dabei verändern, sowohl materiell als auch in der Bedeutung.

Die Frage nach Besitzverhältnissen und unrechtmässigen Aneignungen von aussereuropäischen Sammlungsstücken steht weltweit zur Debatte, ebenso die Rückgabe geraubter Kulturgüter. Als eines der ersten Museen in Europa verfügt das Museum Rietberg über eine feste Stelle zur Aufarbeitung der Herkunft seiner Sammlungsobjekte. Die Ausstellung stellt die Ergebnisse dieser Forschung vor, verbunden mit kritischen Fragen und spannenden Geschichten rund um die Artefakte.

Blick in die Ausstellung. Foto: rv

Die wenigsten Objekte in der Sammlung sind ursprünglich für die Präsentation im Museum bestimmt. Sie dienen ursprünglich einem praktischen, religiösen oder rituellen Zweck, auch der privaten Liebhaberei oder der Repräsentation. Auf dem Weg ins Museum erfahren sie einen Bedeutungswandel und werden unter ästhetischen Gesichtspunkten bewertet und nach westlichen Kunstbegriffen kategorisiert. Das Sichtbarmachen der Prozesse der «Musealisierung» eröffnet überraschende Einblicke.

Pferd, Terracotta, Provenienz: 1968-1969 Gujarat, Bajipura, Indien, Geschenk Sammlung Eberhard Fischer. Foto: Rainer Wolfsberger

Der Rundgang startet im historischen Gebäude der Villa Wesendonck und führt durch die permanenten Sammlungsräume bis in den modernen Smaragd-Bau. Mit grünen Punkten auf dem Boden wird man zu 22 Stationen geleitet, die thematisch auf vier übergeordnete Fragestellungen fokussieren und farblich gekennzeichnet sind: Sammeln (wer waren die Sammler und wie gingen sie vor), Zeigen (wie präsentiert man heute die Objekte), Handeln (der Handel mit Objekten), Wissen (das Wissen über die Objekte).

Die Schau umfasst rund 400 Exponate, sowohl Highlights als auch Werke aus den Depots, Dokumente aus dem Archiv und aus Privatbesitz, Postkarten und Fotografien. An interaktiven Stationen können einzelne Aspekte vertieft werden.

Die Terracotta Sammlung von Eberhard Fischer, ehemaliger Direktor des Museums Rietberg, kam vorbildlich dokumentiert ins Haus. Die Figuren hatte er mit einheimischen Fachleuten Ende der 1960er Jahre gesammelt und 2020 dem Museum geschenkt.

Die Herkunft des 1963 erworbenen Maya-Reliefs war lange Zeit unbekannt. Heute weiss man, dass es zu einem zwei Meter langen Wandschmuck aus dem Tempelkomplex von Pomoná in Mexiko gehört und illegal entfernt wurde. Foto: rv

Nicht immer kamen Sammlungsstücke lupenrein ins Museum. In den 1950er und 1960er Jahre wollte man durch den gezielten Erwerb die präkolumbische Abteilung erweitern. Man kaufte einzelne Maya-Reliefs im Wissen um deren illegale Ausfuhr. Oder man akquirierte Textilien, die Händler aus grossen Textilien herausgeschnitten hatten, um sie in Europa besser verkaufen zu können. Mit der Fragmentierung ging viel Wissen verloren, was aber heute dazu führt, dass ein reger Austausch mit den Herkunftsländern stattfindet.

Malangganfigur und zwei Zeremonialpaddel aus Neuirland, vor 1887 (Bild oben), Interieur von Sidney W. Brown um 1890 (Bild unten), Provenienz: 1889-1965 Familie Brown, Baden.

Ende 1965 erhielt das Museum Rietberg elf melanesische Artefakte von der Familie des Schweizer Ingenieurs Sidney W. Brown. Brown reiste 1888 in den Südpazifik zusammen mit dem russisch-deutschen Ingenieur Eugen von Petersen. Die beiden suchten Land für den Goldabbau.

Wegen Schwierigkeiten bei der Kapitalbeschaffung kehrte Brown nach Europa zurück, im Gepäck ozeanische Objekte, die er im Auftrag Petersens hätte nach Neapel überführen sollen, denn dieser hatte sie vom Australian Museum in Sydney geschenkt bekommen.

Entgegen der Abmachung nahm sie Brown in die Schweiz mit, wo sie nach Baden gelangten. Später kam ein Teil ins Museum Rietberg, ein anderer Teil erhielt Browns Gärtnerfamilie und der Rest blieb in der Villa Langmatt in Baden, heute ein Museum französischer Impressionisten und Ostasiatica.

Heute gehören Buddhaköpfe bei uns zum Lifestyle und werden aus den verschiedensten Materialien gefertigt. Sie stehen für Ruhe, Achtsamkeit und inneren Frieden. Doch ist man sich kaum bewusst, dass es sich um Nachbildungen abgeschlagener Köpfe von Statuen handelt.

Köpfe als unabhängige Kunstobjekte gab es bereits in der Antike, in der Renaissance wurde die Mode wiederbelebt und im 19. Jahrhundert in Form von Gipsabgüssen popularisiert. Foto: rv

Im 19. Jahrhundert erwachte das Interesse am Buddhismus in Europa. Anfang des 20. Jahrhunderts reisten japanische und europäische Forscher durchs Land und dokumentierten die monumentalen Höhlentempel mit Tausenden von Skulpturen. Ihre Fotos weckten den Wunsch, solche Figuren zu besitzen. In kurzer Zeit wurden viele nicht mehr rituell genutzte buddhistische Stätten geplündert, Köpfe von grossen Figuren abgeschlagen und auf dem Kunstmarkt verkauft.

Gürtelmaske, Werkstatt des Hofes von Benin, Nigeria, 17./18. Jahrhundert, Provenienz: seit 2011 Museum Rietberg; sieben Mal hatte diese den Besitzer gewechselt. Foto: rv

Aussereuropäisches Sammlungsgut in «Völkerkundemuseen» basiert vielfach auf unrechtmässigen Erwerbungen und Plünderungen während der Kolonialzeit. Der Umgang mit der Geschichte dieser Objekte wirft ethische und rechtliche Fragen auf, die auch in dieser Schau thematisiert werden. Zur kritischen Aufarbeitung gehört Offenheit bei der Zusammenarbeit mit den Ursprungsländern und deren Ansprüchen. Besonders bekannt ist die Diskussion um die sogenannten «Benin-Bronzen».

Das Königreich Benin im heutigen Nigeria wurde 1897 von Britischen Kolonialtruppen angegriffen, siehe auch unser Bericht. Tausende von Objekten aus dem Königspalast wurden geplündert und zur Deckung der Kriegskosten über den Kunsthandel veräussert. Die jahrhundertealten königlichen Kunstwerke, die zu rituellen und repräsentativen Zwecken hergestellt worden waren, wurden zur Ware umfunktioniert. Rund 100 Objekte gelangten in Schweizer Museen, 18 davon ins Museum Rietberg.

König Nioya schenkte der Basler Mission 1908 den mit Glasperlen verzierten königlichen Hocker sowie eine Büffelmaske.

Durch frühere Ausstellungen bestanden Kontakte mit Nigeria. 2021 haben sich acht Schweizer Museen unter Federführung des Museums Rietberg zum Verbund Benin Initiative Schweiz zusammengeschlossen, um gemeinsam im Dialog mit Nigeria die Provenienzen ihrer Sammlungen zu erforschen, über allfällige Restitutionen der Benin-Stücke zu entscheiden und Grundlagen für den zukünftigen Umgang zu schaffen.

Nicht alle Objekte aus dem kolonialen Afrika wurden geraubt. Der König Ibrahim Nioya in Kamerun hatte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts für einen diplomatischen Umgang mit der Kolonialmacht und der Mission entschieden und machte diesen nach der Tradition seines Landes Geschenke, die die Bündnisse zwischen den Herrschern festigen sollten. So übergab er im Jahr 1908 Kaiser Wilhelm II. den Thron seines Vaters, der heute im Humboldt Forum in Berlin steht. Die Angehörigen der Basler Mission erhielten einen mit Glasperlen verzierten Hocker sowie eine Büffelmaske, beide im Museum Rietberg. Doch diese enge Beziehung kühlte ab, nachdem König Nioya seine eigene Religion als eine Mischung aus Christentum, Islam und lokalen Glaubenssätzen propagierte.

Der Neubau des Palastmuseums in Fumban/Kamerun (2019) ist geprägt von den rituellen Bamum-Symbolen, der Spinne sowie der doppelköpfigen Schlange. Foto: Valentin Boissonnas

Das Palastmuseum in Fumban im Grasland von Kamerun beherbergt eine bedeutende Sammlung aus dem Königtum Bamum. Seit 2009 besteht ein Kooperationsprojekt für die Konservierung und Restaurierung der Objekte. Fachkräfte aus der Schweiz sowie aus Kamerun arbeiten zusammen für den Erhalt der Sammlung, dabei werden auch der Austausch von Wissen und die Ausbildung junger Studierender gegenseitig gefördert. Ein Film in der Ausstellung dokumentiert diese Zusammenarbeit.

Bilder: Museum Rietberg und rv

Bis 25. Juni 2023
«Wege der Kunst – Wie die Objekte ins Museum kommen», Museum Rietberg Zürich

Ausstellungskatalog mit Essays und zahlreichen Abbildungen, CHF 39.00

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