Zürich ist eine wunderschöne Stadt. Mit einer malerischen Altstadt, modernen urbanen Quartieren, mit Rotlichtmilieu und einem international bekannten Zentrum für Wissenschaft und Forschung. Rosa Zambrano ist Polizistin bei der Seepolizei. Sie liebt die Stadt, das Wasser, aber im Moment leider keinen Mann.
«Tiefes, dunkles Blau. Ein Zürich-Krimi» heisst das, nach «Regenschatten», zweite Buch der Schriftstellerin Seraina Kobler. Ein Krimi allerdings ist es nicht wirklich, dafür fehlt doch etwas die Spannung. Im Bemühen, der Protagonistin Rosa Zambrano ein Profil zu geben – was sehr gut gelingt –, das sommerliche Ambiente der Stadt nachzuzeichnen – was fast noch besser gelingt – und dazu noch die Verwicklungen und Manipulationen der Gentechnik und ihre vielen Folgen aufzuzeigen, lässt den eigentlichen Plot der Geschichte in den Hintergrund treten.
Dabei ist zu Beginn alles auf Krimi angelegt: Rosas Arzt, Dr. Moritz Jansen, Chef einer Kinderwunschpraxis und Spezialist für Kryokonservierung, entnimmt ihr Eizellen, um sie einzufrieren. «Dann verschaffen wir Ihnen mal die Zeit, die sie brauchen.» Das heisst für Rosa, die sich von ihrem Partner getrennt hat, weil er keine Familie wollte, bis für sie der Richtige, der Vater ihrer Kinder, auftaucht. Was ja nicht von heute auf morgen geht.
Dr. Jansen und die Frauen
Als sich kurz darauf eine Leiche im Netz eines Fischers verfängt, die Rosa schnell als Dr. Jansen identifiziert, nimmt die Story Fahrt auf. Das Boot, von dem der Arzt mutmasslich über Bord gegangen ist – oder gegangen wurde – ist rasch gefunden, die Ehefrau, mit der er in Scheidung lebt, auch. Dann aber wird es kompliziert. Da ist eine Kollegin, mit der er in einer Biotech- Firma zusammenarbeitet und forscht, da ist eine sehr junge Geliebte, die erst mal unauffindbar ist und da ist ein Bordell, das mit Jansens Praxis eine «Geschäftsbeziehung « hat.
Spannende Ausgangslage, wenn die Autorin sich nicht so stark auf Rosa, die wirklich sympathische Seepolizistin, fokussieren würde. Und auf das sommerliche Zürich. «Mit jedem Meter, den Rosa im Schatten der Bäume durch die Parkanlage fuhr, kehrte sie zurück in die Normalität. Wo Leute vor dem Eiswagen Schlange standen, der Duft von Bratwürsten die Luft durchzog und Jugendliche auf der Rentenwiese zu Reggae-Beschallung im Kreis sassen.»
Wie die Autorin wohnt auch Rosa am Rindermarkt, im Hinterhof eines alten Hauses, im winzigen ehemaligen Quartier- Waschhäuschen aus dem Spätmittelalter, im «Schwarzen Garten». Hier lebt sie, kocht sie – den aufgezählten Menüfolgen nach, wunderbar – und erholt sich von ihrem Berufsalltag. Dass sie bei der Seepolizei gelandet ist, war ihr Wunsch, wollte sie doch lieber über und in den See blicken, als in menschliche Abgründe. «Tiefes, dunkles Blau» bezieht sich denn auch auf das Wasser.
Viele Handlungsstränge
In dieser Mischung aus Grossstadtfeeling, Wasseridylle mit See- und Flussbädern und lauschigen Plätzen, Restaurants und Cafés werden nach und nach dunkle Machenschaften und ziemlich verwirrende Beziehungen aufgedeckt. Rosa, der durchaus Scharfsinn. Kombinationsgabe und auch eine gewisse Hartnäckigkeit attestiert werden kann, könnte da in ihrem Element sein. Könnte. Aber irgendwie mäandert die Handlung zwischen Erinnerungsfetzen aus Rosas familiärer Vergangenheit, kulinarischen Anmerkungen, einer sich anbahnenden Beziehung und einigen Versatzstücken aus den Ermittlungen, die sich erst nach und nach zusammenfügen – viel zu langsam, als dass ein richtiger Spannungsbogen entstehen könnte.
Dass die Suche nach den Tatmotiven noch schnell bis zum Reichenbachfall im Berner Oberland führt, wirkt zusammenhanglos, fast schon wie aus einem Touristenführer zitiert. Und dass zum Schluss festgestellt werden muss, dass die Beweise beim Mordfall Jansen wohl kaum für eine Anklage ausreichen werden, setzt den genau richtigen Schlusspunkt: Etwas diffus, etwas unverbindlich, nicht wirklich packend. Auf das Delikt und auf die Handlung bezogen.
Eine richtige Ferienlektüre
Aber: Tiefes, dunkles Blau ist ein atmosphärisch dichter Sommerroman, eine Hommage an eine Stadt, die viel malerischer und sinnlicher ist, als sie, als Bankenplatz, gemeinhin beschrieben wird. Und von der Seepolizistin Rosa Zambrano würde man gerne noch mehr erfahren – jetzt, wo man sie und ihr persönliches Umfeld schon so gut kennt.
Seraina Kobler: Tiefes, dunkles Blau. Ein Zürich- Krimi. Verlag Diogenes 2022. ISBN 978 3 257 30091 8