StartseiteMagazinKulturPropheten der modernen Kunst

Propheten der modernen Kunst

«Vivre notre temps!» – Unter diesem Motto präsentiert das Kunstmuseum Bern eine Künstlergruppe, die sich vom Impressionismus entfernte, um neue Wege zu beschreiten. Die Werke stammen aus der Sammlung Hahnloser / Jaeggli und kehren  anschliessend in die Villa Flora in Winterthur zurück.

Pierre Bonnard, Maurice Denis, Félix Vallotton, Edouard Vuillard und einige andere gründeten 1888 eine Gruppe und gaben sich den Namen Les Nabis. Den Begriff leiteten sie vom hebräischen Wort nebiim ab, was «Prophet» oder «Eingeweihter» bedeutet. Dahinter stand ein grosser Anspruch: Den Impressionismus mit seinen in viele Tupfer aufgelöste Farbe zu überwinden und auf der Zweidimensionalität der Leinwand ein Ganzes herzustellen.

Als grosser Inspirator der Nabis hatte Paul Gauguin die Richtung vorgegeben. Er schrieb in einem Brief: «. . . Male nicht zu viel nach dem Leben. Kunst ist Abstraktion: Trenne sie von der Natur, indem Du über sie meditierst; richte Deine Aufmerksamkeit auf die Schöpfung, die daraus resultieren wird.» Das war ein wichtiger Schritt zur Abstraktion, zu der kommende Künstlergenerationen vordrangen. Die Nabis wurden sich bewusst, dass ein Kunstwerk etwas «kunstvoll» Geschaffenes ist.

Édouard Vuillard: Roses rouges et étoffes sur une table, 1900–1901; Öl auf Karton 56 x 66 cm; Dauerleihgabe an die Hahnloser/Jaeggli Stiftung, Villa Flora, Winterthur

Sie waren keine Revolutionäre, sie gaben die figürliche Darstellung nicht vollkommen auf, experimentierten aber mit Form und Farbe. Sie trafen sich regelmässig, tauschten sich aus, gaben sich untereinander Spitznamen und inspirierten sich gegenseitig. Daher der Titel dieser Ausstellung «Vivre notre temps», der aus Aufzeichnungen der Sammlerin Hedy Hahnloser stammt.

Folgende Künstler sind in dieser Ausstellung vertreten: Pierre Bonnard, Maurice Denis, Paul Gauguin, Odilon Redon, Félix Vallotton, Édouard Vuillard. Neben Paul Gauguin liessen sich die Nabis von Odilon Redon anregen. Die beiden letztgenannten hatten sich vermutlich erst 1886 kennengelernt, anlässlich der achten und letzten Impressionismus-Ausstellung. Nun zeigte sich eine faszinierende Verbindung, Gauguin leitete und regte die Nabi-Künstler unbestreitbar an; Odilon Redon wirkte ebenso stark, aber subtiler durch seine Bilder. Mit ihren Ideen und neuen Formen der Darstellung ebneten die Nabis den Weg für die moderne Kunst, in der es nicht mehr darum ging, Dinge naturgetreu umzusetzen, sondern sie in ihren komplizierten Beziehungen zur Welt zu zeigen.

Félix Vallotton: Femme nue couchée dormant, 1913; Öl auf Leinwand 96 x 130 cm; Dauerleihgabe an die Hahnloser/Jaeggli Stiftung, Villa Flora, Winterthur

Obwohl die Nabis weder einen einheitlichen Stil, noch eine einheitliche Technik pflegten, gründeten ihre Werke auf denselben neuen Ideen dieser Aufbruchszeit an der Schwelle zum 20. Jahrhundert. Davon sind alle Mitglieder der Gruppe nachhaltig geprägt.

Einen Schwerpunkt der Ausstellung bilden die «intimen Orte» als Inspirationsquellen und Motive der Nabis. An ihnen lassen sich besonders deutlich die für den Beginn der Moderne prägenden Spannungen zwischen Altem und Neuem, zwischen Gegenstand und Farbfläche und zwischen Mimesis und Experiment aufzeigen.

Pierre Bonnard: Les oranges ou Le compotier aux oranges, um 1912; Öl auf Leinwand 68 x 45 cm; Kunstmuseum Bern, Dauerleihgabe Hahnloser/Jaeggli Stiftung

Im Gegensatz zu den Impressionisten und den – wenigen – Impressionistinnen waren die Nabis nicht daran interessiert, das pulsierende Leben der Grossstadt mit ihren dicht bevölkerten Boulevards und den von Leben erfüllten Plätzen und Parks darzustellen, sondern richteten den Blick auf ihre nächste Umgebung, zeigten Figuren in privaten Räumen mit lokalem Flair, Landschaften, Alltagssituationen und Stillleben.

Meistens treten ihre Figuren in häuslichen Situationen in Erscheinung, sei es in ungestörten Momenten im Ankleidezimmer oder im Schlafzimmer, Esszimmer oder Salon, auf dem Balkon, der Terrasse oder im Garten hinter dem Haus. Obwohl die Nabis mit diesen klassischen Motiven arbeiteten, strahlen ihre Werke etwas Neues, Unfassbares aus, sie wirken nicht naturalistisch im Sinne, dass sie Eindrücke aus der Natur abbilden.


«Immer heisst es, man müsse sich der Natur unterordnen. Manchmal muss man sich dem Bild unterordnen.» Pierre Bonnard


Vielmehr erforschte die Gruppe an bekannten Sujets neue Darstellungsformen und eine neue Wahrnehmung von Altbekanntem. Es werden monochrome Farbflächen und eine radikale Reduktion möglich, oft fehlen erzählerische Komponenten. Die Grenzen zwischen Porträt und Stillleben verschwimmen. Die Figuren besetzen den Raum nicht als Subjekte, sondern verschmelzen mit ihm. Auch Träume können auftauchen, obwohl die Surrealisten noch lang auf sich warten lassen werden.

Félix Vallotton: A. Th. Dostojewski, 1985; Holzschnitt 16 x 12,5 cm, Villa Flora, Winterthur, Dauerleihgabe an die Hahnloser/Jaeggli Stiftung

Ihr Schaffen begrenzte sich nicht auf Gemälde oder Werke der bildenden Kunst. Die Nabis gehören zu den ersten, die sich auch der Lithografie, Plakaten, Illustrationen in Zeitschriften, ja sogar der Kreation von Möbeln und Tapeten sowie anderen Formen der sogenannten angewandten Kunst widmeten.

Kunst überwand die Grenze zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Die Grenze zwischen populärer und «hoher» Kunst wurde aufgeweicht. Kurz gesagt: Kunst sollte das gesamte Leben durchdringen – das neue Jahrhundert kündigte sich an.

«Vivre notre temps!» Bonnard, Vallotton und die Nabis. Im Kunstmuseum Bern bis 16. Oktober 2022

Titelbild: Pierre Bonnard: Dans un jardin méridional (La Sieste), um 1914; Öl auf Leinwand 84 x 113 cm; Kunstmuseum Bern; Schenkung des Staates Bern, 1935 (Ausschnitt)

Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung des Kunstmuseums Bern.

 

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