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Robotereinsatz im Alter?

Die Age-Stiftung widmet sich dem guten Wohnen beim Älterwerden und fördert dabei soziale, architektonische und technische Innovationen. Welche technischen Hilfsmittel können das Wohnen im Alter erleichtern? Sollen in Pflege und Betreuung auch Assistenzroboter eingesetzt werden?

Unser Leben wird glücklicherweise durch viele technische Errungenschaften erleichtert. Auch im Alter sind technische Produkte nützlich, um Beschwerden zu mindern, Kraftverlust zu kompensieren und ein möglichst selbständiges Leben zu ermöglichen.

Technische Hilfsmittel für mehr Lebensqualität

So gibt es Geräte zur Unterstützung der Fein- und Grobmotorik, etwa beim Kochen und Essen. Hör- und Sehbehinderungen werden durch Hörgeräte und Brillen behoben. Für kognitive Einschränkungen gibt es Erinnerungs-Apps. Sicherheits- und Notrufsysteme können einen Alarm auslösen, etwa bei einem Sturz, bei Brandgefahr oder wenn man zu wenig lüftet oder Haustüren nicht schliesst. Mittels Telemedizin und Telemonitoring werden Gesundheitsdaten an Fachpersonen übermittelt und medizinische Beratungen erfolgen per Telefon oder digital. Passende Software wird für körperliches und geistiges Training eingesetzt. Die Kommunikation mit fernen An- und Zugehörigen wird mit Internet, Skype u.a. verbessert. Ganze Wohnungen können durch technische Optimierungen zu «Smart Homes» werden. Was von all dem und vielem mehr ist wann für wen sinnvoll? (vgl. Age-Report 2019, S. 145 – 149).

Braucht es auch Pflegeassistenz- oder Telepräsenzroboter?

Die Age-Stiftung hat in letzter Zeit auch der Frage des Robotereinsatzes in Pflegeinstitutionen und zu Hause Beachtung geschenkt und dabei drei unterschiedliche  Förderprojekte zusammen mit Partnerorganisationen unterstützt.

  1. Feldversuch mit dem Pflegeassistenz-Roboter «Lio»

«Hallo. Ich bin Lio.» Lio ist ein Assistenzroboter, der während zweier Jahre in den Wohnbereichen in zwei Pflegeeinrichtungen in Konstanz und Schaffhausen getestet und situationsangepasst weiterentwickelt wurde. Lio wurde von der Firma F&P Robotics AG entworfen und für den Feldversuch geleast. Der Assistenzroboter verfügt über einen Greifarm, der auf einer Plattform mit Rädern montiert ist und sensorgesteuert durch Gänge rollen kann, ohne irgendwo anzustossen. Bedient wird Lio per Laptop und WLAN, über einfache Sprachbefehle oder manuell. Lio kann Objekte greifen und anbieten, mit UV-Licht Türklinken desinfizieren, Gesichter erkennen, zu Bewegungsübungen motivieren und anleiten als auch mit Personen sprechen, unterhalten und informieren. Zudem erinnert er zuverlässig an bevorstehende Termine und begleitet Bewohnende. Er soll damit das Betreuungspersonal entlasten und einen Mehrwert für alle bringen.

Fleur Jaccard, Geschäftsführerin der Age-Stiftung, ©Age-Stiftung, Foto: Ursula Meisser

Mit dem Forschungsprojekt PUR (Pflegeunterstützende Robotik), das von der Universität Konstanz geleitet und in den beiden Alterszentren Emmersberg (Schaffhausen) und im Sankt Marienhaus der Caritas (Konstanz) umgesetzt wurde, erhoffte man sich Erkenntnisse zur Benutzerfreundlichkeit und Alltagstauglichkeit von Lio sowie zur Akzeptanz und Nützlichkeit für die Organisation. «Lio muss noch einiges lernen», fasst Fleur Jaccard, Geschäftsführerin der Age-Stiftung die Evaluationsresultate zusammen. «Die Bewohnenden haben mehrheitlich positiv auf Lio reagiert. Für eine tatsächliche Entlastung des Pflegepersonals und Verbesserung der Lebensqualität der zu Pflegenden ist die Technik, besonders eine einfache Bedienbarkeit über Sprache zu verbessern. Lio muss beispielsweise Dialekte lernen, damit die Sprachinteraktion reibungslos verläuft. Schliesslich zeigte die Untersuchung auch, wie wichtig die systematische Einbindung sämtlicher Mitarbeitenden der Pflege- und Betreuungsteams ist», so Fleur Jaccard.

  1. Einsatzmöglichkeiten assistiver Robotik in Pflege und Betreuung

Die Age-Stiftung hat 2021 mit der Fondazione Garbald und dem Institut für Altersforschung  (IAF) der Ostschweizer Fachhochschule (OST) den Aufbau einer Informations-Plattform gefördert. Die Informationsplattform  soll einen  öffentlichen und niederschwelligen Zugang  zu unabhängigen Informationen über existierende robotische Lösungen in der stationären und ambulanten Altersbetreuung und -pflege ermöglichen. Damit soll eine Übersicht geboten werden etwa über Serviceroboter für Pflegekräfte, über assistive Systeme für die Selbstsorge oder robotische Verbesserungen der Mobilität und Kommunikation zur Bekämpfung der Einsamkeit.

Einsatz von robotischen Systemen zur Verbesserung (oder Verschlechterung?) der Pflege- und Betreuungsqualität? (Bild © IAF Institut für Altersforschung der OST)

  1. Förderung der Lebensqualität mit sozialen Telepräsenzrobotern

In einem weiteren Projekt unterstützt die Age-Stiftung Untersuchungen zur Nützlichkeit des Einsatzes von sozialen Telepräsenzrobotern in unterschiedlichen Institutionen. Dabei soll geklärt werden, inwiefern Telepräsenzroboter einen Mehrwert im Heimalltag schaffen können. Gerade Corona hat gezeigt, wie wichtig die Kommunikation mit Familie und Freunden ist, auch wenn sie oft nicht vor Ort sein können. Genügen da herkömmliche Telefone, Smartphones und Tablets nicht? Telepräsenzroboter, die ferngesteuert werden können und eine zweiseitige Video- und Audioübertragung ermöglichen, schaffen durch ihre physische Gestalt eine grössere gefühlte Nähe zwischen Menschen im Ferngespräch.

Telepräsenzroboter Temi (Bild © FHNW)

Daneben können sie auch eingesetzt werden zur Führung durch das Pflegeheim oder um Videobotschaften abzuspielen, aus Zeitungen vorzulesen oder bei Spielen mitzuwirken. Aber wie können Telepräsenzroboter in Heimen so eingesetzt werden, dass sie für die Bewohnenden und für die Pflegekräfte wirkliche Erleichterungen im Alltag bringen und sinnvoll in die Arbeitsprozesse in den Heimen integriert werden. Das diesbezügliche Potential von Telepräsenzrobotern wird durch das Institut für Kooperationsforschung und -entwicklung der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) zusammen mit einem Netzwerk aus Forschung, Industrie und Alterseinrichtungen erforscht.

Programmeingabe für Temi: Was soll er tun? (Bild © FHNW)

Fleur Jaccard fasst die bisherigen Erfahrungen zusammen: «Die Age-Stiftung ermöglicht mit der Förderung der unterschiedlichen Projektvorhaben den Erkenntnisgewinn im Bereich Robotik. Je nach Einsatzgebiet kommen unterschiedliche Assistenzsysteme zur Anwendung. Entwicklungsbedarf zeigt sich vor allem bezüglich Technik und verlässlicher Bedienbarkeit. Ein Roboter wird nur dann verlässlich eingesetzt werden können, wenn sowohl Technik als auch das Zusammenspiel zwischen Mensch und Roboter sinnvoll und alltagstauglich gestaltet werden kann.»

Ethische Überlegungen

Zur Frage des Einsatzes  von Robotern in Pflege und Betreuung werden immer wieder auch ethische Überlegungen ins Spiels gebracht. Beispielsweise empfiehlt der deutsche Ethikrat in einer 60-seitigen Stellungnahme zur Frage des Einsatzes von Robotik für gute Pflege u.a. Folgendes:

  • Ziel des Einsatzes von Robotik in der Pflege soll der Nutzen und die Achtung der Würde für zu Pflegende und Pflegende sein.
  • Bei der Entwicklung von robotischen Assistenzsystemen sollen die Perspektiven von Pflegenden und zu Pflegenden schon in der Frühphase berücksichtigt werden.
  • Beim Einsatz von robotischen Systemen soll die Verbesserung der Pflegequalität offensichtlich und die Verantwortung für den korrekten Einsatz von Robotern klar definiert sein.
  • Beim Einsatz von Robotik ist die Individualität der zu betreuenden Person zu respektieren. «Dabei sind Kriterien des personenbezogenen Wohls zu berücksichtigen, insbesondere Selbstbestimmung, Identität, Relationalität, Privatheit, Intimität und Scham.» (S. 50)

Da Pflege ein durch Robotik nicht ersetzbares «zwischenmenschliches Interaktionsgeschehen» ist, ist «darauf zu achten, dass der Einsatz von Robotik soziale Kontakte nicht vermindert oder erschwert und Erfahrungen von Zuwendung und Empathie, die im Einzelfall eng an die Unterstützung durch pflegende Personen gebunden sein können, nicht beeinträchtigt.» (S. 51)

Robotische Assistenzsysteme für die stationäre und ambulante Pflege und Betreuung sind bereits auf dem Markt, werden laufend weiterentwickelt  oder mit guten Gründen aus dem Verkehr gezogen. Die technische, fachliche und ethische Diskussion ist lanciert, der Erfindergeist ist am Werk und Nützliches wird zuhause oder im Heim früher oder später in den Alltag integriert werden.


Fleur Jaccard übernahm am 1. März 2022 die Geschäftsführung der Age-Stiftung von Antonia Jann. Die heute 47-jährige Ethnologin und diplomierte NPO-Managerin bringt vertiefte Erfahrung aus den Bereichen Philanthropie, öffentliche Verwaltung, Non Profit und Internationaler Zusammenarbeit mit. Sie setzt sich für die Lösung unterschiedlicher sozialer und gesellschaftlicher Herausforderung ein wie Alters- und Generationenarbeit, frühe Hilfen, Armutsbekämpfung und sozialen Zusammenhalt.

Titelbild: Interaktion zwischen Lio und einer Bewohnerin im Alterszentrum Emmersberg (Bild © Alterszentrum Emmersberg Schaffhausen)

Infos zur Förderprojekt 1

Infos zu Förderprojekt 2

Infos zu Förderprojekt 3

Stellungnahme des deutschen Ethikrates

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