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Fülle und Vergänglichkeit

Das Landesmuseum Zürich zeigt in der grossen Herbstausstellungen «Barock. Zeitalter der Kontraste» nicht nur Opulenz und Innovationen, sondern auch Tod und Krise. Die Gegensätze dieser Epoche wirken bis heute nach.

Beim Begriff Barock denkt man an prachtvolle Kirchen, Meisterwerke bildender Kunst sowie an prunkvolle Paläste. Doch gegenüber dieser Pracht standen während der rund 200 Jahre, zwischen 1580 und 1780, Religionskriege, Kolonialisierung und Elend. Die animierte Europa- und Weltkarte zeigt diese wechselhafte Geschichte anschaulich. Sie ist ein eindrücklicher Einstieg in die Ausstellung.

Kulissen unterteilen die vier Ausstellungskapitel: «Architektur und Städtebau», «Garten und Natur», «Interieur und Mode», «Wissen und Kunst». Foto: rv

Das erste Kapitel führt zu «Architektur und Städtebau» in Rom, der Wiege des Barock. Hier entstehen im Zuge der Gegenreformation prächtige Kirchen, die mit illusionistischer Malerei im Inneren das Paradies auf Erden evozieren und so den katholischen Glauben propagieren. An bedeutenden Bauprojekten sind Tessiner Architekten beteiligt, wie Domenico Fontana (1543-1607), Carlo Maderno (1556-1629) und Francesco Borromini (1599-1667).

Giovanni Battista Piranesi (1720-1778), Radierung aus den «Vedute di Roma», 1750-1775. Mehrere Monumente, wie der Obelisk auf der Piazza del Popolo, sind das Werk von Domenico Fontana. © Graphische Sammlung, ETH-Bibliothek, Zürich

Durch die steigende Bautätigkeit machen sich ebenso Baumeister aus dem Misox einen Namen, zumal sie die italienische Architektur in den Norden transferieren. So wird der Bayerische Hofbaumeister Enrico Zuccalli (1642-1724) aus Roveredo/GR zum wichtigsten Vertreter des Münchner Hochbarock.

Giovanni Serodine, Jungfrau der Söldner, um 1625-1627. Der aus Ascona stammende Künstler ist Wegbereiter der frühbarocken Sakralkunst. © Pinacoteca cantonale Giovanni Züst, Rancate/TI, Foto: Roberto Pellegrini.

Europa ist im 17. Jahrhundert in zwei grosse Lager gespalten, das römisch-katholische und das protestantische. Die Folgen sind langanhaltende Kriege, wie der Dreissigjährige Krieg (1618-1648). Zerstörung, Hungersnöte und Seuchen verwüsten und entvölkern ganze Landstriche.

Von der Kolonisierung profitiert die Schweiz, auch ohne Flotte. Schweizer Jesuiten missionieren weltweit, Söldner kämpfen in Übersee und schlagen Aufstände nieder, reformierte Kaufleute besitzen Plantagen. Städte wie Zürich oder Bern investieren ihr Geld in internationale Handelshäuser, die ihren Gewinn aus dem Handel mit versklavten Menschen erwirtschaften.

Das nächste Thema ist dem Barockgarten gewidmet. Als Zeichen von Macht und Repräsentation wird die französische Gartenbaukunst unter Louis XIV. (1638-1715) führend. Die streng geometrisch angelegten Gärten erscheinen als Fortsetzung der Schlossarchitektur, Versailles wird Vorbild für ganz Europa. Im Barockgarten werden auch opulente Feste, Feuerwerke und Freilichttheater zur Unterhaltung der höfischen Gesellschaft abgehalten. Die Oper entsteht, Wegbereiter ist der italienische Komponist Claudio Monteverdi (1567-1643). In der Kunst wird die Landschaft zu einem eigenständigen Bildthema.

Viele Musikinstrumente wurden im Barock entwickelt. Foto: rv

Bezüglich Interieur und Mode bleibt Frankreich führend. Mit der Gründung von königlichen Manufakturen werden künstlerische, politische und ökonomische Ziele gefördert und damit der Import teurer Auslandprodukte vermieden. In der Manufacture royale des tapisseries et des meubles de la Couronne arbeiten unter der Leitung von Hofkünstler Charles Le Brun (1619-1690) über 250 Kunstschaffende. Die meist enorm grossen Tapisserien werden primär in der Pariser Manufaktur an der Avenue des Gobelins für die königlichen Repräsentationsräume hergestellt.

Die Tapisserie stellt die Hochzeit zwischen dem Sonnenkönig und der spanischen Infantin im Jahr 1660 dar. Im Zentrum links Louis XIV., rechts Philippe IV und Maria Teresa, die nach der Hochzeit französische Mode trägt. Tapisserie, Manufacture des Gobelins, Paris, 1668. © Mobilier national, Philippe Sébert, Paris

Unter der protektionistischen und merkantilistischen Politik Frankreichs wird Lyon zum Zentrum der Seidenherstellung. Die Mode wird zudem systematisch gefördert und mittels Druckgrafiken verbreitet. Die saisonal wechselnden französischen Modeneuheiten werden in ganz Europa vom Adel bis zum Bürgertum von Damen und Herren getragen.

Das einteilige Festkleid, um 1760, wird über einem ausgesteiften Reifrock getragen und vorne zugeschnürt. Es besteht aus 12,5 Meter gemustertem Seidengewebe. Foto: rv

Der steife spanische Reifrock, der Guardainfante, wird in Frankreich kreativ umgesetzt und zum luxuriösen Festkleid der Dame von Adel. Auch die Schweizer Noblesse orientiert sich an der Robe à la française, wenngleich die Obrigkeit immer wieder mit Ordnungsmandaten versucht, den Luxus in der Öffentlichkeit einzuschränken.

Das Kapitel «Wissen und Kunst» zeigt, dass die fortschreitende Kolonisierung in Nord- und Südamerika und der Ausbau weltweiter Handelsnetze nicht nur Waren in Umlauf bringt, sondern auch Wissen. Akademien und Observatorien werden gegründet, Bibliotheken und Sammlungen angelegt. Wissenschaftliche Instrumente wie das Fernrohr oder das Mikroskop werden erfunden und stehen für die Neuausrichtung des Weltbildes. Die Natur wird erforscht, auch von Schweizer Persönlichkeiten, etwa Johann Jakob Scheuchzer, Jost Bürgi oder Maria Sibylla Merian (1647-17143), die für ihre Studien von Pflanzen und Insekten bis nach Surinam reist.

Cornelis I. de Baellieur, Galerie eines Sammlers, um 1640. © Liechtenstein. The Princely Collections, Vaduz-Vienna

Zu keiner anderen Zeit wird so intensiv gesammelt wie im Barock. Fürsten und wohlhabende Büger sind stolz auf ihre Kunst- und Wunderkammern, wo das Wissen der Welt anhand unterschiedlichster Objekte und Kunstwerke zusammengetragen, präsentiert, erforscht und diskutiert wird.

Nautiluspokal, Melchior Maria Müller, Zug, um 1670-1680. © Schweizerisches Nationalmuseum

Die Schau präsentiert fantsievolle, aufwendig und minutiös elaborierte Silber- und Goldschmiedearbeiten, wie etwa ein Nautiluspokal aus Perlmutt Muschel, ein Kriegsschiff als Tischdekor oder eine Kokosnuss als Trinkgefäss.

Inmitten dieser Pracht vergessen die Menschen die eigene Vergänglichkeit nicht. Gedanken an den Tod drücken sich in der Kunst durch das Memento Mori aus, wie im Vanitasstillleben des Schweizer Malers Georg Gsell oder in der Augsburger Tischuhr, die mit einem Skelett und Totenköpfen daran erinnert, jederzeit ein gottgefälliges Leben zu führen.

Titelbild: Simon Luttichuys (zugeschrieben), Stillleben, 1650-1680, © Rijksmuseum, Amsterdam

Bilder sind vom © Schweizerischen Nationalmuseum zur Verfügung gestellt, ausser Fotos: rv

Bis 15. Januar 2023
«Barock. Zeitalter der Kontraste» im Landesmuseum Zürich
Katalog zur Ausstellung, mit verschiedenen Essays und Abbildungen, Hrsg. Schweiz. Nationalmuseum, Christoph Merian Verlag 2022

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