StartseiteMagazinGesellschaftDie Frau hinter der guten Erfindung

Die Frau hinter der guten Erfindung

«Die Mutter der Erfindung. Wie in einer Welt für Männer gute Ideen ignoriert werden.» Katrine Marçal, schwedische Journalistin und Autorin, legt in ihrem Buch eine breite Palette von Fakten und historischen Entwicklungen vor.

Hinter jeder guten Erfindung steht eine Frau. – Nein, so kategorisch formuliert es Katrine Marçal nicht. Sie erzählt von Erfindern, und dann sind es doch Frauen, die entscheidend zur Verbreitung der neuen Idee beitragen. Die praktische Erfindung des Rollkoffers dient als Beispiel. Die Idee, einen Koffer mit Rädern leichter transportierbar zu machen, hatte zwar ein Amerikaner, dem das Koffertragen zu schwer wurde.

Es brauchte verschiedene Anläufe, bis der Rollkoffer wirklich so beliebt wurde, dass heutzutage niemand mehr eine Reise macht, ohne sein Gepäck neben oder hinter sich zu rollen. Sogar die grosse Warenhauskette Macy’s lehnte es zuerst ab, den Rollkoffer ins Sortiment zu nehmen. Den Ausschlag gaben Air-Hostessen, die damals wohl noch Stewardessen hiessen, die mit ihren rollenden Köfferchen leichtfüssig vor den Passagieren ins Flugzeug stiegen.

Ausführlich schildert die Autorin, wie der gewiefte Geschäftsmann Abram Spanel zur Latexproduktion umstieg, die heute noch bekannte Mieder- und Unterwäschemarke Playtex gründete und auch für militärische Zwecke flexible Materialien herstellte. So kam es, dass Spanel mit seiner Firma ILC in den 1960er Jahren elastische Kleidung für Astronauten entwickelte, die alle Konkurrenten hinter sich liess. – Das Unternehmen Mondflug war damals ein reines Männerunternehmen.

Damenwäsche-Näherinnen für die NASA

Armstrong und Aldrin spazierten auf dem Mond in weichen Raumanzügen, die von Textilarbeiterinnen genäht worden waren. Denn Spanel beschäftigte in seiner ILC die besten Facharbeiterinnen aus der Sparte BHs und Latexwindeln. Die Aufträge konnten zu aller Zufriedenheit ausgeführt werden, nur konnten die Arbeiterinnen und die Techniker der NASA nicht miteinander kommunizieren. «Die NASA wollte Zeichnungen sehen, die Näherinnen verwendeten Schnittmuster», schreibt Marçal. Die Autorin zieht daraus den Schluss, dass der Mensch es ohne die Technik des Nähens nie geschafft hätte, den Mond zu erreichen. Dann wendet sie ihr Augenmerk auf die festgefahrenen Vorurteile, was «männlich» und was «weiblich» sei – denn da liegt der Kern dieses Buches.

Dass die Entwicklung der Technik den Fortschritt der Menschheit befördert hat, sieht sie nämlich als drastische Fehlwahrnehmung an. In einem Bild ausgedrückt: Marçal stellt die These in Frage, dass der Speer, d.h. der Stock mit einem scharfen Stein an der Spitze, um ein Tier zu töten, das kulturfördernde Werkzeug gewesen sei. Stattdessen nennt sie den Grabstock, den die Frauen nutzten, um im Boden nahrhafte Wurzeln zu finden und später selbst Gemüse zu ziehen. Weder das eine noch das andere lässt sich heute beweisen. Die Autorin gibt zu bedenken, dass sich ein verzerrtes Bild der Menschheit ergebe, wenn man die Frauen nicht mit in den Blick nehme.

Ein vorurteilsloses Miteinander

Weiter lesen wir: «Wenn es uns dagegen gelingt, bisher als feminin codierte Aspekte des menschlichen Lebens zu etwas universell Menschlichen umzudefinieren, ändert sich auch die Definition dessen, was das Menschsein ausmacht.» Solche Aussagen machen dieses Buch lesenswert: Es geht nicht darum, die traditionelle Männerwelt zu verteufeln und nur noch dem Feminismus zu huldigen. Aber Marçal findet in allen Bereichen der Gesellschaft eingefahrene Vorstellungen, die dem Miteinander von weiblichen und männlichen Qualitäten entgegenstehen.

Foto der Autorin: Anna-Lena Ahlström (2020).

Auch dazu ein kleines Beispiel: Marçal weist darauf hin, dass Künstlerinnen früher häufig allein deshalb Textilien als Material genutzt hätten, weil ihnen vom Studium der Malerei abgeraten worden sei.

Sie räumt auch mit Fehlinformationen auf: Wir meinen, dass die berühmte Teflonpfanne, die wohl in fast jeder Küche zu finden ist, auf die NASA zurückgeht, die das Material für Raumfahrzeuge benutzte. Tatsächlich gab es das Material schon vorher, erklärt uns die Autorin: 1954 kam Colette Grégoire, eine Französin, auf die Idee, dass die Beschichtung auf der Angelausrüstung ihres Mannes für ihre Bratpfannen von Nutzen sein könnte. Dieser Einfall machte ihren Mann reich: Er gründete die Firma Tefal, die bis heute floriert.

Einfälle, die den Alltag leichter machen

Zahlreiche spritzig erzählte Episoden dienen der Autorin dazu, die Lesenden davon zu überzeugen, dass das Verhältnis der Geschlechter und ihre Aufgabenverteilung neu gestaltet, vor allem aber die gegenseitige vorurteilsfreie Wertschätzung gepflegt werden sollte. Und das muss sich auch in einer gerechten Verteilung der finanziellen Ressourcen niederschlagen. – Auch dafür ein Beispiel: Eine Schwedin, die unter den Folgen einer Polio-Erkrankung litt, erfand den Rollator, um sich mehr Bewegungsfreiheit zu schaffen, aber um finanzielle Unterstützung für diese Verbesserung ihrer Lebensqualität bemühte sie sich vergeblich. Sie liess sich nicht entmutigen in ihrem Drang, sich ihren Alltag zu erleichtern.

Nicht nur durch ihren Stil überzeugt Katrine Marçal, sondern auch durch ihre raffinierte Kombination von anschaulichen Beispielen und den einleuchtenden Schlüssen, die sich daraus fast wie von selbst ergeben. Die Autorin wurde 1983 in Schweden geboren. Sie hat Wirtschaftswissenschaften studiert und als Journalistin und Sachbuchautorin international viel Anerkennung erhalten. Die Mutter der Erfindung ist für den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2022 nominiert. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London.

Katrine Marçal:  Die Mutter der Erfindung. Wie in einer Welt für Männer gute Ideen ignoriert werden. Übersetzt von: Gesine Schröder. Rowohlt Berlin 2022. 304 Seiten. ISBN: 978-3-7371-0142-4

Titelbild: Hier überraschenderweise die Erfindung einer Frau:  Modell zum Nähen von Strohgeflecht. Patent model submitted by Mary P. Carpenter. Patent number: 171,774. (1876) / commons.wikimedia.org

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