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Großstadt im Oktober

Herbstferien in Berlin und Brandenburg: Anregungen für jeden Geschmack.

Das ungeheizte Hotelzimmer in Berlin bleibt wohl Fiktion, aber der feine Espresso beim Italiener ums Eck nach einem Spaziergang über den Dorotheenstädter Friedhof mit all den Geistesgrössen schräg gegenüber vom Brechthaus kostet trotz Inflation immer noch weniger als als zwei Euro. Die Wohnung von Bertolt Brecht und Helene Weigel ist sehenswert, aber nur auf Voranmeldung mit Führung zu besichtigen, andernfalls wäre die Lust, in einem der Bücher herumzublättern oder sich an den Schreibtisch zu setzen, wohl nicht zu bändigen.

Von der Terrasse des Stadtschlosses öffnet sich ein 360-Grad-Rundumblick: Hier der Ausschnitt auf das Rote Rathaus links, die Nikolaikirche und das Stadthaus rechts im Bild.

Viele Sehenswürdigkeiten in dieser Großstadt mit den so unterschiedlich gewachsenen Stadtbezirken sind zu Fuss erreichbar. Und es muss nicht immer der Alexanderplatz sein – zurzeit ohnehin eine Riesenbaustelle. Warum nicht die Museumsinsel erkunden, dann über die Spree zum anstelle von Ulbrichts Palazzo di Prozzo (O-Ton Wolf Biermann) rekonstruierten Stadtschloss, heute dem Humboldtforum mit seinen Exponaten aus der Kolonialzeit.

Die Museumsmeile am Potsdamer Platz mit der St. Matthäus-Kirche und der Baugrube für das künftige Museum für Gegenwartskunst, ein Herzog und de Meuron-Bau.

Nun sind alle Ausstellungsräume des neuen Museums geöffnet – und vorläufig auch noch die Benin-Plastiken zu bewundern. Die Ausstellung kostet Eintrittsgeld, aber auf die Terrasse darf man mit einem Gratisticket, und neben der Aussicht in alle Richtungen ist auch das Dachrestaurant ein guter Ort. Schade, kann der 67 Meter hohe Turm der Zionskirche, die auf der höchsten Erhebung des alten Berlins steht, zurzeit leider nicht bestiegen werden.

Sascha Wiederhold: Der Handkuss. 1928

Hier hat Pastor Dietrich Bonhoeffer seinen aussichtslosen Kampf gegen die Nationalsozialisten Anfang der 30er Jahre aufgenommen. Und praktisch gleichzeitig hörte Sascha Wiederhold (1904-1962), durch die Zeitläufte gezwungen, mit Malen auf. Sascha wer? fragen selbst Kunstkennerinnen und Kunsthistoriker. Eine Ausstellung in der Neuen Staatsgalerie hilft einem auf die Sprünge. Wiederhold war Mitglied der Künstlergruppe Der Sturm um den Schriftsteller, Verleger und Galeristen Herwarth Walden, arbeitete als Bühnenbildner fürs Theater im ostpreussischen Tilsit, heute Sowetsk in Russland, und malte grellbunte Bilder, die, je länger man sich auf sie einlässt, Geschichten erzählen.

Sascha Wiederhold: Jazz-Symphonie, 1927.

Wiederholds Bildwelt besteht aus figurativen Formen, vielen Gesichtern und Augen sowie Mustern und intensiven Farben, wobei die großformatigen Gemälde, vor allem das riesige Bild Jazz-Symphonie, einen wie ein Wimmelbild in seinen Bann zieht. Ein erstes Mal hat der Basler Kunsthänder Carl Laszlo den Kunstmaler wiederentdeckt, der den 2. Weltkrieg als Buchhändler unauffällig überlebte. Und zur Neueröffnung der wegen Renovation jahrelang geschlossenen Neuen Staatsgalerie hat Berlin das Bild Bogenschützen angekauft, das so viel Echo auslöste, dass eine Sonderausstellung den Maler und Grafiker nun wieder ans Licht bringt.

Otto Dix: Skatspieler, 1920. Öl und Collage. Darstellung von Kriegsinvaliden. Dix (1881-1969) hat als Freiwilliger den 1. Weltkrieg überlebt.

In der Sammlungsausstellung gibt es weitere Informationen über den Sturm und seine Mitglieder. Mich zieht es jedoch zu Max Beckmann und seinen zwei Bildern Geburt 1937 und Tod 1938, oder zu Georg Grosz› bösartig kritischer Darstellung der urbanen Bevölkerung in Grauer Tag oder zu Otto Dix Skatspielern – einem der abgründigsten Gemälde zum Desaster des ersten Weltkriegs.

In dem Bau von Mies van der Rohe ist nun auch der Skulpturengarten offen. Nebenan in Fussdistanz steht die Gemäldegalerie, wo neben der zu Teilen geschlossenen Sammlung als Entschädigung eine Donatello-Sonderausstellung stattfindet. Dazwischen liegt die St. Matthäus-Kirche, die als Landmarke wohl den kürzeren ziehen wird, wenn sich dereinst aus der Baugrube der Kunstpalast von Herzog und de Meuron erhebt. Während die einen von einer riesigen Scheune oder Alphütte sprechen, sagen andere: «Ach, du redest vom neuen Aldi-Verteilzentrum am Potsdamerplatz.»

Ausstellungsansicht Donatello-Schau in der Gemäldegalerie. Im Vordergrund Madonna mit Kind, Mitte 15. Jh. Terracotta, bemalt und vergoldet.

Weiter zu Donatello. Erfinder der Renaissance. Mit seinen berühmten Marien-Reliefs und vor allem mit dem eleganten David, und der anrührenden Figur des Täufers zeigt die Ausstellung bekannte Werke in einem Kontext aus Sammlungsbeständen, der verständlich macht, warum Donatello nicht nur ein hochbegabter Bildhauer, sondern einer der Wegbereiter eines neuen Kapitels der Kunstgeschichte war. Mich faszinieren die Spiritelli, himmlische und irdische Liebesgeister in frech-fröhlichem Spiel – als Relief oder als Bronzefigur.

Zwei Spiritelli von Donatello, im Hintergrund rechts die berührende Figur des Täufers. 

Museen gäbe es in dieser Stadt unzählige, aber uns zieht es mit der Strassenbahn an den Weißen See, im gleichnamigen Viertel von Pankow. Sommers gibt es ein Strandbad, winters kann man Schlittschuh laufen, und wer gut beobachtet, entdeckt auch mal eine Ringelnatter, während des Spaziergangs rundherum.

Am Weißen See auf der Terrasse ist es heute noch fast so wie 1972. Bild: Bundesarchiv 

Das Milchhäuschen öffnete 1913 als kommunaler Betrieb, heute ist es als stilechter 50er-Jahre-Neubau aus DDR-Zeiten ideal für einen Zwischenhalt bei Kaffee und Kuchen auf der grosszügigen Terrasse, oder für eine Mahlzeit mit deutscher Küche, was es in so guter Qualität immer seltener gibt.

Einer der Erinnerungsplätze am Grossen Stechlin-See in Brandenburg.

Sogar am Grossen Stechlin-See in Brandenburg findet man einfacher ein vietnamesisches Lokal als eins mit guter einheimischer Küche. An Theodor Fontane und seinem Roman Stechlin kommt man nicht vorbei, der Vertreter des Realismus ist hier mit Statuen und Erinnerungstafeln präsent. Weniger idyllisch und naturnah als der Stechlinsee ist die Gedenkstätte Ravensbrück in der gleichen Region.

Schlacke mit Orientierungstafeln dort, wo einst die Baracken des Lagers Ravensbrück bei Fürstenberg in Brandenburg standen.

Die Anlage war das grösste Konzentrationslager für Frauen. Später wurden ein Männerlager und ein Jugendlager angefügt. Wer über die Fundamente der Baracken oder in die noch erhaltenen Gebäude tritt, den erfasst das Grauen, selbst wenn man noch nicht nachgelesen hat, wie hier von 1938 bis 1945 Frauen aus halb Europa – Widerstandskämpferinnen, Roma, Jüdinnen, Soldatinnen der Roten Armee – bei harter Zwangsarbeit, beispielsweise für Siemens, zu Tausenden ums Leben kamen.

Eine Dauerausstellung zeigt Werke, die trotz aller Kontrolle hatten entstehen können.

Nach 1945 diente das Stammlager als Kaserne für sowjetische Streitkräfte. 1959 wurde die Gedenkstätte eingerichtet. Wer die Gedenkstätte besucht, erfährt hautnah, wie der Alltag für die eingesperrten Frauen und Kinder war, aber auch wie es in all dem Elend Solidarität und sogar Kreativität gab.

Sowohl der Stechlinsee als auch die Gedenkstätte Ravensbrück sind mit öffentlichem Verkehr erreichbar, aber mit dem Privatauto gelangt man schneller und einfacher in die Wälder und an die Seen Brandenburgs. Gerade jetzt sind nebst den Farbexplosionen des Feuerbuschs die Früchte der Kornelkirsche, die Hagebutten und die Beeren des Sanddorns reif – Zeit für manche Familien, den Segen zu sammeln und einzukochen.

Feuerdorn und Hagegutten im Nordbahnhof-Park.

Natur gibt es aber auch ganz nah, oft gleich vor der Haustüre mitten in Berlins Strassen. Da noch viele Gehwege mit Steinen gepflästert sind, wachsen aus den Sand-Fugen die schönsten Blüten, im Moment breitet sich die Rauke, neudeutsch Rucola, mit ihren gelben Blümchen aus, oder der Strandsilber und die Präriekerze, die alle bis zum Einbruch von Frost blühen, ein Fest für die letzten Bestäuber der Saison.

Titelbild: Berlin: die neue U-Bahn-Station Museumsinsel.
Fotos: © Reto Hänny und Eva Caflisch

Hier finden Sie alle Berliner Museen

 

 

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1 Kommentar

  1. Liebe Eva Caflisch

    Ihre Berlinreise mag ich sehr, so wie Sie erzählen ist das so wie ich es erlebte.
    (Jahrgang 1940) Immer schwingt ein Hauch Melancholie mit. Zum Thema gutbürgerliche Berliner Küche kann ich das Berliner Wirtshaus «Max und Moritz»
    empfehlen. Das Gegenwartsmuseum wird weder Stall noch Aldifiliale. Es ist ein Zeichen städtebaulicher Demut neben den Grossen der Architektur!

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