Kunst aus Kiew

Eine Gruppenausstellung mit Werken zeitgenössischer Kunst aus der Ukraine macht zurzeit im Kunstzeughaus Rapperswil Station.

Nicht nur in Kiew, der Hauptstadt des riesigen Landes, sondern aus allen Landesteilen von Lemberg bis Odessa wurden Werke von Künstlerinnen und Künstlern für die Ausstellung Unfolding Landscapes in Dänemark ausgewählt. Der massive Angriff Russlands auf die Ukraine hat den Abbau und die Rückführung an die Leihgeber – Künstlerinnen, Sammler – unmöglich gemacht: Sie sind unauffindbar, vielleicht auf der Flucht oder an der Front, ihre Häuser sind zerbombt.

So ist auch die Ausstellung ein Opfer des Angriffskriegs Russlands und als Zeichen der Hoffnung auf Tournee geschickt worden, nach Silkeborg Bad wurde sie in Brüssel gezeigt und nun ist sie in Rapperswil. Eine Chance, uns ein Bild über das zeitgenössische Kunstschaffen in der Ukraine zu machen.

Anna Bekerskaya: Sandpit, 2015. Fotografie

Aber vielleicht noch ein paar Fakten: Die Ukraine ist nach Russland der zweitgrösste Staat in Europa und hat über 44 Millionen Einwohner – nicht mitgezählt die von Russland 2014 annektierte Krim. Seit dem Kriegsausbruch im Februar 2022 wird die Zahl der Flüchtlinge in Europa auf fast fünf Millionen geschätzt.

Warum ausgerechnet das Kunstzentrum Silkeborg Bad in Dänemark zu der hochaktuellen Ausstellung kam, erklärt Direktorin Iben From: Der in der Ukraine geborene, seit 30 Jahren in Dänemark lebende Künstler Sergei Sviatchenko (*1952), der sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion für die kulturelle Freundschaft zwischen Dänemark und der Ukraine einsetzt, hat die Ausstellung vorgeschlagen. Nun ist auch eine Auswahl aus seiner Serie Geheimnisvolle Welt in der Schau.

Sergei Sviatchenko: Mysterious World, 1985. Druck einer Papiercollage

Die Vielfalt der gezeigten Werke mit dem weit gefassten Bezug zur Landschaft ist ästhetisch, soziokulturell und politisch ausgerichtet, sie zeigt die Wahrnehmung und Umsetzung einer lebhaften kreativen Szene, die hier drei Generationen verkörpert (geboren zwischen den Zwanziger- und den Neunzigerjahren). Durch den massiven Krieg bekommen viele Werke eine neue Dringlichkeit – Politik und Kampf, Bewahrung der eigenständigen Kultur und Beobachtungen eines sich verändernden Landes haben auch unter der Marke Entfaltung der Landschaft ihren Platz.

Natalia Matsenko aus Kiew hat die Ausstellung mitkuratiert, sie sagt: «Jetzt, unter den Bedingungen eines brutalen Kriegs ist die Landschaft für jeden Ukrainer nicht nur eine Umgebung oder ein Blick aus dem Fenster, sie ist ein Stück seines Herzens. Und um jedes dieser Stücke kämpfen wir verzweifelt.»

Andriy Sahaidakowskyi: And where are you? 2010. Öl auf Teppich

Der Rundgang könnte vor einem fünfteiligen Gemälde in angenehmen, hellen Farben – Blau- und Gelbtöne – beginnen: Aber Sevastopol, von dem Künstlerduo Oleksandr Hnylytskyi (1961-2009) und Oleg Holosiy (1965-1993) im ersten Jahr der ukrainischen Unabhängigkeit gemalt, ist beim genauer hinsehen ein verstörendes Kriegsbild: dargestellt sind Szenen der Belagerung Sebastopols im Krimkrieg, der Heldenmythos in einer postmodernen Verfremdung dekonstruiert.

Juri Yefanov: The Cube. Videostill

Im Kontext des Kriegs bekommen «unschuldige» Arbeiten wie beispielsweise das Video von Juri Yefanov (*1990) eine bedrohliche Dimension: Der versprayte Betonwürfel The Cube, der einst in einem Kinder-Camp stand, wird Zeuge einer gesperrten Landschaft ohne Kinder.

Ein mit bunten Pilzen überwucherter Baumstamm aus glasierter Keramik vermittelt die Botschaft, dass nur Pilze überleben, wir staunen auch, dass die rund zwei Meter hohe Töpferarbeit bisher alle Transporte unbeschadet überstanden hat. Ksenia Hnylytska (*1984) untersucht das organische Leben nach dem Zusammenbruch der Zivilisation.

Oleksiy Sai (*1975) hat eine Methode am Computer entwickelt, auf Stadtplänen Bombenkrater darzustellen: Die Arbeit Bombardiert von 2020 basiert auf der Realität, Bombenkrater gibt es in der Ostukraine seit vielen Jahren.

Sascha Maslov : Ukrainian Railroad Ladies, 2020, Fotografie

Mehrere Fotoserien widmen sich dem Alltag. Da sind die Porträts der Ukrainischen Eisenbahn-Damen von Sasha Maslov (*1984), die Grossmütter am Rand des Paradieses, Rückenansichten mit Kopftuch und Sonntagskleid, oder die speziellen Bahnreisenden, denen Julie Poly (*1986) begegnet ist.

Lena Subach & Vyacheslav Poliakov: Grandmother on the Edge of Heaven, 2019

Es gibt auch sehr Poetisches, etwa die auf dem Plakat und dem Katalog abgebildete Arbeit Volatility von Zhanna Kadyrova (*1981), die Fotografie einer Installation mit Heliumballonen über einer Teichlandschaft. Oder die Tryptichen des in der Nachkriegszeit bedeutenden Malers Hryhoriy Havrilenko (1927- 1984), der im Untergrund arbeitete und sich mit seinem lyrischen Werk explizit gegen den sozialistischen Realismus stellte.

Stepan Ryabchenko: Walking Cloud 2012-2021.

Das sind wenige Beispiele aus der reichen Präsentation. Hilfreich ist der reich bebilderte, im Museumsshop leider nur in englisch greifbare Katalog mit Essays zur entfalteten und zugleich verschwindenden Landschaft sowie mit Kurzporträts der Künstlerinnen und Künstler. Die Wanderausstellung, die kriegsbedingt nun auch in der Schweiz Station machen kann, ist eine seltene Gelegenheit, das zeitgenössische und aktuelle Kunstschaffen in der Ukraine in repräsentativer Auswahl sehen zu können.

Titelbild: Zhanna Kadyrova : Volatility, 2020-21. Fotografie der Installation
Alle Bilder © by the artists
Bis 20. November
Weitere Informationen für Ihren Besuch gibt es hier.
Veranstaltungen zur Ausstellung finden Sie hier.

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