Es ist keine gute Zeit. Auch wenn die Schweiz nur marginal von den krisenbedingten Einschränkungen betroffen sein wird. Einschneidender können private Sorgen und Verluste sein. Das Redaktionsteam von Seniorweb befasst sich bis Weihnachten jeweils mittwochs und samstags mit dem Thema «Feiern in dunklen Zeiten».
Kriegselend, Klimakrise, Energie- Engpässe, Turbulenzen an den Börsen, Rezession – und bald ist Weihnachten. Darf man, soll man da feiern? Unbedingt, finde ich!
Dunkle Zeiten in der Weltgeschichte, aber auch bei jedem Einzelnen privat, gab und gibt es immer wieder. Man denke nur an die vergangenen zwei Coronajahre. Spitzfindige werden sogar sagen, Weihnachten werde bei uns immer in dunklen Zeiten gefeiert, kurz nach der längsten Nacht.
Gewohnt, viel, fast alles zu haben
Dass jetzt überall, beim Strom, beim Wasser, bei den Lebensmitteln gespart werden soll, ist allerdings für praktisch die gesamte Schweizer Bevölkerung eine ungewohnte Lage. Wer hat denn schon den letzten Weltkrieg mit all seinen Einschränkungen bewusst erlebt? Den Gürtel enger schnallen mussten die meisten von uns noch nie wirklich – es sei denn, eine Diät sei erfolgreich gewesen.
Und jetzt? Sollen wir vor einer – einer! – flackernden Kerze in unseren Wohnungen sitzen, im dicken Pullover und mit den Lammfell- Finken aus Grossmutters Nachlass an den Füssen? Sollen wir, verbittert oder verängstigt ob all dem Bösen, das gerade in der Welt passiert, Weihnachten einfach mal ausfallen lassen? Als ob es mit der Winterdepression, die, aufgrund des Lichtmangels, vielen das Leben schon schwer genug macht, nicht getan wäre.
Gemeinsam feiern ist wichtig.
«Denn die einen sind im Dunkeln / Und die andern sind im Licht. / Und man sieht nur die im Lichte / Die im Dunklen sieht man nicht», heisst es am Ende der «Dreigroschenoper» von Bertold Brecht. Sollen wir jetzt alle unsichtbar werden? Sollten wir nicht viel mehr überall nach neuen Lichtquellen suchen? Beim gemütlichen Zusammensein mit Freunden, mit einem Anruf bei jemandem, der es gerade schwer hat, mit einem Lächeln und einem netten Wort zur gestressten Kassiererin im Supermarkt.
Familie und Freunde sind wichtig, gerade jetzt
Und natürlich in der Familie. Familienfeiern können so herzerwärmend sein, dass die heruntergedrehte Heizung gar keine Rolle mehr spielt. Es braucht vielleicht etwas Toleranz, um auch den nörgelnden Tischgenossen, bei dem früher alles besser war, oder den mürrischen Teenager, dem eh alles zum Hals heraushängt, miteinzubeziehen. Aber dann kann das Feiern so richtig losgehen. Mit einem guten Essen, das keineswegs direkt aus dem Delikatessengeschäft herangeschleppt sein muss, mit Gesprächen quer durch die Generationen, zu denen alle etwas beitragen.
Und mit Musik. Das vor allem. Musik kann Erinnerungen wecken. Was da alles plötzlich lebendig wird! Und wenn dann ab und zu eine Pause entsteht, weil eine Träne fliesst, gehört das einfach dazu.
Blockflöte spielen können fast alle – und zusammen tönt es ziemlich gut. Und vor allem laut. (pixabay)
Bei uns ist es die Blockflöte, die eine grosse Rolle spielt. Ganz einfach, weil auch die meisten Erwachsenen einmal auf so einem «Speuzknebel» geübt haben und sich jetzt am grossen Weihnachtskonzert beteiligen. Zweistimmig, ach was, manchmal ganz schön vielstimmig, wird das ganze Weihnachtsliederbuch der Jüngsten durchgespielt. Sicher am Anfang und zum Schluss, meist auch nochmals zwischendurch, immer wieder «Amazing Grace». Nicht weil es ein geistliches Lied ist, sondern weil es, wegen der vielen schrägen Tönen unseres Ad-Hoc-Orchesters, so schön nach Dudelsack klingt.
Hell kann auch mal grell sein
Den Spruch «Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten», darf man getrost mal umkehren: Wo viel Schatten, viel Düsteres ist, da muss auch etwas Licht sein. Vielleicht leuchtet es nicht ganz so hell wie in besseren Zeiten. Muss auch nicht sein. Man denke zum Beispiel an die im Advent jeweils hell, nein, grell erleuchtete Zürcher Bahnhofstrasse, wo sich die überreich funkelnden Schaufenster mit dem wesentlich ruhigeren Lichterdach hoch oben einen lauten, kitschigen Konkurrenzkampf lieferten.
Da darf schon mal etwas Ruhe einkehren, auch wenn diese nur auf dem Energiesparen gründet. Man sieht die einzelnen Lämpchen besser, wenn die Umgebung dunkel ist und nimmt das Licht – hoffentlich – bewusster wahr. Niemand kann so tun, als gäbe es all die Krisen, die Kriege, die dunklen Wolken nicht. Aber man kann dazu beitragen, etwas Licht, Licht im weitesten Sinne, ins Dunkle zu bringen.
Etwas in mir sträubt sich gegen diese dunkel beschworene Zeit, in der wir scheinbar heute leben. Krisen gab es schon immer in der Menschheitsgeschichte. Denken wir an die verschiedenen Epidemien wie die Pest, die ganze Städte und Dörfer auslöschte. Denken wir an die verheerenden Kriege, die aus Machtansprüchen, falschen Ideologien und Geldgier geführt wurden, aber Millionen Menschen das Leben und zum Teil die Heimat kostete. Oder denken wir an die Hungersnöte in Europa und der Schweiz, vor nicht einmal 200 Jahren, die viele Menschen aus Existenzgründen zwangen, ihre Heimat zu verlassen.
Wir sind verwöhnt von den letzten guten Jahrzehnten, die nur den Aufwärtstrieb und den Überfluss kennen. Und das Klima war lange Zeit auf unserer Seite. Doch jetzt realisieren wir, dass vieles auf dem Buckel anderer und zum Schaden der Natur aufgebaut worden ist und zeitigt nun Folgen, die auf uns zurückfallen.
Die Menschen im reichen Westen sind gierig, unersättlich und kaltherzig geworden. Dies erklärt auch die Zunahme diktatorischer Machthaber, Superreicher und Globalplayer, die glauben, das Recht zu haben, ohne Rücksicht auf Verluste, ihre ideologischen und eigennützigen Ideen anderen aufzuzwingen und oft auch mit Gewalt durchzusetzen. Rechtspopulisten und religiöse Fanatiker haben dank Internet Zulauf und werden immer radikaler, die Bevölkerung spaltet sich.
Die nahende Weihnachtszeit gibt uns Christen die Gelegenheit, die Botschaft Jesu, die Liebe zu allem, was lebt und das gleichberechtigte Miteinander wiederzuentdecken und zu spüren. Ich bin keine Kirchgängerin und glaube nicht an die Existenz eines Gottes. Aber ich bin überzeugt, dass in jedem Menschen Einsicht und Verstand vorhanden sind, um die Welt ein Stück besser zu machen, wenn wir es denn wirklich wollen.