StartseiteMagazinKultur«Wir wollen Bühnen Bern zugänglicher machen»

«Wir wollen Bühnen Bern zugänglicher machen»

Am Samstag 26. November findet in Bern die Uraufführung von «Carmilla oder das Zeitalter der Vampire» von Jan Dvořák statt. Der Hamburger Musiker und Allrounder hat die Schauspieloper im Auftrag von «Bühnen Bern» komponiert. Inszeniert hat sie Schauspieldirektor Roger Vontobel. Seniorweb sprach mit ihm.

Seniorweb. Was ist besonders an «Carmilla oder das Zeitalter der Vampire»?

Roger Vontobel. Hoffentlich vieles. Wir wollen mit den Mitteln des Sprechtheaters, der Oper und der Musik, gespielt durch das Berner Symphonieorchester, eine aussergewöhnliche, reichhaltige, opulente Geschichte erzählen, atmosphärisch und zugänglich. Speziell ist das «Coming-of-Age-Thema», die Entwicklung einer Frau von der Kindheit bis zum vollen Erwachsensein. In die Novelle wunderbar verwoben sind die Themen der gleichgeschlechtlichen Liebe und des Freiheitsdrangs eines Mädchens, das sich in eine Vampirin verliebt, dadurch selbst zu einer Vampirin und zu einer selbständigen jungen Frau wird. Wir versuchen einen Überbau zu schaffen, in dem der Vampirismus ein neues, antikapitalistisches, nachhaltiges Gedankengut erhält.

Was ist eine Schauspieloper, verglichen mit einem Musical oder einer Operette?

Eine Schauspieloper liegt näher beim Musical. Die musikalischen Passagen und die Schauspielelemente sind aber nicht auf den gemeinsamen Nenner eines Musicals herunter reduziert. Der Inhalt einer Schauspieloper ist komplexer, die Szenen sind sehr psychologisch. Die musikalischen Passagen kommen eher wie eine Oper daher: andere Klangfarben, dissonant und mit Chor, Arien sowie Opernstimmen.

In unserer Inszenierung werden die Menschen von Schauspielenden dargestellt, die Vampire durch Opernsängerinnen und -sänger. Typisch ist auch der Übergang vom Schauspiel zur Oper: Je mehr die Hauptdarstellerin zum Vampir wird, desto öfter singt sie. Musik ist Emotion, Musik ist Befreiung. Je länger das Stück dauert, desto stärker treffen sich Schauspiel und Oper.

«Carmilla» ist ein Auftragswerk. Weshalb haben Sie Jan Dvořák damit beauftragt?

Der Komponist Jan Dvořák.

Ich kenne Jan schon länger und habe mehrmals mit ihm zusammengearbeitet. Ich schätze ihn als Musiker, Komponisten, Dramaturgen, als Allrounder. Wir ergänzen uns hervorragend. Die Idee für die aktuelle Kooperation entstand vor ungefähr drei Jahren, als wir nach seiner Basler Produktionen «Andersens Erzählungen» beschlossen, die beiden Genre «Schauspiel» und «Oper» stärker ineinander zu verzahnen. Der Entstehungsprozess war gemeinsam, aber am Schluss ist «Carmilla» sein Werk.

Nennen Sie uns drei Merkmale Ihrer Inszenierung.

Wir haben ein sehr interessantes Bühnenbild mit aussergewöhnlichen Bilderwelten, die während der Aufführung entstehen. Zweitens ist die Erzählung einer atmosphärisch dichten Geschichte eine grosse Herausforderung. Das komplexe Zusammenspiel von Sprache, Gesang, Video, Licht, Bühne, Kostüme und eines kompletten Orchesters ist sehr speziell. Es gibt in «Carmilla» immer wieder Momente, in denen das ganze Team sekundengenau auf ein spezielles Moment hinspielt. Das fasziniert mich sehr.

«Der Bund» hat über Sie geschrieben: «Seine Spezialität ist das dicht orchestrierte Schauspieltheater.» Was heisst das?

Faszinierend am Theater ist, wenn all die beteiligten Menschen so eng zusammenarbeiten, dass sich quasi ein gemeinsamer Atem ergibt. Nicht einmal, sondern zweimal, dreimal, mehrfach. Diese Momente suche ich ganz bewusst. Ich bin ein Teamplayer und arbeite gerne mit grossen Teams.

Zu Beginn Ihrer Berner Zeit sagten Sie, Sie möchten sich mit der Stadt sowie den Menschen auseinandersetzen und «Begegnungsorte schaffen». Ist das gelungen?

Ich denke schon, dass es in den vergangenen Monaten immer wieder solche Begegnungsorte gab. Ich wünsche mir aber mehr. Wir möchten mit dem Schauspiel noch nahbarer und offener werden. Wir möchten neue Plattformen schaffen, wo diese Begegnungen möglich sind. Neugier ist das wichtigste Wort in meinem Leben. Ich wünsche mir für Bern und für mich, dass wir diese Neugier beibehalten können.

Welchen Bezug hat die Oper «Carmilla» zu aktuellen Gesellschaftsfragen?

Schauspieldirektor und Regisseur Roger Vontobel. Foto © Thomas Rapsch.

Neben der gleichgeschlechtlichen Liebe und dem Drang nach Freiheit geht es in der Schauspieloper auch um Gesundheit: Das Stück entstand während der Corona-Zeit. Deshalb ist mit dem Vampirismus auch eine Seuche verknüpft.

Verliebt: Laura und Carmilla. Foto © Ike Freese.

Grundgedanke ist die Beobachtung, dass die Natur zurückerobert, was man ihr genommen hat. Die Geschichte dreht sich um einen Grossindustriellen, einen Stahlbaron, der Braunkohle fördert und den Boden ausbeutet. Dadurch wird den Vampiren ihr natürliches Umfeld entzogen. Sie müssen sich ein neues «Habitat»  suchen. Sie reagieren auf die kapitalistische Ausbeutung und setzen dieser gleichzeitig ihr Lebensmodell entgegen. «Wir Vampire wiegen nicht viel» – heisst es im Stück. Das ist der intellektuelle Kern des Stücks. Der emotionale Kern ist die «Coming-of Age-Geschichte» von Laura.

Schiller, Rossini, Gotthelf, Dvořák. Wie wichtig ist ein guter Mix an einem Vierspartenhaus?

Ich hoffe, dass wir mit der gebotenen Breite von Schauspiel, Oper, Ballett und Symphoniekonzerten in Bern kulturelle Angebote schaffen, die möglichst viele Menschen interessieren. «Carmilla» ist opulenter als andere Produktionen, aber weniger sprachlastig als klassische Schauspiele. Wir wollen Erfolgreiches vereinen und weiterentwickeln. Mit dieser neuen Form hoffe ich, die Zugänglichkeit zu steigern und neue Publika zu erschliessen. Ausschluss ist immer ein Fehler.

Seit Corona beklagen viele Häuser einen Besucherrückgang. Wie reagieren Sie bei «Bühnen Bern» darauf?

Mit neuen Formaten wie «Carmilla oder das Zeitalter der Vampire», mit «Reportagen Live on Stage», einer Kooperation mit dem Recherche-Magazin «Reportagen», mit dem neuen Theaterformat  «Schauspiel Mobil», mit Kooperationen mit anderen Häusern, mit theatralischen Feldversuchen wie beispielsweise der Produktion «Hunger. Ein Feldversuch». Unsere Angebote sind keine Selbstläufer, sondern moderne Angebote an das Publikum, über gesellschaftlichen Entwicklungen, Leistungen und Defizite nachzudenken.

Worum es geht

Laura mit Carmilla und dem Chor. Foto © Ike Freese

Carmilla kommt nach einem Unfall auf das einsame Schloss von Joseph Hammer, der in der Gegend an der österreichisch-ungarischen Grenze mit der Förderung von Braunkohle ein Vermögen gemacht hat, die rückständige Region aber gerne bald wieder verlassen möchte. Gleichzeitig sorgt eine Seuche, die bereits für mehrere Todesfälle verantwortlich ist, für Angst und Schrecken. Und seit Carmillas Ankunft träumt Hammers Tochter Laura schlecht, wird immer blasser, und verspürt einen seltsam stechenden Schmerz am Hals. Bald verbindet die beiden jungen Frauen mehr als nur Freundschaft, und eine neue Welt geht für Laura auf.

In einer Welt, die die Menschheit mit ihrem System der Ausbeutung an den Rand des Kollapses gebracht hat, drängt sich die Frage auf: Ist das selbstgenügsame System der Vampire vielleicht das zukunftsfähigere? Ein opulentes Mehrspartenprojekt mit träumerischen Walzern, berührenden Songs und Anklängen an ungarische Volkslieder.

Der Biss. Foto © Ike Freese.

Zur Person

Roger Vontobel wurde 1977 in Zürich geboren und studierte Schauspielregie an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Er führte u. a. Regie am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, an den Münchner Kammerspielen, am Schauspiel Bochum, Deutschen Theater Berlin, Maxim Gorki Theater, Théâtre de l’Odéon in Paris, Royal Danish Theatre in Kopenhagen, Staatsschauspiel Dresden und Schauspiel Frankfurt. Seit der Spielzeit 2021/2022 ist er Schauspieldirektor an den Bühnen Bern.

Zur Person

Jan Dvořák ist ein Hamburger Komponist und Autor. Er studierte Komposition, Theorie und Musikwissenschaft in seiner Heimatstadt und in Wien; anschliessend nahm er ein ergänzendes Dirigierstudium auf. Die Spanne seiner Werke reicht vom performativen Projekt über Kammermusik und Schauspiel bis zu den abendfüllenden Opern. Dvořák war von 2012 bis 2015 musikalischer Leiter für den Studiengang «Opera Master» der Zürcher Hochschule der Künste. 2016 wurde er Chefdramaturg der Oper am Nationaltheater Mannheim. In der Spielzeit 22/23 ist er «Composer in Residence» bei der Camerata Bern.

Titelbild: Roger Vontobel: Seit 2021 Schauspieldirektor bei «Bühnen Bern». Foto © Thomas Rapsch.

LINK Bühnen Bern

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