StartseiteMagazinKolumnenFrieden schaffen, aber wie?

Frieden schaffen, aber wie?

Die russischen Angriffe gegen die Ukraine verursachen viel Leid. Sie gefährden auch die europäische Friedensordnung, stellte Historiker Benjamin Schenk am Sissacher Cheesmeyer-Gespräch am 15. Dezember eindrücklich fest. Der Krieg verletzt die Integrität eines Landes, das dringend Hilfe benötigt.

«Frieden schaffen ohne Waffen», dafür plädieren etliche Friedensbewegte. Ein Journalist wirft ihnen «Lumpen-Pazifismus» (Der Spiegel/20.4.2022) vor. Aber warum? Lassen sich Probleme etwa mit den gleichen Mitteln lösen, die sie verursachen? Oder erhöhen noch mehr Waffen die Kriegsgefahr, indem sie das weltweite Aufrüsten weiter ankurbeln?

Nach den Anschlägen auf das World Trade Center vom 11.9.2001 lancierten die Vereinigten Staaten (USA) einen Kampf gegen den Terror, der allein im Irak eine Million Tote forderte. Blockfreie Staaten kritisierten die USA dafür, dass sie sich wie eine Weltpolizei über Völkerrecht erheben. Sie verurteilten daher bei den Vereinten Nationen (UNO) zwar den russischen Angriff auf die Ukraine, ohne jedoch Sanktionen zu befürworten.

Die USA unterstützen die Ukraine, damit David gegen Goliath gewinnt. Und Russland schwächt? Das mag zum Kalkül gehören. Beim Machtpoker spielt jedenfalls die Rüstungsindustrie mit. Hinzu kommt die Osterweiterung der NATO (Nordatlantikpakt). Der russische Staatspräsident misst ihr eine bedeutende Rolle zu. Aber das rechtfertigt keinen militärischen Angriff. Die Krim-Annexion und die Beihilfen zur Donbass-Separation verschärften eine Krise, die seit 2022 weiter eskaliert. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts bestand noch Hoffnung, sich in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu verständigen, die viele Konflikte friedlich löst. Hoffentlich lässt sich daran anknüpfen. Politisch zu verhandeln, ist bitter nötig. «Aber wozu?», fragte Benjamin Schenk am Cheesmeyer-Talk.

Medien berichten, wer welche Gebiete erkämpft, Russland boykottiert und die Ukraine wie aufrüstet. Anders die Friedens-Frauen Weltweit. Sie hinterfragen die Waffenlieferungen, den nationalistischen Heldenkult und die vielen Toten auf beiden Seiten (Neue Wege 6/22). Sie thematisieren, was andere tabuisieren. Zum Beispiel, wie neoliberale Privatisierungen in Russland und in der Ukraine autokratische Kräfte stärkten. Und: Wie die NATO die UNO ins Offside manövriert.

Mit mehr Kompetenzen, Mitteln und Truppen ausgestattet, könnte die demokratisch legitimierte UNO immerhin wirksamer intervenieren. Dies auch im Irak; wider den Deal mit der türkischen Regierung. Sie darf kurdische Gebiete bombardieren, damit das Erdogan-Regime den NATO-Beitritt von Schweden und Finnland akzeptiert. Wer dagegen protestiert, lenkt keineswegs vom Krieg gegen die Ukraine ab.

Die Friedensforschung analysiert Macht- und Verteilungsfragen. «Denn solange die Völker aus Menschen bestehen, deren hauptsächliche Motivation das Haben und die Gier ist, werden sie notwendigerweise Krieg führen», schreibt Psychoanalytiker Erich Fromm (Haben oder Sein, 1976). Demokratische Strukturen sind laut umfassenden Länder-Studien (u.a. von Kate Pickett und Richard Wilkinson) tragfähiger. Sozialer Ausgleich fördert den Zusammenhalt. Aber was tun, wenn Gegensätze, Rivalitäten und unredliche Besitzansprüche trotzdem neue Kriege entfachen? Dann geht es doch zunächst darum, sich möglichst erfolgreich zu verteidigen. Eine gängige Kriegsoptik vernachlässigt allerdings diplomatische Anstrengungen, die zumindest die Chance erhöhen könnten, Leid einzudämmen.

Statt uns und andere militärisch aufzurüsten, können auch wir in der Schweiz mehr für einen Frieden ohne Waffen tun, indem wir beispielsweise das Atomwaffenverbot ratifizieren, Oligarchen entthronen, Neutralität nicht als Geschäftsmodell verstehen, die Umwelt schützen, den Frieden erforschen, bei Konflikten glaubwürdig vermitteln und bei Verhandlungen keine maximalen Ziele voraussetzen. Sonst scheitern sie. Vielleicht ergab die friedfertige Cheesmeyer-Debatte, ausgehend vom Ukraine-Konflikt, dazu wenigstens einen minimalen Konsens.

Das nächste Gespräch zum Thema «Wie Medien ihren Einfluss wahrnehmen» findet am 26. Januar um 19 Uhr im Kulturhaus Cheesmeyer in Sissach statt:
Medien galten einst als vierte Gewalt im Staat. Welcher Stellenwert kommt ihnen heute zu? Gäste: Esther Girsberger (Ombudsstelle der SRG), Ueli Heiniger (eh. TV-Moderator Zyschtigsclub) und Philipp Loser (Redaktor Tages-Anzeiger).

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5 Kommentare

  1. Lieber Herr Professor Mäder

    Ich schätzte Sie immer sehr, obwohl ich ihre Meinung oft nicht teilte. Im Gegensatz zu andern Ländern, gehört es zur schweizerischen Kultur, dass man sich gegensitig achtet und anders Denkende nicht lächerlich macht ober niederschreit. Es liegt mir deshalb fern, Antithesen zu Ihren Aeusserungen aufzustellen. Zu drei Punkten möchte ich aber doch etwas sagen:

    Neoliberalismus: wie Sie wissen, stammt der Begriff von der Freiburger Schule (Eucken, Röpke, etc.) und stand für einen Liberalismus mit menschlichem Gesicht, vereinbar mit der sozialen Marktwirtschaft. Das im Gegensatz zum animalischen Manchesterliberalismus. Heute wird Neoliberalismus als Schimpfwort verwendet, für über Leichen gehendes Gewinnstreben. Die ersten Neoliberalen würden sich wahrscheinlich im Grabe umdrehen, wenn sie das mit ansehen müssten.

    Privatisierungen in Russland: wir wissen alle, dass dort so ziemlich alles falsch gelaufen ist, mit den Anteilscheinen, mit denen die auf Kommunismus getrimmte Bevölkerung nichts anzufangen wusste und mit den fiesen Touren ehemaliger Kolchosedirektoren und anderer «verdienter» Aparatschiks, die sich zu Lasten des Volkes (einmal mehr!) zu Grosskapitalisten machten. Das ist eine riesige Tragödie, aber für einen Systemvergleich Kapitalismus – Sozialismus meines Erachtens absolut untauglich.

    Dass die USA im Mittleren Osten nie eine glückliche Hand hatten, dürfte allen klar sein. Jimmy Carter hatte praktisch den Schah ab- und damit indirekt Khomeini eingesetzt, obwohl meines Erachtens durchaus Methoden zur Erzwingung einer sanften Demokratisierung Irans unter Reza Pahlevi zur Verfügung gestanden hätten. Die USA hatten in der Folge Saddam Hussein zumindest nicht daran gehindert, gegen Khomeini Krieg zu führen, um dann später Irak entgegen jeder Vernunft anzugreifen.
    Was oft übersehen wird: damit wurde der Startschuss zur Ausrottung der im Mittleren Osten während zwei Jahrtausenden anwesenden Christen gegeben, inkl. der vor gut hundert Jahren vor dem durch die Türken verursachten Holocaust in jenen Raum geflüchteten Armenier. Die Usurpation der syrischen Revolution durch aus dem Irak-Krieg hervorgegangene Fundis wie Al Khaida und Isis/Daech und die egoistischen Interventionen von Erdögan und Putin machten dann das Chaos komplett und maximierten das Leid der lokalen Bevölkerung.

    • Lieber Herr Vogel
      vielen Dank für Ihre interessante und gehaltvolle Rückmeldung. Ja, Sie haben Recht. Die Herkunft des Begriffs neo-liberal ist wichtig. Drum müsste präzisiert werden, wenn eine angelsächsische oder andere Deutung gemeint ist. Und dass die erwähnte Privatisierungsphase keinen Systemvergleich erlaubt, trifft ebenfalls zu. Zum nördlichen Irak noch: Ich konnte im Oktober 2022 zum zweiten Mal wegen Bombardierungen Vertreter/innen der (von allen Seiten) drangsalierten Jesidische Bevölkerung in Shingal nicht besuchen. Dabei irritiert mich, wie wenig wir hier über dieses Schicksal erfahren.
      Ich wünche Ihnen viel Gutes

  2. Lieber Herr Mäder
    Merci für das Feedback (zufälllig entdeckt).
    Als Kommentator im Seniorweb komme ich mir meistens wie ein Rufer in der Wüste vor, als Verfasser eines Produkts, das einer Strassenlaterne gleicht, die nur sich selbst beleuchtet (Ausdruck von Willi Ritschard). Bezüglich Jesiden stimme ich Ihnen voll zu. Wahrscheinlich gibt es zur Zeit weltweit unzählige Gemeinschachaften mit ähnlichen Schicksalen.
    Mit herzlichem Gruss
    Hanspeter Vogel

  3. Lieber Herr Professor Mäder

    Es tut gut eine Stimme der Vernuft zu hören, in dem Stimmengewirr der Unvernuft und der Kriegstreiberei. Es stimmt schon, dass auf allen «Seiten» immer wieder Eigeninteresse im Vordergrund stehen. Dies war schon immer so, seit es «Seiten» gibt, und wird wahrscheinlich so lange bestehen, bis es Keine «Seiten» mehr gibt.
    Der damalige President Reagan hat einmal vor der UNO erklärt, wie schnell die menschlichen Differenzen in den Hintergrund treten würden, wenn eine Invasion von Space-Aliens auf die Erde käme; ja der «gute» alte Reagan. Seine Zeiten sind dies vielleicht; es sind die Zeiten von Hans Morgenthau und Kenneth Waltz, die uns den «Realismus» in den Internationalen Beziehungen erklären.
    Ich arbeite schon lange am Projekt, wie der (vermeintliche) «Ist-So»-Realismus in den «Soll-So»-Idealismus der Internationalen Beziehungen überführt werden könnte. Ich stosse dabei immer wieder bei Leuten und Meinungen an, aber eine Stärkung der U.N. im Moment scheint mir unersetzlich. Dazu müsste man den U.N.-Sicherheitsrat entweder abschaffen, oder komplett neu gestalten (da kann ich noch dazu lernen). Das Ziel wäre dann eine einhetliche Weltregierung mit «Weltgrundeinkommen» und «Weltfrieden».
    Wie ein weiser Jemand einmal gesagt hat: «Es ist einfacher das Ende der Welt zu denken, als das Ende des Kapitalismus.» Genau so, läuft uns schon seit 70 Jahren die Zeit davon. Wir vertun sie, mit Eigeninteressen der Staaten. Ich arbeite auch an den Governance-Aspekten des Klimawandels. Hier sehe ich ehrlich gesagt noch mehr «Welt-Zusammenarbeit», als auf dem Feld des Friedens. Wir werden es «realistisch» wahrscheinlich nicht schaffen, uns zusammenzurauffen.
    Idealistisch möchte ich festhalten, dass es mir täglichen Sinn gibt, doch über diese Fragen (und Antworten) nachzudenken und jemand Anderen damit zu konfrontieren. Verfehlt wäre es, wenn ich jetzt noch «Party» anmelden würde, und mich um Nichts mehr kümmern würde, nur weil ich der Meinung bin, dass die Welt in 50 Jahren untergeht. Bis dahin ist jeder Tag ja noch spannend, und es gibt so viel zu entdecken.
    Die Menschheit ist eine interssante Art: Voller so schöner Träume, und solch abscheulicher Alpträume! Ein interessaner «Mix». Ich denke, nicht jede ausserirdische intelligente Lebensform ist genau so interessant. Wir haben es versucht, und versuchen es, und werden es noch versuchen, das ist keine Frage.
    Wir sollten uns nicht zu ernst nehmen, als sehr junge Spezies auf diesem Planeten. Die meisten, eigentlich alle Mutationen scheitern einmal, das lehrt uns die Biologie. Auf uns wird etwas Anderes folgen. Ich finde nur den vitruvischen Menschen besonders schön, und manche Schabenspezies nicht so schön. Meine Wünsche sind aber nur subjektiv und die, eines von 8 Milliarden Menschen.

    Meine Zeilen leben auf dem Aluminium einer Festplatte eines Servers weiter.

  4. Danke, lieber Herr Fenner
    Ihre Gedanken lösen bei mir viele Assoziationen aus. Weitgehend zustimmende. Stärkung der UNO. Ja, klar. Von mir aus lieber lieber föderalistisch und politisch verbindlich, aber ohne (autoritär gefährdete) Weltregierung. Zu Ihrem «Idealismus»: schön. Ja, integrieren wir die konkrete Utopie mehr in die Realität. Soyez réalistes, demandez l’impossible. Und mit Marcuse: vom Leistungsprinzip zur Befreiung. Sonst verkommen die eindimensional gepushten Produktivkräfte zu Destruktivkräften (Kritische Theorie, Frankfurter Schule). Und zu den Träumen: In «Nie wieder 80» beschreibt Dieter H., wie er aus einem Angsttraum erwacht und tagsdrauf feststellt, dass die Realität noch bitterer sei. Dabei hilft wohl, wie Sie schreiben, dass wir uns weder überhöhen noch über andere erheben. Alles Gute und besten Gruss!

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