Was wir zu Schulzeiten nicht über die alten Römer gelernt haben, erfahren wir in Michael Sommers Buch «Dark Rome. Das geheime Leben der Römer», authentisch und überaus kurzweilig erzählt.
Nach Rom führt uns der Autor, Professor für Alte Geschichte in Oldenburg, über einen der sieben Hügel, den Aventin, wo er uns durch ein Schlüsselloch schauen lässt. Von dort aus hat man, wie es heisst, den schönsten Blick auf die Kuppel des Petersdoms. Das Buch handelt allerdings nicht von der Geschichte des Vatikans, auch die sieben Hügel stehen nicht im Mittelpunkt. Und obzwar Michael Sommer uns belehrt, dass es sich nicht gehöre, seine Nachbarn heimlich durchs Schlüsselloch zu beobachten, ist es doch genau das, was wir unter seiner Führung auf den folgenden 250 Seiten tun werden.
Gleich im ersten Kapitel macht uns der Autor darauf aufmerksam, dass «privat» und «öffentlich» im alten Rom nicht immer für die gleichen Angelegenheiten galt wie in unserer Gegenwart. «Öffentlich» waren damals nämlich die Toiletten, wo man «in trauter Runde in den öffentlichen Latrinen» sass, schreibt der Autor, während der Senat, das wichtigste Organ der römischen Republik, seine Sitzungen hinter Schloss und Riegel abhielt, ein «unter Ausschluss des Publikums beratender Herrenclub».
Was in den Schulbüchern als Imperium Romanum, als «Römisches Reich», beschrieben wird, war kein durchorganisiertes Staatswesen im modernen Sinne. Nur in der Stadt Rom gab es eine Polizei, die Wache hielt, und eine Feuerwehr. Aber es gab keine öffentliche Gesundheitsfürsorge, kein Gerichtswesen, wie wir es kennen, keine Schulen – manchmal verteilte der Kaiser «Wohltaten» im Sinne von Nahrungsspenden oder Gutscheinen.
Cursus publicus – die Post der alten Römer
Das Militär jedoch war gut organisiert. Die Armee besass Hospitäler, Schweinezuchtbetriebe, Bautrupps, Landvermesser, Ingenieure und Fabriken zur Waffenherstellung – und verfügte über ein Netz von Spionen. Dafür benötigten die Römer gute Nachrichtenverbindungen, besonders da das Römische Reich durch seine Eroberungen immer grösser wurde.
Mark Anton und Octavian, ca. 42 v.Chr.
In ihrer Jugend waren die beiden befreundet. Als es um die Macht in Rom ging, führten sie Krieg gegeneinander. (Augustus ist ein Ehrenname, von Geburt her hiess er Octianian.)
Seit Kaiser Augustus gab es ein Beförderungsnetz für Reisende und Nachrichten, den cursus publicus. Angesichts der Distanzen liess der Kaiser Relaisstationen einrichten, wo man übernachten und die Pferde wechseln konnte. – Bis weit ins 19. Jahrhundert blieb die Postkutsche das Transportmittel für Menschen und Botschaften.
Ein Dichter in fernster Ferne
Augustus konnte sich nach der Ermordung seines Ziehvaters Caesar und nach blutigen Kriegen gegen seine Konkurrenten zum Herrscher in Rom, zum ersten Kaiser, ausrufen lassen. In Rom war man froh, dass nun eine friedlichere Epoche begonnen hatte. Augustus sah sich auch als Sittenrichter: Die Liebesgedichte von Ovid gingen dem Kaiser zu weit.
Publius Ovidius Naso (43 v.Chr. – 18 n.Chr.) als bekränzter Dichter (in einer Darstellung aus dem 18. Jh.)
Der geschätzte Dichter wurde aus Rom verbannt und musste sich am Schwarzen Meer in Tomoi niederlassen, ungefähr an der Stelle des heutigen Constanţa in Rumänien gelegen. Da diente es dem unglücklichen Ovid, dass der cursus publicus gut funktionierte: Der Dichter schickte nicht nur seine neuen literarischen Werke an seine Anhänger in Rom, sondern auch Hilferufe mit der Bitte um Gnade. Die wurde ihm nicht gewährt, aber die Liebe fand Ovid auch in Tomoi.
Eine lasterhafte Tochter
Der Sittenverfall in Rom muss Augustus stark beschäftigt haben. Wahrscheinlich wollte er dem Senat, dem herrschenden «Herrenclub», beweisen, dass er als ihr Kaiser ihre Privilegien bestens schützen könnte, indem er für Moral und Ordnung sorgte. Das musste auch seine einzige Tochter Julia erfahren.
Büste von Julia (39 v.Chr. – 14 n.Chr.), Tochter des Augustus und dessen zweiter Frau Scribonia.
Wie damals üblich, war sie schon als 14-Jährige verheiratet worden und musste nach dem Tod des ersten Gatten wiederum einen Mann heiraten, den ihr Vater, der Kaiser, bestimmt hatte. Es wundert nicht, dass es damals allerlei Gerüchte gab über das geheime Liebesleben der Kaisertochter. Julia wurde auf eine winzige Insel verbannt und später, nach ihrer Rückkehr, wurde sie streng kontrolliert. «Männer durften sie nur besuchen», schreibt der Autor, «wenn ihr Vater ausdrücklich seine Erlaubnis gegeben hatte.»
Hippies und Aussteiger in römischen Zeiten
Dass im Altertum Drogen und bewusstseinserweiternde Substanzen bekannt waren, wissen wir aus vielen Quellen. Michael Sommer schreibt ein ganzes Kapitel über Verbotene Substanzen. Er berichtet auch, dass man damals solche Mittel wie Opium, Pilze (magic mushrooms), Alkohol und zahlreiche andere pflanzliche Stoffe als Medizin benutzte, sich aber zugleich ihrer schädlichen Wirkung bewusst war. «Die Grenze zwischen einer heilsamen Medikation und süchtig machenden Drogen ist fliessend», lesen wir. Besonders verbreitet war damals eine Drogenmischung Theriak, die viele antike Herrscher als Vorbeugung gegen Vergiftung und Krankheit nahmen und der oft Opium beigemischt war. Damit machte Theriak wohl abhängig.
Büste des jugendlichen Mark Aurel, um 138 n.Chr. (Rom, Kapitolin. Museen)
Vom grossen Kaiser Marc Aurel heisst es, dass er diesen «Kräutertrunk» täglich eingenommen habe. «Einer der bedeutendsten Kaiser der römischen Geschichte, der brillanteste Kopf unter ihnen – ein Drogensüchtiger», fragt Michael Sommer. – Es lässt sich nur vermuten, nicht beweisen.
Michael Sommer lässt keinen Lebensbereich aus, er schreibt u.a. von Geheimschriften, von Spionen und Wunderwaffen, von Verschwörungen und Geheimlogen, von Falschspielern und Meuchelmördern. Und manchmal blieb den Römerinnen und Römern in ihrer Not nichts anderes übrig, als in Mysterienkulten Rettung zu suchen. Der Althistoriker bezieht sich auf real existierende Quellen als Grundlage für seine amüsanten Ausführungen.
Urgründe einer zweitausendjährigen Geschichte
Bei all den Verschwörungen und Skandalen mag es uns kalt den Rücken runter rieseln, es sollte uns aber nicht den Blick verstellen auf eine wichtige Erkenntnis: Unsere Gegenwart baut auf den Grundlagen auf, welche die Griechen und Römer vor 2000 Jahren und früher geschaffen haben. Was der Althistoriker Christian Meier vor gut 50 Jahren formuliert hat, gilt nach Sommers Ansicht auch heute noch: Die Gegenwart verstehen wir nur, wenn wir sie auch vom anderen Ende des historischen Kontinuums anschauen. «Die griechisch-römische Antike ist ein Laboratorium, wo mit dem historisch Möglichen auf sensationell kreative Weise herumexperimentiert wurde.» – Mit diesem Wissen stürzen wir uns ins pralle Leben der Römer.
Michael Sommer: Dark Rome. Das geheime Leben der Römer. Verlag C. H. Beck 2022.
288 Seiten mit 17 Abbildungen. ISBN 978-3-406-78144-5
Titelbild: Blick auf das Forum Romanum von den Kapitolinischen Museen aus (2012)
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