Vorahnungen

Die Berner Galerie da Mihi zeigt noch bis Mitte April Frühwerke des Seeländer Künstlers Martin Ziegelmüller (88): Die Ausstellung steht unter dem Titel «Vorahnungen»

Das Bild trägt den futuristischen Namen «Bundeshaus Bern im Jahr 2500». Doch wer jetzt vermutet, dass darauf das vertraute Parlamentsgebäude zu erkennen ist, der irrt sich gewaltig. Auf dem Gemälde sind vom Parlamentssitz nur noch verwilderte und von Moos überwucherte Ruinen übrig geblieben. So stellt sich der Künstler den Bundesplatz im Jahr 2500 vor.

Auf dem Bild «Spalt durch Basel», einem Werk, das Martin Ziegelmüller zwischen 1979 und 1981 kreiert hat, ist ein geologischer Graben zu sehen: Durch Basel verlaufen tiefe Risse als Folge eines gewaltigen Erdbebens. Die Szenerie erinnert an den «Big Bang» im Jahr 1356, als Basel in Trümmern lag.

Ein weiteres Bild zeigt die Stadt Zürich nach einem hypothetischen Reaktorunfall des KKWs Gösgen. Die Darstellung entstand zwischen 1978 und 1981, mitten in der eidgenössischen Kernkraftdebatte. Ein Gletscher überzieht das Gebiet der grössten Schweizer Stadt. Von Leben oder Menschen keine Spur mehr.

Wie sich Martin Ziegelmüller die Stadt Basel nach einem möglichen Erdbeben ausmalt. Öl auf Jute, 110 x 145 cm.

Nachdem in der letzten Ausstellung «Hommage à Ruth» in der Galerie da Mihi die Frau im Zentrum stand, die Ziegelmüller seit über sechzig Jahren begleitet und dessen kritisches Gegenüber ist, fokussiert die neue Sammlung «Vorahnungen» auf unheilvolle Zukunftsszenarien. Diese spiegeln sich in Bildmotiven wieder, die bis heute selten oder noch nie in der Öffentlichkeit präsentiert wurden.

Martin Ziegelmüller hat die Klimakatastrophe, die Folgen eines Reaktorunglücks, eines Chemieunfalls oder geologischer Verwerfungen lange vor der breiten Diskussion in der Bevölkerung thematisiert. Und er hält die Debatte über mögliche Katastrophenszenarien am Leben. An alten, nicht verkauften Gemälden arbeitet er weiter, übermalt oder verändert sie und bringt neue Ideen ein.

Bedrohlich bis versöhnlich

Auf den Kunstwerken lassen sich gewaltige Veränderungen der Landschaft 
erkennen. Klar wird, dass bei der schonungslosen Ausbeutung der Natur nicht die Götter, sondern der Mensch die Hände im Spiel hat. So überkommt einen in der Ausstellung das Gefühl, mitten drin und Teil des Problems zu sein. Der Horizont verdunkelt sich, die Katastrophe entsteht und nimmt ungebremst ihren Fortgang.

Der Kunstliebhaber und Sammler Bernd Prehm (links) zusammen mit der Galeristin Barbara Marbot (rechts) vor dem Bild: «Bern 2100 (Bundeshaus)». Öl auf Jute, 130 x 180 cm.

Ziegelmüller bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Natur und Zivilisation. Die fatalen Auswirkungen der Industrialisierung hat er bereits in den 50er Jahren thematisiert. Seine Katastrophenszenarien wurden wesentlich durch den Bericht des Club of Rome «Die Grenzen des Wachstums» ausgelöst. Seit den 60er und 70er Jahren denkt der Künstler intensiv über die Themen nach und setzt diese malerisch um. So schrieb der Kunstkritiker Peter Killer 1987 in einer Publikation über den Seeländer Maler: «Was der Club of Rome – von Sorge erfüllt – in Worte fasste und mit Tabellen gestützt hat, das malt Ziegelmüller auf Leinwand und Jute. All das, was uns selbstverständlich ist, muss nicht so bleiben. Da lauert Bedrohung.»

«Torso». 1974, 1976. Öl auf Leinwand, 80 x 120 cm.

An seinem Wohnort in Vinelz bei Erlach erlebt der Maler tagtäglich, wie Hecken und Vögel verschwinden. Am Himmel beobachtet er gewaltige Wolkenbilder, die sich einmal dramatisch, einmal idyllisch zusammenziehen und wieder verschwinden. «Das Schöne hat auch eine Rückseite», bilanzierte der Kulturjournalist, Kunst- und Architekturkritiker sowie Philosoph Konrad Tobler seine Assoziationen in einer Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung.

Die Bundesstadt Bern versinkt in der Dunkelheit. Öl auf Leinwand, 150 x 240 cm.

Für den Gastredner zeigen die Werke, «wie jung der Maler geblieben ist». Ziegelmüllers Katastrophen führten uns vor Augen, «was Idylle ist». Doch der Maler sei kein Idylliker, eher ein Warner. Seine Bilder machten – wie bei Caspar Wolf – zudem deutlich, wie gross die Natur und wie klein der Mensch ist.

Zur Person

Martin Ziegelmüller wurde 1935 in Graben bei Herzogenbuchsee geboren. Nach seiner Lehre als Bauzeichner führte ihn seine künstlerische Ausbildung in die Ateliers von Cuno Amiet und André Lhote. Er reiste nach Norwegen und Kanada. Heute lebt er 88jährig mit seiner Familie und Enkelkindern am Bielersee, wo er auch arbeitet.

Der Künstler an der Vernissage. Foto PS

1990 erhielt er den Kulturpreis der Stadt Biel. Fünf Jahre später erschienen seine literarischen Arbeiten. Er war vertreten in unzähligen Einzel- und Gruppenausstellungen und schrieb für viele Publikationen. 2008 wurde er als aussergewöhnliche Persönlichkeit in einem Film porträtiert.

Martin Ziegelmüller sagt über sich selbst: «Ich weigerte mich stets, meine Träume auf Normalformat zurückzustutzen. Weil ich bis zum heutigen Tag uneinsichtig geblieben bin, bin ich ein nicht hundertprozentig verlässlicher Bürger geworden.»

Die Ausstellung in der Galerie da Mihi, Gerechtigkeitsgasse 40 in Bern, dauert noch bis zum 15. April 2023.

P.S. Am vergangenen Wochenende waren im Kulturhaus VISAVIS in Bern, nur wenige Schritte von der Galerie entfernt, weitere Werke von Martin Ziegelmüller ausgestellt. Dazu gehörten Bilder mit Gegenwartsbezug, Landschaftsbilder, Oden an die Natur. Auch diese schöne Seite gehört zum Seeländer Maler.

Titelbild: Der Künstler Martin Ziegelmüller vor seinem Bild: «Zürich nach dem Reaktorunfall in Gösgen», 1978/81, Öl auf Leinwand, 60 x 100 cm. Foto PS. Alle anderen Fotos: Galerie da Mihi / © Martin Ziegelmüller

LINKS

Galerie da Mihi https://www.damihi.com/

Homepage von Martin Ziegelmüller http://www.martinziegelmueller.ch/

Homepage von Konrad Tobler http://www.konradtobler.ch/

Rabatt über Seniorweb

Beim Kauf einer Limmex-Notruf-Uhr erhalten Sie CHF 100.—Rabatt.

Verlangen Sie unter info@seniorweb.ch einen Gutschein Code. Diesen können Sie im Limmex-Online-Shop einlösen.

Beliebte Artikel

Mitgliedschaften für Leser:innen

  • 20% Ermässigung auf Kurse im Lernzentrum und Online-Kurse
  • Zugang zu Projekten über unsere Partner
  • Massgeschneiderte Partnerangebote
  • Buchung von Ferien im Baudenkmal, Rabatt von CHF 50 .-

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein