StartseiteMagazinGesellschaftCaring Communities (CCs) – Beispiele und Projekte

Caring Communities (CCs) – Beispiele und Projekte

Robert Sempach ist Initiant des Schweizerischen Netzwerks der Caring Communities (CCs) und hat viele Projekte angestossen, begleitet und evaluiert. Durch welche Projekte kann der sorgende Umgang im Alter gestärkt werden? Braucht es zusätzliche sorgende Strukturen auf kommunaler Ebene? Seniorweb fragt nach.

Seniorweb: Robert Sempach, im hohen Alter ist der Sorgebedarf besonders hoch. Genügen die bisherigen Sorgestrukturen auf kommunaler Ebene nicht?

Robert Sempach: Die jungen Alten, die noch von den 68-Jahren geprägt sind, haben vermutlich wenig Interesse, im Alter in einem Pflegeheim versorgt zu werden. Sich um jemanden zu sorgen und zu kümmern, ist etwas anderes als jemanden in eine Pflegeinstitution zu versorgen. Wir müssen uns aus den bisherigen Versorgungsstrukturen herauslösen und herausfinden, wie wir im Alter leben wollen. Dazu braucht es einen sorgenden Umgang miteinander, wo alle von ihrem biographischen Standpunkt aus sich mit ihren Talenten, Kompetenzen und Bedürfnissen in eine lokale Sorgegemeinschaft einbringen, und zwar über alle Generationen hinweg. Deswegen bin ich dagegen, dass Caring Communities sich als Sorgegemeinschaften bloss für Ältere verstehen, denn einen sorgenden Umgang braucht es in jeder Lebensphase, von der Geburt bis zum Tod. Je nach biographischer Situation gehört man in einer bestimmten Lebensphase eher zu denjenigen, die sorgende Handlungen schenken oder empfangen.

Welche Projekte sind Ihnen in der Vergangenheit besonders gut gelungen?

Ein Schlüsselprojekt war sicher das Tavolata-Projekt (https://www.tavolata.ch). Wir gaben und geben Impulse, dass Interessierte sich zu Tischgemeinschaften treffen. Im Moment gibt es in der ganzen Schweiz über 500 Gruppen. Wichtig dabei ist die Selbstorganisation und der gelegentliche Erfahrungsaustausch unter den Gruppen. Wenn Leute regelmässig miteinander essen, entstehen daraus andere Projekte, etwa dass Engagierte gemeinsame Ferien organisieren, zusammen Gartenparzellen bewirtschaften, sich als alleinerziehende Mütter zusammenschliessen usw. Die Idee, ein nationales Netzwerk aufzubauen, das die Entstehung und Erhaltung von Caring Communities fördert, welche irgendwelche Sorgebedürfnisse befriedigen, ist aus dem Tavolata-Projekt entstanden.

In der Selbstsorge sind Alte zurzeit recht erfolgreich. Viele bewegen und ernähren sich gut und bleiben deshalb oft lange gesund? Braucht es aus Ihrer Sicht in der Förderung der Selbstsorge Impulse von CCs?

Ich komme selbst aus der Gesundheitsförderung. Zu sagen, bewegt euch gut und ernährt euch besser, reicht nicht. Der Roseto-Effekt hat gezeigt, dass das Eingebundensein in eine harmonische Gemeinschaft ein wichtiger Schutzfaktor ist. Intakte Gemeinschaften, wo man sich gegenseitig unterstützt, fördern das Wohlergehen und die Gesundheit aller. Zu einer umfassenden Selbstsorge gehört eine stimmige Einbettung in eine füreinander sorgende Gemeinschaft.

Alte Menschen leisten oft auch hervorragende Sorgearbeit im Kreis ihrer An- und Zugehörigen, indem sie etwa als Grosseltern wertvolle Care-Arbeit leisten oder ihre eigenen hochbetagten Eltern betreuen. Sehen Sie das ähnlich?

Ja, unsere Gesellschaft lebt zu einem guten Teil davon, dass die Pensionierten für ihre hochbetagten Eltern und ihre Grosskinder sorgen. Das ist sehr schön. Aber viele sind nicht mehr aufgehoben in der innerfamiliären Sorgearbeit. Wir beobachten eine Atomisierung der Gesellschaft. Wie viele leben in Single-Haushalten? Die gesellschaftliche Temperatur ist für viele kalt geworden. Die Bewegung der CCs versucht Menschen wieder zusammenzubringen und aufeinander Rücksicht zu nehmen. Viele pensionierte Ältere fühlen sich nutzlos, gesellschaftlich ausgegrenzt oder minderwertig, wenn sie keine Aufgaben mehr haben. Wenn man in Gemeinschaften lebt, ergeben sich im Laufe des Lebens passende Sorgebeziehungen. Die Frage ist also, wie finden wir Settings, so dass alle bis ins hohe Alter und auch bei zunehmender Gebrechlichkeit noch dazugehören und mitwirken – notabene nicht immer nur als Freiwillige. Arbeit darf auch nach der Pensionierung durchaus noch entlöhnt werden. Da sollten passende Mischformen entwickelt werden.

In Alters- und Pflegeheimen ist die Lebenssituation für Bewohnende nicht erst seit Corona und seit dem Pflegenotstand oft suboptimal. Braucht es hier eine bessere Zusammenarbeit zwischen Professionellen und Freiwilligen, die sich etwa als CCs organisieren? Welche Projekte haben Sie im Blick?

Wir müssen wegkommen von der reinen Versorgungslogik, dass etwa nur medizinische Pflegeleistungen finanziert werden und Betreuung selbst bezahlt werden muss. Hier braucht es neue Formen der Organisation und Finanzierung von Pflege- und Betreuungsleistungen, neue Formen der Begleitung von fragilen Personen. Da können wir vielleicht einiges vom Buurtzorg-Modell aus Holland abkupfern, wo Pflege ganzheitlich verstanden wird, die Selbstorganisation der Teams hoch, die Administration klein ist und einheitliche Stundentarife verrechnet werden.

Inwiefern können freiwillige Engagierte in CCs für sich selbst profitieren?

Leute, die Sorgearbeit leisten, merken, dass sie mindestens so viel davon profitieren wie die Umsorgten. Als sorgender Mensch nehme ich wahr, dass es mir selbst guttut, wenn ich für andere Gutes tue. Sich aufzuopfern für andere ist nicht die Idee von CCs, es geht darum, auf gleicher Augenhöhe sich auszutauschen, Beziehungen zu pflegen und auf gegenseitige Bedürfnisse empathisch einzugehen.

Was raten Sie Gemeinden, um CCs zu fördern?

CCs fallen nicht vom Himmel, es braucht initiative Leute, die Sorgeprojekte entwerfen und aufgleisen. Verantwortliche der Gemeinden können da ebenfalls aktiv werden, es braucht nicht immer den Anstoss von freiwilligen Gruppierungen. Wenn Freiwillige was auf die Beine stellen wollen, sind Gemeinden gut beraten, Unterstützung zu leisten oder Leistungsvereinbarungen einzugehen.

Was raten Sie CCs, um gute Projekte in eine nachhaltige Struktur überzuführen?

CCs beginnen oft informell. Einige Projekte haben einen Anfang und ein Ende, wenn die Bedürfnisse befriedigt sind oder das Problem gelöst ist. Andere Projekte brauchen eine nachhaltige Struktur und münden ein in Vereine oder Vernetzungen mit Gemeindebehörden und Organisationen, wenn etwas dauerhaft gepflegt werden soll. Ein lebensfreundliches Quartier zu schaffen ist beispielsweise eine intergenerationelle Aufgabe.

Wie können Freiwillige in CCs sich vor Instrumentalisierung schützen, so dass sie nicht kostenlos Aufgaben der öffentlichen Hand übernehmen?

Wenn CCs Aufgaben übernehmen, für welche im Grunde genommen die Gemeinde zuständig ist, soll die Gemeinde den Aufwand finanzieren, etwa mittels Leistungsvereinbarungen. Damit entsteht eine tragende Verbindlichkeit zwischen CCs und öffentlicher Hand, eine auch durch finanzielle Beziehungen ausgewiesene gegenseitige Wertschätzung.

An wen können sich Interessierte in Gemeinden wenden, wenn Sie sorgende Gemeinschaften aufbauen wollen?

Interessierte können sich gern an das Netzwerk der Caring Communities wenden (https://caringcommunities.ch), sich inspirieren oder beraten lassen. Sie können auch direkt einen Förderimpuls beantragen, wenn sie schon eine klare Idee eines CC-Projekts haben (https://caringcommunities.ch/foerderimpuls/anforderungen/).

Robert Sempach, Dr. phil. I, studierte Pädagogik und Psychologie an der Universität Zürich und promovierte als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozial- und Präventivmedizin über Alltagstheorien des Diätverhaltens. Danach war er zuerst in der Suchtforschung und anschließend in eigener Praxis als Ernährungspsychologe tätig. Von 2003 bis 2021 war er beim Migros-Genossenschafts-Bund in der Direktion Kultur und Soziales für Projekte im Bereich Gesundheit verantwortlich. 2018 initiierte er das Schweizerische Netzwerk Caring Communities.

 

Buch: Robert Sempach, Christoph Steinebach, Peter Zängl (Hrsg.): Care schafft Community – Community braucht Care. Wiesbaden 2023. ISBN: 978-3-658-32553-4. Info zum Buch: Der Band beleuchtet theoretische Hintergründe, Merkmale und Leitlinien einer Caring Community (CC), also einer Gemeinschaft in einem Quartier, einer Gemeinde oder einer Region, in der Menschen füreinander sorgen und sich gegenseitig unterstützen. Buch Fr. 77.50, eBook Fr. 62.-

Was ist eine sorgende Gemeinschaft, eine Caring Community?

Alle Bilder von der Färberwiese, Wetzikon: Die Färberwiese ist ein Ort der Begegnung für Jung und Alt mit völlig unterschiedlichen Herkünften und Biographien. Hier kann man spielen, geniessen, gärtnern, zusammen sein, zusammen essen und trinken, tagträumen, plaudern und tiefgründige Gespräche führen, Pläne entwerfen und umsetzen oder wieder verwerfen und neue entwerfen. (Fotos: Anna-Tina Eberhard)

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