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Die göttliche Proportion

Im Zürcher Pavillon Le Corbusier startet die neue Saison mit der Ausstellung zu Le Corbusiers Proportionssystem «Modulor», die Verbindung von menschlichem Massstab und Goldenem Schnitt.

Le Corbusier (1887-1965) setzte sich sein Leben lang mit Idealmassen auseinander und entwickelte ein universell anwendbares Proportionssystem. Die Ausstellung «Modulor» zeigt nicht nur sein Werk als Architekt und Künstler, sondern auch seine Recherchen nach Vorbildern aus der Natur, etwa Schneckengehäuse oder Pflanzen, sowie aus der Kunst von der Antike bis zur Neuzeit.

Le Corbusier im Studio seines Ateliers in der Rue de Sèvres 35, Paris. Foto: © René Burri, 1959

Seit der Antike suchten Gelehrte und Künstler Harmonie und Schönheit in Zahlenverhältnissen auszudrücken. Bereits Euklid kannte die «göttliche Proportion», den Goldenen Schnitt. Im 13. Jahrhundert entdeckte Leonardo Fibonacci eine Zahlenfolge, deren stetig grössere Abstände sich dem Verhältnis des Goldenen Schnitts annähern. In der Renaissance versuchten Architekten und Künstler den menschlichen Körper in geometrisch-mathematischen Verhältnissen zu erfassen. An diese Tradition knüpfte Le Corbusier an.

Ausstellungsansicht: Renaissancekünstler wie Leonardo da Vinci oder Dürer setzten sich intensiv mit Proportionslehren auseinander. Foto: rv

Der junge Le Corbusier, sein bürgerlicher Name Charles-Edouard Jeanneret, trat 1902 in die Kunstgewerbeschule von La Chaux-de-Fonds ein. Der Lehrmeister Charles L’Eplattenier hatte dort den style sapin eingeführt, eine lokale Ausformung des Jugendstils. Die Schüler lernten in den Tannenwäldern des Juras repetitive Muster und progressive Wachstumsregeln erkennen. Damit gestalteten sie alles, von Uhrengehäusen, bunten Glasfenstern bis zu Bauwerken, denn neben Malerei gehörte auch Architektur zum Kunstgewerbestudium.

Strukturen und repetitive Muster in der Natur bilden die Basis für Le Corbusiers Forschung. Foto: rv

Le Corbusiers Begeisterung für Formen und Strukturgesetze der Natur wurden zur Grundlage seiner Arbeit. So sah er in der Spirale eines Schneckenhauses 1931 ein «unbegrenzt wachsendes Museum», wie er es nannte.

Mithilfe einfacher geometrischer oder arithmetischer Mittel harmonisierte er seine Bilder und Bauten. Die Flächendiagonalen und deren rechte Winkel wurden zu einem unsichtbaren Gerüst, an dem er seine Kompositionen ausrichtete. Dieser tracé régulateur diente ihm als Werkzeug zur präzisen Proportionierung seiner Gestaltungsideen. So gliederte er die Fassaden der Villa Stein-de Monzie in Frankreich in einem regelmässigen Stützenrhythmus im Goldenen Schnitt, deren Öffnungen direkt proportional zur Gesamtform stehen.

Le Corbusier, Villa Stein-de Monzie, «Les Terrasses», Garches (Vaucresson), 1926-1928, bauzeitliche Aufnahme mit Le Corbusiers «Voisin C7 Lumineuse» im Vordergrund. Foto: © Fondation Le Corbusier, Paris

Bereits im April 1940 dachte Le Corbusier an ein konstruktives System für elementare Notbehausungen, die Vertriebene und Obdachlose nach seinen schriftlichen Vorgaben mit einfachsten Materialien selbst bauen konnten.

Le Corbusier illustriert seinen Vortrag auf dem Kongress «La divina proporzione» auf der Nona Triennale, Mailand am 28. September 1951. Foto: © Fondation Le Corbusier, Paris

Im Hinblick auf den Wiederaufbau nach dem Krieg entwickelte er zwischen 1943 und 1945 sein Proportionssystem zum Modulor weiter. Er setzte die Proportionen des Menschen und den Goldenen Schnitt in eine geometrische Beziehung, wobei die Höhe der Modulor-Figur auf sechs Fuss, 226 cm, basiert. Der Mensch sollte mit ausgestrecktem Arm gerade noch die Decke erreichen können.

Le Corbusier, Le Modulor, Lithografie, 1950/1956, Steindruckerei Wolfensberger, Zürich, Foto: © FLC/2022, ProLitteris, Zürich

In der Begleitschrift zur Ausstellung erläutert der Architekt und Kurator Arthur Rüegg das Grundschema: Der Modulor basiert auf zwei übereinander angeordneten Quadraten von 113 cm Seitenlänge. In dieses geometrische Konstrukt eingeschrieben ist die Figur eines aufrechtstehenden Menschen, dessen erhobener Arm das ideale Höhenmass eines Wohnraums von 226 cm erreicht. Der Nabel liegt auf der Grenzlinie der Quadrate. Die Kopfhöhe von 183 cm resultiert aus der Teilung des oberen Quadrats im Goldenen Schnitt.

In der Folge verfeinerte Le Corbusier mithilfe zahlreicher Berater das System, damit es auch auf die Konstruktion von Alltagsgegenständen anwendbar war, etwa um die ideale Höhe des Hockers, des Stuhls, des Tisches, die Lehne sowie die Kopfhöhe zu bestimmen.

Le Corbusiers Proportionslehre wird zu einem universell anwendbaren Werkzeug. In all seinen Bauten ab 1946 setzte er den Modulor konsequent ein, etwa in der rhythmisch strukturierten Verglasung des Klosters La Tourette in Éveux (1953-1960), in der Stadtplanung von Chandigarh (1952) in Indien. Auch sein letztes Bauwerk, der Pavillon Le Corbusier (1967), das er selbst als La Maison d’Homme bezeichnete, ist im Modulor-System aufgebaut, alle Räume sind 226 cm hoch.

Die Designmöbel von Le Corbusier sind noch heute erhältlich. Seine berühmte Chaiselongue wurde 1928-1930 von seiner Mitarbeiterin, der Architektin Charlotte Perriand, entworfen. Foto: rv

Der Künstler Le Corbusier verstand es, die Bedeutung des Modulors mit symbolisch aufgeladenen Darstellungen zu überhöhen, sei es mit Betonreliefs an seinen mit dem Modulor dimensionierten Wohnblöcken oder mit grafischen Umsetzungen für farbige Glasfenster oder Buchumschläge. Eine ganze Generation von Nachkriegsarchitekten nutzte die Struktur des Modulors. Heute wird er von einzelnen Architekten als zu starres System kritisiert oder je nach Gegebenheit pragmatisch eingesetzt.

Titelbild: Der Pavillon Le Corbusier. Foto: rv
Bilder: Zur Verfügung gestellt vom Museum für Gestaltung, Zürich und rv

Bis 26. November 2023
«Der Modulor – Mass und Proportion» im Pavillon Le Corbusier, Zürich
Publikation: Christian Brändle/Arthur Rüegg, Der Modulor: Mass und Proportion, CHF 10.00

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