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Elisabeth Kopps steiniger Weg

Am 3. Mai wird Zumikon von Elisabeth Kopp Abschied nehmen, von ihrer ehemaligen Gemeindepräsidentin (1974-1984), in grosser Dankbarkeit. Sie löste damals weitsichtig das Verkehrsproblem im Dorfkern, erhöhte die Wohnqualität und setzte, lese und staune, schon vor 40 Jahren auf alternative Energien. Die offizielle Schweiz wird ihrer ersten Bundesrätin (1984-1989) gedenken, hoffentlich nicht ohne Schamgefühle. Und ihrer Partei, der FDP, ist zu wünschen, dass sie in sich geht und aus der Geschichte um Elisabeth Kopp ihre späten Lehren zieht.

Es lohnt sich, auf diese Zeit ihrer Wahl in den Bundesrat Rückschau zu halten, sich daran zu erinnern, was damals geschah. Viele der damaligen Akteure sind nicht mehr unter uns, so dass sie es uns aus erster Hand erzählen könnten. Im Archiv des Schweizer Fernsehens sind die damaligen Sendungen nicht mehr vorhanden, aus Kostengründen wurden damals jeweils lediglich einzelne Beiträge archiviert (siehe im Internet: CH-Magazin vom 25.09.1984, Interview Marco Ronca). Als Chef des damaligen «CH-Magazin» des Schweizer Fernsehens werden gerade jetzt meine Erinnerungen daran wieder wach und lassen mich nicht so leicht wieder los, bald 40 Jahre danach.

Es waren turbulente Wochen im Sommer und Herbst 1984 in der Schweizer Politik. Bundesrat Rudolf Friedrich (FDP) reichte nach nur gut anderthalb Jahren im Amt seinen Rücktritt ein. Als Einzelgänger war er gar nie richtig im Bundesrat angekommen. Er tat sich schwer im Kollegium. Und mit Willy Ritschard, damals in seinem letzten Amtsjahr, hatte er nicht viel Gemeinsames, die volksnahe, direkte Art Ritschards war ihm mehr als nur fremd.

Plötzlich war die FDP herausgefordert. Der Druck, als erste Partei die erste Frau im Bundesrat stellen zu können, nahm zu, war verlockend genug. Vor allem auch deshalb, weil die FDP damit der weit frauenfreundlicheren SP zuvorkommen konnte, gelang es doch der männerdominierten Bundesversammlung 1983, statt die von der SP nominierte Lilian Uchtenhagen zu wählen, wurde in einer Nacht und Nebel-Aktion, in der Nacht der langen Messer, von Bürgerlichen alles unternommen, einmal Otto Stich von einer Kandidatur zu überzeugen, und zweitens ihn bei den Frauen und Männern im Parlament besser bekannt und wählbar zu machen. Tatsächlich: Am 7.12.1983 ist er von der Bundesversammlung im ersten Wahlgang in den Bundesrat gewählt worden, wenn auch ganz knapp. Die SP schmollte. An einem Partei-Tag stellte sie gar die Bundesrats Beteiligung in Frage. Sie blieb.

Bei der FDP rückten zwei Namen in den Vordergrund: Elisabeth Kopp, die Zürcher Nationalrätin, und der Aargauer Ständerat Bruno Hunziker. Während der elegante, umgängliche Bruno Hunziker, der ehemalige Regierungsrat des Kantons Aargau, im Schatten blieb, konzentrierte sich das mediale Interesse immer mehr auf Elisabeth Kopp und zunehmend auch auf ihren Mann Hans W. Kopp, auf ihren umtriebigen Gatten, der mit den verschiedensten Hüten aktiv war: Medienpapst, Präsident der Kommission für eine Gesamtmedien-Konzeption, Moderator einer medienkritischen Sendung am Schweizer Fernsehen, Oberst i Gst, Rechtsanwalt, der in einer stattlichen Villa am Zürichberg erfolgreich eine Kanzlei mit mehreren Juristinnen und Juristen betrieb. In den Fokus rückten immer mehr Gerüchte aus dieser Kanzlei am Zürichberg. Geschichten aus der Armee zirkulierten unter den mehr oder weniger Informierten, Geschichten auch von seinem Umgang mit mitarbeitenden jungen Frauen und Männern, die er anscheinend züchtigte, wenn sie Fehler machten.

Hans W. Kopp als charmanter, einnehmender Offizier war mir schon aufgefallen, als ich in der Kaserne Luzern den Leutnant abverdiente, er gleichzeitig als Hauptmann seine vier Wochen als angehender Major und Bataillons-Kommandant absolvierte.

Und es war dann auch einer aus dem Kreis der Armee, der mich als damaligen Chef des «CH-Magazin» des Schweizer Fernsehens anrief, wohl auch als Untergebener in seinem Regiment: Hans Rudolf Meyer, der damalige FDP-Stadtpräsident von Luzern, auch Kommandant des Luzerner Infanterie Regimentes 19. Mit seiner bekannt tiefen, knarrigen Stimme kam er gleich zur Sache: «Wir zwei, ich aus einem freisinnigen, Sie aus einem katholisch-konservativen Haus, haben die verdammte Pflicht, Elisabeth Kopp unter allen Umständen als Bundesrätin zu verhindern.» Meine Frage, «warum denn nur», wischte er gleich weg: «Sie wissen doch, weshalb Hans Kopp das Füsilier-Bataillon 45 abgeben musste?» «Nein, nicht so genau». Gerüchte hätte ich vernommen, einmal sei von gesundheitlichen Gründen die Rede gewesen, aber auch davon, dass es zu engen Kontakten mit jungen Offizieren gekommen sei.

«Das ist auch nicht das Wichtigste. Das weit Wichtigere wird ihnen unser Kamerad Kurt Müller erzählen, respektive seine Frau, beide waren bei Kopp in Zürich tätig, Kurt als Anwalt, seine Frau im Sekretariat. Ich werde Sie mit ihnen zusammenbringen, denn sie müssen alles wissen.» Wenig später rief Kurt Müller im «Auftrag» von Hans Rudolf Meyer an. Er bemerkte, dass seine Frau mithöre, sie die Geschichten der Züchtigungen bei nackten Hintern bestätige, sie jetzt noch darunter leide, aber nicht öffentlich auftreten werde.

Nach eingehenden Diskussionen in der Redaktion beschlossen wir, der Sache nachzugehen, auch deshalb, weil Elisabeth Kopp in dieser Angelegenheit nicht offen informierte, aufgrund unserer Recherchen die Vorkommnisse gar in Abrede stellte. Diese Erkenntnis und die Widersprüche wollten wir mit Ständerat Riccardo Jagmetti in einer angemessenen Form im Magazin diskutieren. Jagmetti war von der Kantonalpartei der FDP Zürich beauftragt worden, abzuklären, ob Elisabeth Kopp wählbar sei, ob sie von der Partei vorbehaltlos zur Wahl vorgeschlagen werden könne. Zwei Tage vor der Sendung überschlugen sich die Ereignisse. Marco Ronca, ein junger Anwalt, der die Aufsichtskommission für Rechtsanwälte über die Vorgänge informiert hatte, war zu einem Interview bereit. Er bestätigte sehr zurückhaltend die Übergriffe und erklärte, dass Elisabeth Kopp diesbezüglich nicht die Wahrheit gesagt habe.

Nun luden wir Riccardo Jagmetti definitiv zu einem Live-Interview ins Studio ein. Am Tag vor der Sendung meldete sich Hans-Rudolf Leuenberger, Generalsekretär der FDP: Jagmetti käme nicht allein ins Studio; er werde vom Zuger Ständerat Othmar Andermatt begleitet. Ich insistiere: Wir hätten nicht Zeit für zwei Vertreter der FDP und sagte: «Jagmetti hat die Abklärungen vorgenommen, er ist der richtige Interview-Partner». Marco Ronca meldet sich über den Interviewer und informierte, dass er stark unter Druck von Elisabeth Kopp geraten sei. Sie wünsche, dass er das Interview zurückziehe. Er bleibe aber dabei, wir könnten es ausstrahlen. Am Tag der Sendung wächst der Druck. Einmal mehr ist der Generalsekretär in der Leitung:  «Es kommen entweder beide oder keiner», sein ultimativer Bescheid.

Wir beraten, wo können wir kürzen, was können wir weglassen? Widerwillig laden wir beide ins Studio ein. Schon im Schminkraum bemerke ich, dass beide telefonisch aus Bern, von verschiedenen Seiten, Instruktionen erhalten. Auf dem Weg ins Studio will Othmar Andermatt kurz austreten, Riccardo Jagmetti bleibt stehen, wendet sich an mich: «Wir diskutieren in der Sendung doch nicht über die Züchtigungen Kopps?» Kopps hätten erst am Wochenende ihre Tochter über diese Gerüchte informiert, und ich könne es mir sicher vorstellen, was das für die Familie bedeute. Inzwischen stellte sich Andermatt wieder zu uns. Bevor ich Jagmetti antwortete, fragte ich Andermatt, ob er auch der Meinung sei, dass wir diese Fragen aussparen sollten? Andermatt kurz und trocken: «Deshalb bin doch gekommen, dass wir darüber reden.» Mir wurde sofort klar, dass Jagmetti vom Kopp-, Andermatt vom Hunziker-Lager über das Generalsekretariat in die Sendung delegiert wurden.

Eine Woche nach der Wahl Kopps ging es im Extrazug nach Zürich zur Wahlfeier, genauer nach Oerlikon. Vom Bahnhof zog der Festzug zum Saal Zürich 11. Den Sicherheitsorganen war damals ein Festzug durch die Zürcher Bahnhofstrasse zu heikel; sie erwarteten Demos, Störungen.

Ich sass mit den Nationalräten Karl Flubacher, Felix Auer, Georg Nef im Extrazug in einem Abteil zusammen. Offen diskutierten sie über den Wahl-Ausgang. «Für uns war klar, dass wir Bruno Hunziker in den Bundesrat wählen wollten, kamen aber überein, dass wir im ersten Wahlgang Elisabeth Kopp auf den Wahlzettel schreiben würden. Wir wollten, dass sie im ersten Wahlgang ein achtbares Resultat erzielen würde, so dass wir nicht als frauenfeindlich diffamiert würden.» Es kam anders: Elisabeth Kopp erzielte auf Anhieb das absolute Mehr und war gewählt, gegen den eigentlichen Willen vieler aus der FDP.

Beim Aussteigen erwarteten am Gleis aufgereiht die Familien Kopp, Iklé, Anverwandte und Freundinnen, Freunde der neuen Bundesrätin. Karl Flubacher, der Bauunternehmer aus dem Kanton Baselland, streckte von weitem den Arm aus, zeigte auf Hans Kopp und meinte vernehmlich: «Er wird immer mitregieren.»

Elisabeth Kopp startete mit viel Elan und selbstbewusst in ihrem neuen Amt, wagte Neues, wollte alte Zöpfe abschneiden, neu beginnen, insbesondere in der Flüchtlingspolitik, aber auch in der Umweltpolitik. Sie hatte bereits als Nationalrätin beim Umweltgesetz starke grüne Zeichen gesetzt, zum Unmut der Männer. Ich war Zeuge, als sie sich mit Antrag um Antrag für griffigere Varianten einsetzte und dabei von Nationalräten im Hintergrund des Saales derart grässlich beschimpft wurde, dass ich mich für die Männer schämte und ihren Mut nur bewundern konnte.

Nach meiner Erinnerung waren bei ihrem Start schon damals über 20’000 Asylgesuche pendent. Die wollte sie radikal abbauen, zu neuen Ufern aufbrechen. Bevor sie 100 Tage im Amt war, schlug sie in einem Vortrag an der Universität Fribourg vor, die meisten dieser Gesuche in einem einfachen Verfahren zu bewilligen, um Raum und Zeit zu schaffen für eine neue Asylpolitik. Das kam in der Parteizentrale und bei den wichtigen FDP-Männern nicht gut an. Im Gegenteil. Sie wurde rigoros gebremst, gar zurückgepfiffen. Sie wurde in der Folge auf das eidgenössische Mittelmass zurückgestutzt. Es schien so, dass ihr die «Zufallswahl» nie ganz verziehen und nur darauf gewartet wurde, bis sie einen Fehler beging. Den sie vermeintlich mit dem «Telefonanruf» an ihren Ehemann Hans auch machte, letztlich aber davon freigesprochen wurde. Erst spät trat sie wieder in die Öffentlichkeit, und langsam wurden ihre Leistungen für die Frauen, für die Schweiz erkannt und geschätzt. In den Nachrufen kamen sie zu spät, aber immerhin zum Ausdruck.

Der Freundeskreis, der sich um sie bei den Ereignissen in Ungarn, bei ihrem Studium gebildet hatte, blieb ihr treu, riet ihr von Zeit zu Zeit, sich von ihrem Ehemann Hans zu trennen, damit sie ihre Unabhängigkeit noch besser nach aussen betonen könne. Sie liess sich nicht beirren, blieb Hans treu. Den Preis, den das Ehepaar zu entrichten hatte, hätte nicht grösser sein können. Sie wurden lange verfemt und ausgegrenzt.

Elisabeth Kopp wäre eine grosse FDP-Bundesrätin geworden, wenn ihre Partei sie hätte gewähren lassen, ihr Engagement für die Umwelt verstanden und selbst aufgegriffen hätte, wenn die Partei voll hinter ihr gestanden wäre, auch in ihrer schwierigen Zeit. Die Gemeinde Zumikon tat das. Die FDP aber sollte jetzt Abbitte leisten.

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3 Kommentare

  1. Was hier rund um Frau Elisabeth Kopp vor, während und nach ihrer Bundesratswahl und um ihren Ehemann geschildert wird, könnte in einem Boulevardblatt nicht eindrücklicher dargestellt werden. Einerseits spielte der «Zürcher Chlüngel» und andererseits die Macht der damaligen Strippenzieher in Politik, Militär, Medien eine Rolle.
    13 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts gab es also eine erste Frau Bundesrätin. Frau Elisabeth Kopp hatte in dieser von Männern geprägten Bundespolitik der 1990 Jahre jedoch nie eine echte Chance als weibliche Vertreterin in der Landesregierung anerkannt zu werden, trotz ihrer nachgewiesenen Leistungen. Sie war ein Spielball der Politik. Nachfolgende Politikerinnen wie Christiane Brunner, Micheline Calmy-Rey, Eveline Widmer-Schlumpf und andere, teilten ein ähnliches Schicksal.
    Zum Glück hat sich in Bundesbern und in der Gesellschaft insgesamt in den letzten 30 Jahren vieles zum Besseren für die Frauen geändert; sie haben sich immerhin im Nationalrat einen Anteil von 41,5 % erkämpft. Der Ständerat hinkt mit nur 27,3 % Frauenanteil immer noch weit hinter der Gleichstellung von Frau und Mann hinter her.

    Die Gerüchteküche in den Gängen des Bundeshauses, wie auch in den einschlägigen Medien, wird sicher nicht verschwinden. In Zeiten der „sozialen“ Medien im Internet, wo die dreckige Wäsche Prominenter in Windeseile unter die Leute gebracht wird, sollten sich die Verantwortlichen bewusst sein, was ein leichtfertig weiter gegebenes Gerücht anrichten kann. Es kann den guten Ruf und die Karriere der betroffenen Person samt Umfeld beschädigen oder gar zerstören. Halten sich alle an bewiesene Tatsachen und machen diese erst zum passenden Zeitpunkt publik, haben Fake-News kaum mehr eine Chance und die Bösartigkeit mancher Menschen wird zum Bumerang.

  2. Perfekt, was Anton Schaller schreibt. Es war eine grosse Tragik, dass die erste Bundesrätin Elisabeth Kopp auf unrühmliche Art und Weise aus dem Bundesrat gedrängt wurde. Ihre eigene Partei, die Politik insgesamt und die Medien liessen Frau Kopp hängen. Alles was zu dieser Thematik zu sagen ist, steht im Buch «Rechtsstaat im Zwielicht», das die Philosophin Jeanne Hersch veröffentlicht hat. Nach der erzwungenen Demission als Bundesrätin verbrachte Frau Kopp einen Erholungsurlaub in Unterbäch.

    Noch was zur Geschichte bezüglich der politischen Gleichstellung von Mann und Frau: Unterbäch im Wallis, war die erste Gemeinde der Schweiz die bereits im Jahre 1957 an einem Urnengang teilnehmen liesse. Ja. was im «Rütli der Schweizer» als Symbol im Kampf für die politischen Rechte der Frau und die Gleichstellung von Frau und Mann seinen Anfang nahm, fand die Krönung erst im Jahre 1984 durch die Wahl von Elisabeth Kopp in den Bundesrat.

    Im Jahre ihrer Wahl als Bundesrätin (1984) wurde die erste Bundesrätin der Schweiz Ehrenbürgerin von Unterbäch. Es wahr mir als damaliger Gemeindepräsident eine Freude, Frau Kopp an einer eindrucksvollen Feier die Urkunde zu überreichen. Ein Jahr später hielt Iris von Roten in Unterbäch die 1.-August-Rede und betonte: «Das Stimm- und Wahlrecht der Frauen und die erste Bundesrätin bedeuten nur: ein Anfang der Freiheit, kein Zenit, kein Höhepunkt der Freiheit und gerade, was die Freiheit der Frauen betrifft, nur der Ausgangspunkt zur Erkämpfung der vollen Freiheit.»

  3. Vielen Dank für die Fakten über die Aufklärung der ehemaligen Bundesrätin! Leider suchen wir immer wieder viel zu wenig nach der Wahrheit! Es gilt, dass wir Frauen unaufhaltbar weiterkämpfen –

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