125 Jahre Landesmuseum
Seniorweb Logo
Stiftung für digitale Lebensart
StartseiteMagazinKolumnenEuropa braucht einen wie Biden

Europa braucht einen wie Biden

„Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“. Dieses berühmte Goethe-Zitat ging mir spontan durch den Kopf, als ich las, dass Joe Biden 2024 mit 82 Jahren seine zweite Amtszeit als US-Präsident anstreben will. Das Zitat beschreibt bekanntlich Gefühle von Menschen, die an bipolarer Störung erkrankt sind. Leide ich also an einer bipolaren Störung? Oder bin ich einfach besorgt, dass es Jo Biden doch nicht schafft, die US-Amerikaner zu überzeugen, ihn noch einmal zu wählen? Oder ganz anders, dass er die zweiten vier Jahre im Weissen Haus zu Washington aus gesundheitlichen Gründen nicht zu absolvieren in der Lage sein wird, Kamala Harris, seine wiederum designierte Vizepräsidentin, nicht das Format hat oder doch, ihn im Notfall zu ersetzen? Oder bin ich zu Tode betrübt, dass es womöglich Donald Trump noch einmal an die Spitze der USA schafft, trotz Gerichts- um Gerichtsverfahren?

Ich werde im gleichen Jahr, in dem Biden 82 Jahre alt wird, 80, kann mir also aus eigener Erfahrung vorstellen, wie es ihm in etwa so geht. Ich sehe ihn immer wieder im Fernsehen, wie er unverzagt in einem kurzen Laufschritt versucht, seine Beweglichkeit öffentlich unter Beweis zu stellen und dann doch stolpert, wie er in seinen Reden, bei seinen Statements in den Medien, den Versuch unternimmt, seine zunehmenden Sprechstörungen zu überwinden.

Auf der anderen Seite ist zur Kenntnis zu nehmen, was er alles leistet, wie er seine Jahrzehnte lange Erfahrung einbringt, sich von der rauen, unversöhnlichen Opposition, von den Republikanern nicht beeindrucken lässt, seine Politik durchzieht, Milliarden-Projekte lanciert. Er will nicht weniger als die „stärkste, widerstandsfähigste und innovativste Volkswirtschaft der Welt» immer wieder von Neuem schaffen, das westliche Bollwerk gegenüber dem aufstrebenden, immer mächtiger werdenden China mit allen Mitteln erhalten und immer mindestens eine Nasenlänge vor den Chinesen sein. Er will in den kommenden acht Jahren mit Ausgaben in Höhe von ungefähr zwei Billionen US-Dollar die Infrastruktur des Landes erneuern und damit Millionen Arbeitsplätze schaffen. Er will zum Schrecken der Europäer mit gigantischen Steuererleichterungen eine grüne US-Wirtschaft nicht nur fördern, sondern etablieren, selbst europäische Unternehmen mit diesen Steuerbegünstigungen in die USA locken. Er will langfristig eine US-Vorherrschaft in der neuen ökologischen Weltwirtschaft verankern.

Er führt aber auch die westliche Allianz im Krieg der Ukraine gegen den Aggressor Russland an, hat bis jetzt beinahe 100 Milliarden US-Dollar für das gebeutelte Land gesprochen. Er hat damit entscheidend dazu beigetragen, dass Putin die Ukraine nicht überrennen, nicht besetzen konnte, und er verhindert weiterhin, dass er nicht weiter nach Westen vorstossen, seine Hegemonie-Ansprüche oder seinen Traum vom einem Grosseurasien erfüllen kann. Zum Schutze Europas.

Auch bei Biden gilt, trotz seiner grossen Hinwendung zu Europa, «US-Frist». Im Gegensatz zu seinem noch grossen Rivalen Donald Trump ist es ein «US-First» kombiniert mit einer beinahe europäisch geprägten sozialen Verantwortung. Kommt es tatsächlich zu einem Duell zwischen diesen beiden, diesen alten, weisen Männern, Biden 82, Trump 78 Jahre alt, wird nicht das Alter im Vordergrund stehen, sondern die Auseinandersetzung zwischen einem «sozialen US-First und einem «rückwärtsgewandten US-First». So ist weder ein Himmelhochjauchzend noch ein zu Tode betrübt angesagt, sondern die Zuversicht, dass sich auch in den USA der gesunde Menschenverstand durchzusetzen vermag. Auch in unserem Interesse. Denn Europa braucht einen wie Biden.

Bei allem Respekt vor dem Alter, dass einer meiner/unserer Generation wiederum demokratisch ins wichtigste politische Amt auf dieser Welt gewählt werden kann, stellt sich doch schon die Frage, wo bleibt eine sorgfältige verantwortungsvolle Personalplanung? In einem Amerika, das über 332 Millionen Menschen zählt (Russland: 143 Millionen), das gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch, technologisch nach wie vor die Welt prägt, tritt ein Politikversagen zu Tage, das sowohl die Demokraten als auch die Republikaner zu verantworten haben. So sind es nicht alte erfahrene, kluge Frauen und Männer, die einen gewählten Präsidenten weise beraten, sondern junge Frauen und Männer, die einem greisen, wiedergewählten Präsidenten zur Seite stehen müssen. Eine verkehrte Welt, an die wir uns wohl gewöhnen müssen.

Beliebte Artikel

Mitgliedschaften für Leser:innen

  • 20% Ermässigung auf Kurse im Lernzentrum und Online-Kurse
  • Massgeschneiderte Partnerangebote
  • Jahresbeitrag von nur CHF 50.
  • Zugang zu Projekten über unsere Partner
  • Gratis Hotelcard für 1 Jahr (50% Rabatt auf eine grosse Auswahl an Hotels in der Schweiz)

1 Kommentar

  1. Den letzten Satz verstehe ich nicht so ganz. Warum sollten nicht auch alte, erfahrene kluge Frauen und Männer, zusammen mit der nachrückenden Generation da sein, die den wiedergewählten US-Präsidenten beraten und unterstützen, und warum sollte dies eine verkehrte Welt sein? Wie auch immer.

    Sie haben Recht, Präsident Biden sollte an seinen Taten und Leistungen gemessen werden, weder an seinem unsicheren Gang noch Stimme. Hingegen beim hohen Alter komme ich für die bevorstehende Wiederwahl auch ins Grübeln. Wir können nur hoffen, dass bei einer Wahlniederlage oder bei altersbedingtem Unvermögen, weitere vier Jahre durchzustehen, ein Plan B aufgegleist ist, von dem die Öffentlichkeit bisher nichts erfahren sollte. Auch das berühmteste «Kampf- und Paradeross» wird alt und müde. Wobei ich bei Trump eher an einen «alten Klepper» mit grossem Maul denken muss.

    Joe Biden verkörpert für mich einen Regierungschef der handelt, im Gegensatz zu unserem Bundesrat. Da steht alles still, da ist kein Vorwärtsgehen in Sicht, weder mit der EU, noch mit einer zügigen Umweltpolitik, schon gar nicht mit einer dringend notwendigen Neuorientierung punkto Schweizer Neutralität. Ich sehe sogar ein politisieren im Rückwärtsgang wenn man an die „Aktion Moskau“ von Nationalrat Köppel denkt.
    Ein Satz vom Berner Pfarrer und Poet Kurt Marti trifft den Nagel auf den Kopf: «Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte, wo kämen wir hin und keiner ginge, um zu sehen, wohin wir kämen, wenn wir gingen.» (gelesen bei GrossmütterRevolution).

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein