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Vom Fabeltier zum Pop Idol

Kaum ein Wesen fasziniert die Menschen so wie das Einhorn, und dies nicht erst seit heute. Auf Schloss Lenzburg sind in einer kleinen Ausstellung Einhörner aus 700 Jahren zu bestaunen. Überdies erzählt ein druckfrisches Buch seine Geschichte.

Einhörner sind allgegenwärtig. Sie füllen Ladenregale und Kinderzimmer. Man begegnet ihnen in TV-Serien, Musikvideos, als flauschige Plüschtiere und Süssigkeiten. Dass Einhörner die Menschen seit Jahrhunderten auf ganz unterschiedliche Weise fasziniert haben, geht dabei vergessen.

Einhorn, Liebling der Kinder und der Marktwirtschaft

Die Sonderausstellung Einhorn – eine fabelhafte Geschichte auf Schloss Lenzburg im Aargau zeichnet die wechselvolle Geschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart anhand ausgewählter Exponate nach. In ihrem jüngst publizierten Buch stellen Julia Weitbrecht und Bernd Roling Das Einhorn in einen breiten kulturhistorischen Rahmen. Das Fabelwesen ist offenbar nicht nur in der Populärkultur angekommen, sondern auch Thema der Kulturgeschichte, und beschäftigt die Menschen über alle Grenzen hinweg.

Einhorn. Präpariertes Kleinpferd mit Replikat eines Narwalzahns als Horn. Das Pferd stammt aus einem Schweizer Zoo und starb altershalber. Walter Benz, Präparator, Wettingen, 2022.

In der Antike schreibt erstmals ein griechischer Arzt, dass das Einhorn in Indien lebt und über besondere Heilkräfte verfügt. Noch Hildegard von Bingen betont im 12. Jahrhundert dessen Heilkräfte. Als vermeintlicher Nachweis für das Einhorn wurden Antilopen, Nashörner und vor allem der Narwal herangezogen. Der Handel mit Narwal Zähnen florierte. Man nahm an, dass das Pulver aus dem Narwal Zahn vor Krankheiten schützt und Gifte neutralisieren kann. Noch weit bis ins 18. Jahrhundert hinein war es als Pharmazeutikum beliebt, und bis heute führen einzelne Apotheken «Einhorn» im Namen.

Bildteppich «Hortus Conclusus», Wollstickerei, 1607. Das Einhorn findet Zuflucht in Marias Schoss und rettet sich vor den Jagdhunden. Es steht sowohl für Marias Keuschheit wie auch für Jesus Christus. Foto: Museum Aargau

In der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bildwelt gehörte das Einhorn zum festen Bestand, seine Existenz wurde nicht hinterfragt. Ausgehend von antiken Erzählungen fand es Eingang in christliche Deutungen: Es war ein Symbol für Christus. Als Sinnbild für Keuschheit stand es mit der Jungfrau Maria in Verbindung. Adlige trugen es als kraftvolles und mächtiges Tier auf ihren Wappen. Und im Minnesang, der mittelalterlichen Liebeslyrik, stand es für den Edelmann, der sich «der Erotik der Jungfrau ausgesetzt sah», schreibt das Kuratorium.

Hausbuch der Herren von Hallwyl, um 1580, Faksimile. In der Turnierszene kreuzen der Graf von Tengen und der Freiherr von Hallwyl die Lanzen. Das Einhorn auf Helm und Pferdharnisch des Grafen von Tengen weist auf dessen Familienwappen.

Im 16. Jahrhundert begannen Gelehrte, die Natur systematisch zu erforschen. Auch das Einhorn wurde geprüft. Die Forscher trugen überliefertes Wissen zusammen und suchten Belege für dessen Existenz. Ein lebendes Einhorn hatten sie nie gesehen. Erst als sich das vermeintliche ‘Einhorn’ als Zahn des Narwals entpuppte und die gelehrte Welt das Einhorn dem Reich der Fabeltiere zuwies, brach der Handel mit Horn zusammen.

Der Zürcher Universalgelehrte Conrad Gessner (1516-1565) publizierte 1563 mit dem «Thierbuoch» ein Buch zu den vierfüssigen Tieren. Darin findet sich auch das Einhorn, das er eher skeptisch in die Tiersammlung aufnahm.

Seit dem 18. Jahrhundert wissen die aufgeklärten Geister, dass das Einhorn nicht wirklich existiert und ins Reich der Fantasie gehört. Seiner Beliebtheit tat dies keinen Abbruch. In Literatur, Bildender Kunst, Film und Musik lebt es weiter. Im letzten Jahrzehnt erreichte es durch die Fantasy-Literatur höchste Popularität und bedient einen breiten Markt. Die Magie verspricht der harten Realität zu entkommen. Dieses Versprechen lässt sich fabelhaft verkaufen.

Im Schloss Lenzburg finden sich nicht nur friedliche Einhörner, auch ein furchterregender und feuerspeiender Drache poltert hinter Gittern in der «Drachenhöhle». Im Kindermuseum können sich die Kinder fantasievoll als Ritter oder Prinzessinnen verkleiden, basteln und spielen.

Kinder können in den Räumen der Burg basteln, spielen und sich verkleiden.

Der Besuch des Schlosses Lenzburg gibt Einblicke in die Wohn- und Lebenskultur von Spätmittelalter, Renaissance und Barock bis zum Wohnstil, den die damaligen amerikanischen Schlossbesitzer um 1900 pflegten. Überdies verbrachte der Dichter Frank Wedekind (1864-1918) seine Jungendjahre auf der Lenzburg. Auf dem Rundgang erzählen in Hörspielen und Projektionen ehemalige Bewohnerinnen und Bewohner aus ihrem Alltag: Texte, die auf historischem Quellenmaterial beruhen.

Titelbild: Einhorn © Museum Aargau. Fotos: rv

«Einhorn – eine fabelhafte Geschichte», Schloss Lenzburg, Museum Aargau

Bernd Roling, Julia Weitbrecht, «Das Einhorn – Geschichte einer Faszination», Carl Hanser Verlag, München. ISBN 978-3-446-27610-9

 

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