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Zu Besuch bei Roswitha und Thomas Leutenegger

Roswitha und Thomas Leutenegger haben sich einst «auf dem Tanz» irgendwo im Zürichbiet kennengelernt. Bis heute sind sie ein Paar, das sich liebt.

Seit dreissig Jahren sind sie zusammen, seit über zwei Jahrzehnten samstags auf der Hauptsammelstelle Zollikon, einem Entsorgungs- und Recyclinghof beschäftigt. Offiziell ist es Roswithas Stelle. Weil samstags auch zwei Menschen das Pensum kaum bewältigen können, arbeitet Thomas ab und zu mit – wochentags ist er als Briefbote unterwegs und Roswitha bringt ihm, wenn sie nicht Dienst hat, für die Znüni-Pause auf der Tour ein Frühstück.

Eine Kiste voll Allerhand wird den verschiedenen Reststoff-Behältern zugeführt.

Thomas ging früher oft tanzen und landete einst im Bahnhöfli von Turbenthal. Roswitha war ausnahmsweise mit ihrer Mutter in dem Lokal, allein ging sie nicht aus. Er holte sie zum Tanz, er gefiel ihr ebenso, aber sie dachte: «Der fordert mich nie mehr auf, weil ich ihm ständig auf die Füsse trete.» Aber eine Woche später kam er wieder. Wenig später blieben sie zusammen – bis heute.

Der Batterien-Topf braucht regelmässige Kontrolle. Knopfbatterien gehören in den kleinen Behälter.

Frohnaturen seien sie, heisst es, und das Lokalblatt nennt Roswitha gern Strahlefrau, denn beide kommen immer gut gelaunt und offen auf ihre Kundschaft zu, sind hilfsbereit, erledigen die nötigen Handgriffe zügig und haben Zeit für ein freundliches Wort. In den langen Jahren haben sie spezielle Kenntnisse in Umweltfragen entwickelt und sind in der Natur- und Klimaentwicklung engagiert: Heute sind sie Profis in Fragen der Kreislaufwirtschaft geworden, verraten auch nützliche und simple Tricks für den Alltag. Ein Beispiel: Während Bücher, nachdem man die Buchdeckel entfernt hat, als Altpapier entsorgt werden können, müssen Steuerunterlagen wegen der Datensicherheit in den Abfallsack.

Karton, Plastik, Nespressokapseln, Grubengut oder Elektroschrott abgeben kann man an drei Halbtagen pro Woche. Es gibt auch Container für Metall, Flaschen, Textilien und den Big Bag für Milchtüten. Gut erhaltene oder ungebrauchte Haushaltgegenstände, Kleider, Geschirr oder Schmuck nimmt Roswitha für den kleinen Flohmarkt entgegen, den Leuteneggers auf Zusehen hin betreiben dürfen.

Der bestens aufgeräumte Flohmarkt im hinteren Teil des Hofs animiert zur Suche nach einer fast neuen Chromstahlpfanne oder einer Sommerbluse. Regelmässig begutachten Mütter das Spielzeug, Männer prüfen einen alten Hobel oder Hammer, Frauen sehen die Hosen durch und tragen mit Glück eine noch ungetragene mit Etikett einer bekannten Modemarke zum Schnäppchenpreis nachhause.

Blick ins Reich des Recyclings mit dem Hinweis auf den Flohmarkt.

Roswithas Kriterien sind streng: «Saubere Kleider nehme ich heim zum Bügeln, Pfannen und Töpfe entkalke und putze ich.» Brettspiele oder Puzzles werden auf Vollständigkeit geprüft, wenn auch nur zwei oder drei Teile fehlten, wird entsorgt: «Wir legen nur Dinge auf, die funktionieren, vollständig und sauber sind.» Also eine Art Garantie.

Leider gibt es Neider und Vandalen. Nicht zum ersten Mal wurde unlängst eingebrochen und das Flohmarktgestell zum Teil zerstört. Ausserdem müssen die Betreiber der Sammelstelle die Ruhezeiten strikte einhalten und überhaupt Lärm möglichst vermeiden. Der Betrieb steht in einer gemischen Gewerbe- und Wohnzone, Lärm von Lastwagen, die volle Mulden abholen, Lärm von Privatautos, die vollgepackt mit Kartons und Flaschen ankommen, lässt sich nicht vermeiden, ohne Toleranz der Anwohner und Rücksicht der Benutzer und Betreiber funktioniert der Recyclinghof aber nicht.

Die einen bringen Kartons zum Entsorgen, andere suchen sich bei den Zügelschachteln etwas Passendes aus.

Was motiviert Thomas und Roswitha, trotz all der Schwierigkeiten weiterzumachen? Wie aus einem Munde kommt die Antwort: «Freude macht’s, um gute Kunden zu sein, einen Beitrag für die Umwelt zu leisten, nach getaner Arbeit zufrieden heimzugehen.» Sie arbeiten schnell und ohne viel Worte. Ein Blick genügt, wer näher bei dem avisierten Kunden steht, wird aktiv, denn vier Augen sehen mehr als zwei. Bei aller Hektik gilt es zu verhindern, dass anderer Plastik bei den Petflaschen landet, oder dass Elektroschrott in die Metallmulde wandert. Und war das vorhin wirklich nur eine Kartonschachtel, die nun in der riesigen Presse landen soll?

Stilleben mit Leuchthirsch, oder auch Elektroschrott für die Recycling-Firma.

«Mein Gefühl täuscht mich selten,» sagt Roswitha, geht auf den Papa mit Kind zu und bittet drum, die Schachtel zu öffnen. Und tatsächlich, da ist noch Plastikpackmaterial samt Styropor drin. Auch wenn alles gut lesbar angeschrieben ist, nützt das nicht durchwegs: «Viele Menschen kapieren nicht, dass keine Putzmittel- oder Ölflaschen in die Petsammlung gehören, manche können nicht akzeptieren, dass nur ganz weisser Styropor gratis angenommen werden kann,» sagt Roswitha, «auch kleine Schmutzspuren machen das Material zum Abfall, der in den Hauskehricht oder als Sperrgut für 50 Rappen pro Kilo auf die Waage gehört. »

Links die beliebten Kunststoffsammelsäcke, in der Mitte eine Figur, die in ihrem zweiten «Leben» für den Flohmarkt wirbt.

Ob es mehr Farbenblinde gibt, als die Statistik sagt? Beobachten könne man das bei den Glascontainern, erklärt Thomas: «Da werden grüne Flaschen ins Weiss geschmissen, die braunen gleich hinterher.» Und auch das kommt vor: Ein junger Mann erscheint mit einem gigantischen Abfallsack. Inhalt: Bierdosen und Weinflaschen. Statt die Ware in den Containern zu entsorgen, lässt der Junge den Sack vor Roswithas Füsse fallen und sagt im Weggehen: «Mache ich nicht, ich bin zu faul.»

Ob so viel Arroganz muss ich leer schlucken, doch Roswitha und Thomas stecken es weg, wenden sich den nächsten Kunden zu. Aber ich wundere mich nicht, dass die beiden nicht den besten Eindruck von der Jugend haben, Klimaaktivisten inklusive: «Da reden sie von Umweltschutz, demonstrieren in Zürich, kleben sich an die Strasse und blockieren den Verkehr – dann fliegen sie in die Ferien, feiern Parties und lassen den Abfall einfach liegen.» Mein Einwand, es seien wohl kaum die gleichen Jugendlichen, findet kein Gehör.

Der Gewichtheber-Gurt gehört zur Ausrüstung.

Roswitha hat es unlängst in die Gesundheitsbroschüre Rücken einer grossen Krankenkasse gebracht: Sie trägt beim Arbeiten einen Stützgurt, damit sie auch Schwergewichte wie alte Röhrenbildschirme zur Entsorgung annehmen kann: «Seit dem Lockdown haben die Leute noch viel mehr ausgemistet als davor, all die Möbel und riesigen Elektronikgeräte.» Den ersten Gurt hat ihr Thomas geschenkt, als er ihn bei einer Sportartikelfirma entdeckte. Aber der Job ist nicht nur harte körperliche Arbeit: «Manchmal kommst du dir vor wie im Beichtstuhl, manche laden ihre Ware ab und zugleich ihre Sorgen. Wir erfahren viele Schicksale, hören von Leuten, die ins Pflegeheim müssen, andere beklagen einen Todesfall. Wenn du eine Person kanntest und findest dann Dinge von derselben, beispielsweise eine Fotografie, in der Sammelstelle, ist das manchmal hart.»

Einst bei der Hochzeit und jetzt Anfang Juli 2023: Ein glückliches Paar.

Aber das Positive überwiegt, daher mögen Roswitha und Thomas noch nicht aufhören: «Früher kamen sie mit den Kindern, heute sind die Kinder längst gross und kommen mit ihren Kindern.»

Titelbild: Thomas und Roswitha Leutenegger in der Hauptsammelstelle Zollikon.
Fotos: © E.Caflisch

Ein paar Hinweise zur Kreislaufwirtschaft:
Hinweise vom Bundesamt für Umwelt
Glas ein wichtiger Wertstoff
Kunststoffe wiederverwerten
Getränkekartons/Tetrapak recyceln

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1 Kommentar

  1. Danke für den wertschätzenden, realitätsgetreuen Beitrag über das ressourcen orientierten Wirken des Ehepaars Leutenegger, Zollikon im seniorweb!
    Rosmarie Liechti, Zollikon

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