Für Peter Bodenmann, ehemaliger SP-Präsident, war sie ein “Trachtenverein“, für Ueli Maurer, ehemaliger Verteidigungsminister, die „Beste der Welt“: die Schweizer Armee. Und für Viola Amherd, die aktuelle Verteidigungsministerin? Dazu später.
Weiter könnten die Ansichten der alt-Politiker über das wichtigste Machtinstrument der Schweiz wohl nicht auseinander gehen. Wie bei Vielem wird wohl die Wahrheit in der Mitte dieser extremen Positionen zu finden sein. Oder doch nicht? In einem Interview mit dem Tagesanzeiger umriss Oberstkorpskommandant Thomas Süssli, Chef der Schweizer Armee, mit nur einem Satz den wirklichen Stellenwert der Armee: „Mit unseren heutigen Mitteln wäre nach ein paar Wochen Schluss, wenn die Schweiz allein auf sich gestellt den Verteidigungskrieg führen müsste.“
Wie die deutsche Bundeswehr in Europa ist auch die Schweizer Armee, mit ihr das VBS, mit ihr Viola Amherd, die Chefin, vom Krieg in der Ukraine, aber insbesondere von der Kampfweise, von der konventionellen Angriffstaktik der russischen Armee überrascht worden. Anders die ukrainische Armee: Mit Kriegslist, mit Hinterhalten, mit Wasser überfluteten Gegenden kanalisierte sie im Frühjahr 2022 die Panzerangriffswellen der Russen im Marsch auf Kiew auf die Einfallsstrassen, so dass es zu langen Kolonnen kam, die leicht zu bekämpfen waren. Nach dem Rückzug der Russen aus dem Vorfeld Kiews entwickelte sich ein Kampfgeschehen wie beinahe im 1.Weltkrieg. Mit Gewehren, Handgranaten, Panzerfäusten aus Schützengräben, heute unterstützt von Artillerie und Panzern, stehen sich die beiden Armeen beinahe paralysiert gegenüber, weil die Russen Zeit hatten, sich eingraben konnten. Die Ukrainer dagegen zu spät den Gegenangriff starten konnten, weil ihnen die versprochenen Waffen, insbesondere Panzer, aus dem Westen noch fehlten. In der Folge eskalierte Putin den Krieg aber auch, führt ihn nun gleichzeitig mit den modernsten Waffen, mit Raketen, Marschflugkörpern, mit Drohnen gegen die Infrastruktur der Ukraine, aber auch gegen die Zivilbevölkerung, die er zermürben, deren Widerstandskraft er brechen will.
Was heisst das für die Schweiz? Bei einem konventionell geführten Krieg hätte wohl die damalige Armee 95 am besten bestehen können. Sie sah eine flächendeckende, dynamische Verteidigung vor. Welche Ironie der Geschichte: Herzstück dieser dynamischen Raumverteidigung waren die 380 Panzer Leopard 2, die im Vorfeld (1988, vor 35 Jahren) beschafft worden waren. Die Panzer-Verbände hätten im Ernstfall, unterstützt von der Flugwaffe und von Infanterie-Truppen, in Gegenschlägen eingebrochene Gegner zu vernichten gehabt. Nicht nur der Leo 2-Panzer-, sondern auch sein Vorgänger gar, der Leo 1, ist von der Ukraine heute noch heiss begehrt. Mit den bis jetzt gelieferten Leo 2 ausgestattet, wagte die Ukraine die Gegenoffensive. Sie braucht aber weit mehr: zuerst mehr Panzer Leo 2 und Leo 1, Kampfflugzeuge, Langstreckenraketen, sehr viel Artillerie-Munition. Streubomben, um den Verteidigungswall der Russen zu durchbrechen. Ohne die Unterstützung des Westens wird die Ukraine den Krieg verlieren.
Ein solcher konventioneller Krieg ist für die Schweiz, mitten in Europa, umgeben von Nato-Staaten, sehr unwahrscheinlich. Weit bedrohlicher ist Putins Eskalation des Krieges: Der Angriff auf die Ukraine mit modernstem Kriegsgerät, mit Drohnen, Marschflugkörpern, Langstrecken-Raketen, die von überall gestartet werden können. Diese Kriegsweise stellt auch für die Schweiz eine ernstzunehmende Bedrohung dar. Ein solcher Angriff über Nato-Länder hinweg kann auch die Schweiz ins Herz treffen. Auf einen solchen Angriffskrieg hat sich die Schweiz vorzubereiten, heute, nicht erst in Jahren. Nicht erst, wenn die Super-Kampfjets F35 im Jahre 2029-30 abgeliefert werden, die statt für einen Abwehrkampf eher für eine Angriffsaktion geeignet sind.
Bundesrätin Viola Amherd hat die Gefahren erkannt und handelt. Mit Österreich soll die Schweiz an der „European Sky Shield Initiative (ESSI)“ teilnehmen. Sie und ihre österreichische Amtskollegin Klaudia Tanner unterzeichneten eine entsprechende Absichtserklärung. Die entsprechende Initiative ging von Deutschland aus. Gemeinsam will man Flugabwehrwaffen beschaffen, mit denen Drohnen, Raketen, Flugmarschkörper abgefangen werden können. Der Ukraine-Krieg zeigt, wie bedeutsam diese Abwehrwaffen sind, wie wichtig ein europäisches Sicherheitsdach ist, so dass beispielsweise Raketen nicht erst über der Schweiz erkannt und abgefangen werden können. Viola Amherd hat sich damit im Bundesrat, der sich in Sicherheitsfragen, welche die Neutralität tangieren, sehr konservativ agiert, doch noch durchsetzen können. Und bereits den Zorn rechter Politiker auf sich gezogen.
Mit der neu eingesetzten Studienkommission, die sich mit der künftigen Sicherheitspolitik befassen soll, setzt Viola Amherd ein weiteres Zeichen. Von armeestrategischer, gar geostrategischer Kompetenz strotzt die Kommission nicht. Mit Valentin Vogt, dem eben zurückgetretenen Arbeitgeberpräsident, steht ihr ein Mann vor, der bis jetzt als gewiefter Gesamtarbeitsvertrags-Verhandler aufgetreten ist, nicht als Sicherheits-Experte. Amherd erhofft sich wohl von der Kommission eher eine freundeidgenössische Unterstützung, welche sie im Bundesrat nicht erfährt. Oder andersrum: Es genügt ihr nicht, wie der Chef der Armee seinen Auftrag umsetzt, die Schweiz jederzeit verteidigen zu können. Der Chef der Armee hat nämlich täglich mit seinem Stab, informiert vom Nachrichtendienst und den Erkenntnissen des Aussendepartementes, die Entwicklung des Krieges in der Ukraine zu verfolgen, daraus die nötigen Lehren für die Schweiz zu ziehen, so dass nicht „nach einigen Tagen Schluss sein wird…“