Mediation im Alter

Altwerden ist ein vielfältiger, lebenslanger Prozess, der immer wieder Anpassungen nötig macht: als Paar, im Familiensystem und im sozialen Umfeld. Die Berner Mediatorin Yvonne Hofstetter Rogger beschreibt für Seniorweb ihre Erfahrungen.

Seniorweb: Was ist eine Mediation?

Yvonne Hofstetter Rogger: Ich brauche den Begriff in der Mehrzahl. Mediationen sind verschiedene Formen von Unterstützung durch in der Streitsache nicht beteiligte Dritte. Diese vermitteln und helfen Menschen in Konflikten, selber eine für sie passende Lösung zu finden. Sie setzen dazu geeignete Mittel der Kommunikation ein und führen die Streitenden aus festen Positionen hin zu gemeinsamen Interessen und wechselseitigem Verständnis für die Anliegen, Bedürfnisse und Nöte des/der Andern.

Weshalb braucht es im Alter noch Mediationen?

Altern bringt mehrmals Übergangssituationen mit sich, in denen die älteren Menschen und ihr Umfeld sich neu orientieren müssen. Während vor manchen Jahrzehnten solche Übergänge und was nachher kommt noch klar geregelt waren, haben wir heute mehr und andere Möglichkeiten, unser Leben zu gestalten. Pensionierung beispielsweise heisst nicht mehr, ein paar wenige Jahre den Lebensabend ohne Erwerbsarbeit zu verbringen. Nein, sie ist ein Übergang in eine neue Lebensphase, die durchaus 20, 30 oder mehr Jahre umfassen kann. Es tut sich ein neuer, gestaltbarer Raum auf. Die Paarbeziehung ist neu zu organisieren, Gemeinsamkeit und Eigenständigkeit zu klären, vielleicht Finanzen zu sichern, Grosseltern-Beziehungen sind zu regeln, etc.
Yvonne Hofstetter Rogger ist Mediatorin SDM. (Schweizerischer Dachverband für Mediation).

Ein weiteres grosses Feld ist die häusliche Betreuung und Pflege. Ohne diese unbezahlbaren Leistungen von Angehörigen würde unser Sozial- und Gesundheitssystem zusammenbrechen. Doch die Verhältnisse haben sich geändert. Beidseitige Erwerbstätigkeit ist die Regel. Kinderlose Paare sind deutlich häufiger geworden, Generationenverbindungen haben sich geändert, nicht zuletzt durch die geographische Mobilität. Und doch wird weitherum quasi selbstverständlich vor allem von Frauen erwartet, all das zu leisten, was für Betreuung und Pflege eines fragil bis pflegebedürftigen Angehörigen zu tun ist. Wer diese Erwartungen erfüllen will, weiss oft nicht mehr, wie eigene Berufsarbeit, die Pflege des Angehörigen, die Betreuung von Enkeln, die Besorgung des eigenen Haushaltes, das Engagement in einer anspruchsvollen und befriedigenden Freiwilligenarbeit etc. bewältigt werden sollen. Ansprüche aus verschiedenen Rollen konkurrieren und können ohne weiteres erfüllt werden. Nicht erfüllte Ansprüche und Erwartungen führen zu Konflikten.

In den meisten Fällen kommen die durch die Veränderung Betroffenen selber damit klar, haben wir doch ein Leben lang Erfahrungen im Lösen von Problemen und strittigen Fragen gemacht. Doch wenn es nur noch schlimmer wird, wenn man im direkten Gespräch darüber redet, wenn, um sich durchzusetzen, zu kränkenden Worten oder unfairen Druckmitteln gegriffen wird, das Gegenüber mehr und mehr vom Streitpartner zum Feind wird, vielleicht gedroht wird, dann ist Mediation angezeigt. Und leider erleben wir es nur zu oft, dass die Konfliktbetroffenen sich erst melden, wenn schon sehr schmerzhafte Risse bis schwer zu überbrückende Brüche in den Beziehungen eingetreten sind.

Aktions- und Themenfelder der Altersmediation?


Quelle: YHR

Das Angebot richtet sich an alle Menschen, die mit ihren eigenen Möglichkeiten einer konstruktiven Konfliktregelung an die Grenze kommen, wenn es um Themen geht, die mit Alter und Generationenbeziehungen zu tun haben.

Wenn man bei Chat GPT «Elder Mediation» eingibt, dann nennt der Roboter «End of Life-Situationen» als ein Anwendungsfall. Welche Konflikte rund um das Sterben sind damit gemeint?

Die eindrücklichen Fortschritte in der Medizin machen manches möglich. Das ist wunderbar, denn wir erfreuen uns eines längeren und gesundheitlich besseren Lebens. Doch was wollen wir wirklich, wenn zwar noch die eine oder andere Behandlung möglich wäre, sich jedoch die Frage stellt, ob die zu erreichende Lebensqualität wirklich meinen Vorstellungen entspricht? Vielleicht möchte der Patient palliative Pflege und die Angehörigen setzen auf das Ausreizen aller Behandlungsmöglichkeiten, wie belastend auch immer sie für den Patienten ist. Bis hin zum Wunsch nach assistiertem Freitod, mit dem Angehörige manchmal einfach nicht zurechtkommen. Heisst dann eigene Autonomie, den Weg alleine gehen oder heisst Autonomie, die eigenen Bedürfnisse im Wissen um Wechselseitigkeit in Beziehungen auszudrücken und im Austausch Lösungen zu finden? Durch das Erkunden von Ängsten, zentralen Werten, tief liegenden Motiven kann ein Weg gefunden werden, den die Betroffenen und ihre nahestehenden Menschen gemeinsam gehen, sei es durch palliativ behandeltes Leiden oder hin zum Freitod.

Weitere Aktions- und Themenfelder?


Quelle: YHR

Ein anderes Thema ist, dass – gerade bei chronischen Erkrankungen – die Betroffenen und Angehörigen mehrmals mehr oder weniger ad hoc die Dinge meistern und sich nicht mit den unausweichlichen Fragen beschäftigen wollen, die auf sie zukommen können. Gespräche zur Planung, zu möglichen Krisen, überhaupt zu Fragen im Sinne von «was ist, wenn…» werden aufgeschoben. Es ist immer zu früh, bis es zu spät ist! Auch hier können Tabus, Ängste, Scham und andere Hindernisse die notwendigen Gespräche erschweren. Mediatorinnen und Mediatoren wissen, wie mit ihnen achtsam umgegangen werden kann.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Altersmediation gelingt?

Es braucht den Willen mindestens einer beteiligten Person, eine einvernehmliche Lösung anzustreben und dann zumindest die – vielleicht noch zögerliche – Bereitschaft der andern, mitzuwirken. Das gilt für den Anfang. Im Verlaufe des Prozesses braucht es etwas Zuversicht, Offenheit gegenüber verschiedenen, möglichen Ergebnissen und die Bereitschaft, selber Mitverantwortung zu übernehmen, sowohl beim Entscheiden wie auch beim Umsetzen einer Vereinbarung. Nicht immer müssen alle in irgendeiner Weise Involvierten dabei sein.

Wie viele Sitzungen sind notwendig?

Bei gemeinsamen Sitzungen werden Konflikte besprochen und Lösungen gesucht.

Wenn es um Sachfragen geht, die bei den Beteiligten nicht so sehr ans «Lebendige» gehen, dann kommt es auf die Kompliziertheit und Anzahl der Fragen an. Das kann von einer bis drei Sitzungen gehen. Wenn die Beteiligten in grösserer Entfernung voneinander leben, kann man sich einen Tag mit Pausen Zeit nehmen. Wenn es – wie meistens – darum geht, Sache, Emotionen und Beziehungen zu klären, dann kann es auch mal mehr Besprechungen brauchen. Das kann allerdings situativ sehr verschieden sein. Erfahrungsgemäss kann man sagen, dass dann, wenn die Bedürfnisse, Anliegen, Sorgen und allenfalls Ängste auf dem Tisch liegen und wechselseitig anerkannt werden, der Weg zu einer Lösung meist nur noch kurz ist.

Wann ist eine Mediation «erfolgreich»?

Aktions- und Themenfelder in der Pflege. Quelle: YHR

Manchen Konflikten liegen auch unauflösbare Widersprüche und Ambivalenzen zu Grunde. Erfolg heisst dann nicht immer eine Lösung, die alle gleichermassen befriedigt, alle Aspekte des Konfliktes regelt und für immer Bestand hat. Erfolgreich ist eine Mediation in meinen Augen, wenn die Beteiligten sagen, dass es für sie Sinn gemacht hat, dass einiges geregelt ist und sie miteinander besser umgehen können, auch mit den Themen besser klarkommen, die sie vielleicht noch nicht auf die Reihe gekriegt haben. Nicht zu unterschätzen sind auch die Wirkungen, die sich erst nach Abschluss einer Mediation bemerkbar machen, auch wenn die Lösungsmöglichkeiten bescheiden erscheinen. Dies kann sich in einem rücksichtsvolleren Umgang miteinander ausdrücken. Wenn das Verständnis – im besten Fall das wechselseitige – gestiegen ist, sinkt die Gefahr der Empörung und der Konflikteskalation. Die eigenen Fähigkeiten zum Umgang mit dem Konflikt sind wieder gestärkt.

Wie wird die Lösung eines Konflikts nachhaltig gemacht?

Das Wichtigste ist die Klarheit der Vereinbarung, dass alle sie gleich verstehen und sie als verbindlich übernehmen. In manchen Fällen ist es sehr hilfreich, einen Termin zu vereinbaren, bei dem man hinschaut, was wie funktioniert und was nicht. Dies ermöglicht es auch, erst mal zu vorläufigen Regelungen ja sagen zu können, um nachher nochmals hinzuschauen.

Was kostet eine Mediation?

Die Kosten variieren von etwa 150.—bis 300.—Franken pro Stunde. Wenn es um komplexere Angelegenheiten geht, wie beispielsweise bei einem Konflikt, in welchem es ratsam ist, mit einem Mediationsteam mit zwei Personen zu arbeiten, kann es unter Umständen auch mehr kosten. Zu klären ist auch immer, inwiefern Vor- und Nachbearbeitung und Reisezeit speziell zu vergüten ist.

Was passiert, wenn eine Altersmediation scheitert?

Wenn nicht eine oder mehrere Beteiligte davonlaufen und kein geregelter Abschluss stattfinden kann, spreche ich nicht von Scheitern, sondern von Abschliessen ohne Vereinbarung. Ich lasse dann in der Abschlussrunde alle sagen, was sich in ihrem Blick auf den Konflikt durch das Gespräch geändert hat. Was ist klarer geworden? Was ist schwieriger geworden? Wie kommen sie emotional mit der Situation zurecht? Was wünschen sie sich von den anderen Beteiligten?


Aktions- und Themenfelder in Alterseinrichtungen. Quelle: YHR

Welche «Learnings» hat die Covid-Krise bezüglich Konflikten im Alter oder zwischen Generationen Ihrer Sicht hervorgebracht?

Ich habe die Konflikte in der Covid-Krise in meiner freiwilligen Tätigkeit bei der Unabhängigen Beschwerdestelle für das Alter UBA erlebt. (uba.ch) Es ging da vor allem um die Beschränkung der Besuche. Die Beschränkungen wurden von manchen Alterseinrichtungen ausgesprochen strikte durchgezogen. Beide Seiten erlebten die Widersprüchlichkeit, die im Problem steckte, auf eine andere Weise. Angehörige, die eine Ausnahmeregelung als völlig berechtigt angeschaut haben, empörten sich sehr, wenn sie ein rigoroses «Nein» erhielten. Die Not der Angehörigen war gross, auch die vermutete Not bei den Betagten in den geschlossenen Einrichtungen. Es war für alle schlecht auszuhalten. Wenn die Angehörigen anerkennen konnten, dass angesichts der grossen Unsicherheit in der Prävention nun schmerzhafte Vorsichtsmassnahmen getroffen werden, um alle Bewohnenden so gut wie möglich zu schützen, konnten sie besser mit den Heimen kommunizieren. Dies gelang dann, wenn die Heime sich Zeit nahmen, wenn Risiken in Grenzfällen wirklich offen im Gespräch abgewogen wurden, wenn rasch alternative Kommunikationsmöglichkeiten eingerichtet wurden. Kurz gesagt, wenn es möglich wurde, dass beide Seiten es als ein gemeinsames Problem und nicht als eine Situation der Gegnerschaft anschauen konnten. Und hier liegt ein Kern, der für fast alle Konflikte gilt: Wenn die Konfliktbeteiligten sich aus dem Verständnis lösen, sich als Gegner gegenüberzustehen, und wenn sie erkennen, dass sie ein gemeinsam zu klärendes und regelndes Dilemma haben, dann verändert sich der Umgang mit dem Konflikt ganz wesentlich.

Sie sind Mitglied eines Netzwerks von Mediator/-innen im Raum Bern mit Schwerpunkt Alters- und Generationenfragen. Was darf ich darunter verstehen?

Wir sind eine Gruppe, die unabhängig tätig ist, jedoch regelmässig Erfahrungen austauscht, und zwar in bescheidenem Masse Öffentlichkeitsarbeit macht (altersmediation-bern.ch). Unsere Gruppe ist wiederum Teil der Fachgruppe Altersmediation der FEDERATION SUISSE MEDIATION. Und wir beteiligen uns auch im Netzwerk Elder Mediation D-A-CH, um Kenntnisse und Kompetenzen in diesem Praxisfeld zu mehren und auszutauschen.

Zur Person

Yvonne Hofstetter Rogger ist Mediatorin SDM, Mitinitiatorin und Co-Leiterin des Netzwerkes «Elder Mediation D-A-CH» sowie Mitherausgeberin und Redaktionskoordinatorin der Zeitschrift perspektive mediation.

LINK

Altersmediation Bern | Mediation in Alters- und Generationenfragen (altersmediation-bern.ch)

Titelbild: Damit eine Mediation gelingt, braucht es den Willen mindestens einer beteiligten Person, eine einvernehmliche Lösung anzustreben und dann zumindest die – vielleicht noch zögerliche – Bereitschaft der andern, mitzuwirken. Quelle der verwendeten Fotos: Pexel, YHR, Privat.

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