Die internationale Hilfsorganisation «Mercy Ships» betreibt mehrere Spitalschiffe mit Schwerpunkt in Afrika. Die Besatzungen bieten der lokalen Bevölkerung überlebensnotwendige Operationen sowie medizinische Fortbildung an. Zwei Schweizer Freiwillige berichten.
Als junges Ehepaar hatten Don und Deyon Stephens einen Traum: Sie wollten ein grosses Schiff in ein schwimmendes Spital umbauen, um denjenigen, die es am nötigsten hatten, sichere sowie kostenlose chirurgische Hilfe zukommen zu lassen. Es dauert lange, bis der Traum Gestalt annahm. Vor 45 Jahren war es dann so weit: Don Stephens unterschrieb den Kaufvertrag für die «Anastasis», das erste Schiff der Non-Profit-Organisation.
Das Gründerpaar Don und Deyon Stephens.
Seither hat «Mercy Ships» mehr als 1,2 Millionen Menschen geholfen: durch medizinische Behandlungen, 110 000 lebensverändernder Operationen, sowie durch Fortbildungen lokaler Fachkräfte im medizinischen und in anderen Bereichen. Engagierte Mitarbeitende aus über 35 Nationen sind auf den Schiffen tätig. In der ersten Hälfte des Jahres 2023 arbeiteten mehr als 1100 Ehrenamtliche, darunter viele aus Schweiz, an Bord des neusten Schiffs «Global Mercy».
Stattliche Flotte
Seit 1978 hat die wachsende Flotte über siebzig Hafengebiete auf der ganzen Welt besucht. Die ehemalige neufundländische Küstenfähre «Petite Forte» war elf Jahre lang in der Karibik sowie in Mittel- und Südamerika im Einsatz. Die einstige norwegische Fähre «Polarlys» wurde 1994 von «Mercy Ships» gekauft. Während zwölf Jahren wurde die «Caribbean Mercy» hauptsächlich in Zentralamerika sowie im karibischen Becken eingesetzt.
Die «Anastasis» und die «Africa Mercy».
Auch das italienische Passagier- und Frachtschiff «Victoria» wurde 1978 zu einem «Mercy Schiff» umfunktioniert. Die «Africa Mercy», die 1999 dank einer Spende erworben und 2007 in Betrieb genommen werden konnte, verfügt über fünf Operationssäle und eine 82-Betten-Station. Last but not least: Die «Global Mercy» ist das erste Spitalschiff, das speziell für humanitäre Einsätze gebaut wurde. Sie ermöglicht es, die Wirkung auf dem afrikanischen Kontinent zu verdoppeln und gleichzeitig einen Einsatz in zwei verschiedenen Ländern durchzuführen.
Bäckerin und Pflegefachfrau geben Auskunft
Die Schweizerin Tamara Buri (26) arbeitete 2019 ein Jahr lang als Bäckerin an Bord der «Africa Mercy» und ist seit November 2021 auf der «Global Mercy» in derselben Funktion im Einsatz. Linda à Porta (26) ist Pflegefachfrau und war bisher einmal an Bord. Sie geht im Oktober 2023 wieder aufs Schiff. Auf Wunsch von Seniorweb haben die beiden Frauen per Email Fragen zu ihren Einsätzen beantwortet.
Welche Funktion haben Sie an Bord?
Tamara Buri: Ich bin Bäckerin, Konditorin und Confiseurin EFZ. Meine Aufgabe auf dem Spitalschiff ist es, das Frühstück, verschiedene Brote, Desserts sowie Kekse vorzubereiten.
Linda à Porta: Ich bin Pflegefachfrau mit Schwerpunkt Pädiatrie und arbeite seit vier Jahren im Kinderspital Zürich. Auf dem Spitalschiff kümmere ich mich primär um Kinder.
Weshalb leisteten Sie diesen Einsatz?
Bäckerin Tamara Buri vor der «Global Mercy».
Tamara Buri: Ich bin motiviert, die Gaben, die Gott mir geschenkt hat, zu nutzen, um einen Unterschied im Leben anderer Menschen zu machen. Ich möchte mein Können und Wissen weitergeben und anderen helfen. Ich freue mich, auch ohne medizinische Ausbildung auf einem Spitalschiff arbeiten zu können.
Linda à Porta: Es war schon immer mein Kindheitstraum einmal auf einem «Mercy Ship» zu arbeiten. Die Hilfsorganisation war schlussendlich die Motivation, Pflege zu studieren und im Spital zu arbeiten. Ausserdem sehe ich mit den Einsätzen die Möglichkeit, etwas von meinen Privilegien, die ich hier in der Schweiz habe, an andere zurückgeben zu können.
Erzählen Sie uns ein Erlebnis aus ihrer täglichen Arbeit.
Tamara Buri: Ich habe nicht viel Kontakt mit den Patienten, da ich nicht im Spitalbereich arbeite. Doch zu wissen, dass die Patienten durch eine gute Ernährung (und da gehört Brot dazu) schneller genesen, finde ich schön. Jeder einzelne Mensch an Bord ist wichtig, jeder ist abhängig von den anderen, auch wenn man es manchmal kaum sieht.
Im letzten Einsatz in Senegal hatte ich Gelegenheit, mit einem lokalen Mitarbeiter in der Bäckerei zusammen zu arbeiten. Er hatte nicht viel Arbeitserfahrung, und ich konnte ihm viele neue Gebäcke und Techniken beibringen. Er war super motiviert, und es war so schön zu sehen, wie er von Woche zu Woche besser wurde. Ich hoffe sehr, dass er nun in Senegal eine gute Arbeit finden wird, wo er alles Erlernte vertiefen kann, aber auch sein Wissen weitergeben wird.
Pflegefachfrau Linda à Porta auf der «Africa Mercy».
Linda à Porta: Ein 14-jähriger Junge mit einem gutartigen Tumor im Gesicht war zu Beginn sehr ängstlich und wirkte in sich gekehrt. Nach der erfolgreichen Entfernung des Tumors war er nicht nur physisch verändert, sondern hatte auch sichtlich Vertrauen zu uns gewonnen. Er war wie ausgewechselt und einer der fröhlichsten und lautesten Jungen an Bord. Er durfte sein Selbstbewusstsein wieder neu finden, war oft tanzend im Raum anzutreffen und begeistert davon, Gitarre spielen zu lernen. Das Erlebnis zeigt auf, wie ganzheitlich lebensverändernd Operationen sein können.
Nennen Sie uns eine Herausforderung?
Tamara Buri: Täglich kommen und gehen Leute. Das gibt mir die Möglichkeit, viele neue, tolle Menschen kennen zu lernen. Aber manchmal ist mir das auch zu viel. Man muss lernen, sich abgrenzen zu können und sich Zeit für sich selber zu nehmen, um wieder genug Kraft zu haben, neuen Menschen zu begegnen.
Linda à Porta: Mein Job ist emotional herausfordernd, da nicht allen geholfen werden kann und die Ungerechtigkeit der Welt so offensichtlich zum Vorschein kommt. Andererseits ist die Begegnung mit so vielen Weissen für die meisten schwarzen Patienten etwas Fremdes, woran sie sich zuerst gewöhnen müssen. Sie haben oft Angst vor der Spitalumgebung mit piepsenden Geräten, grellem Licht und verschiedenen Apparaten.
Fachleute gesucht
Hilfe mit viel Herz.
Man spürt es: Beide befragten Frauen sind begeistert von ihrem Einsatz. «Ich lerne so viel fürs Leben, nicht nur medizinisch, sondern ganz besonders auch moralisch und kulturell», findet Linda Porta. «Viele denken, dass nur medizinisches Personal eingesetzt wird. Nein, wir brauchen Unterstützung von den unterschiedlichsten Berufsgattungen: Lehrer, Rezeptionisten, Schreiner, Köche, Matrosen, Personalfachleute oder Speisesaal-Personal. Ausserdem ist ein Einsatz auf einem Schiff optimal geeignet für ein Zwischenjahr, beispielsweise nach dem Gymnasium.»
Titelbild: Mit der «Africa Mercy» und der «Global Mercy» betreibt die Non-Profit-Organisation zwei der weltweit grössten zivilen Spitalschiffe. Fotos © «Mercy Ships» und privat.
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