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Zu Besuch bei Christine Egerszegi

Die Adresse lässt es erahnen: Die Alt-Nationalratspräsidentin und nachmalige Ständerätin Christine Egerszegi wohnt am Berg, ein schmales Strässlein führt über viel Geränke zu ihrem Haus. Man sieht es von der Strasse her kaum, es duckt sich eher, als dass es auf dem Berg thront.

Die Hausherrin strahlt wie immer bei unserer Begrüssung. Ihre herzerfrischend positive Art hat sie sich erhalten über all die Jahre ihres politischen Engagements. 75 Jahre jung ist sie nun, und sie präsidiert noch immer diverse Kultur-Vereine und Institutionen. Und eben wurde die Politikerin vom Bundesrat angefragt, ob sie nicht für weitere vier Jahre die BVG-Kommission, die zweite Säule des Sozialsystems der Schweiz, kurz Pensionskasse, präsidieren wolle. Im Umgang mit der Berufs- und Altersvorsorge hat wohl kaum jemand so viel Erfahrung wie Christine Egerszegi.

Im November 2015 trat Egerszegi aus der aktiven Politik zurück. Ihre politischen Schwerpunkte waren und sind noch immer Gesundheit und Soziales. In ihrer Zeit als Bundesparlamentarierin war sie Mitglied und Präsidentin (2012/13) der Kommission zur Sozialen Sicherheit und Gesundheit (SGK), und sie präsidierte die 1. BVG-Revision. Viele Dossiers wie die Strukturreform, die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Kassen oder die «Altersvorsorge 2020» konnte sie massgeblich mitgestalten. Seit 2016 ist Egerszegi die Präsidentin der Eidgenössischen BVG-Kommission, vier weitere Jahre traut sie sich, wie sie mir lachend sagt, durchaus noch zu.

Christine Egerszegi (links) im Gespräch mit Sibylle Ehrismann. (Fotos Josef Ritler)

Ich kenne Egerszegi aus der Musikszene, wo wir uns immer wieder begegnet sind. Ihr Name war mir auch deshalb ein Begriff, weil sie sich während ihrer ganzen politischen Karriere vehement für die Kultur stark gemacht hat. Nicht nur auf der politischen Bühne, wo sie zum Beispiel die Initiative «Jungend + Musik» als Parallele zu «Jungend + Sport» lancierte. Egerszegi traf und trifft man auch im Vorstand diverser Kulturveranstalter, wo sie engagiert mitdenkt und sich unermüdlich um finanzielle Quellen bemüht.

Wir setzen uns für das Gespräch ins gemütliche Wohnzimmer, in dem auch ein Klavier steht. Dieses ist nicht nur Dekomöbel, es wirkt spielbereit. Die Fenster geben den Blick frei auf einen üppigen Garten, den Egerszegi heute gerne pflegt. «Früher war der Garten das Revier meines Mannes, er wollte viele Rosen und Sonnenblumen,» meint Egerszegi zu meinen bewundernden Worten. Über ihren Gatten Lajos, der FDP-Mitglied war, kam Egerszegi als junge Frau in Kontakt mit der Politik. Er war 22 Jahre älter als sie und verstarb im April 2004 an einem Hirntumor. Gemeinsam hatten sie zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter, mittlerweile sind auch fünf Enkelkinder da.

 Christine Egerszegi, Sie haben Romanistik studiert und waren Französischlehrerin. Was hat Sie zur Politik geführt?

Das kam eher überraschend für mich (lacht). Ich wurde von Peter Sonderegger, der als Musiklehrer von der Bezirksschule Mellingen an die Kantonsschule Wettingen wechselte, angefragt, ob ich für ihn die Musikschulkommission übernehmen würde. Ich habe ja auch Gesang studiert bei Johannes Fuchs und sang im Kammerchor Zürich mit. Mir wurde erst nach meiner Wahl klar, dass mit diesem Ehrenamt auch die Leitung der Musikschule verbunden war. Politisiert haben mich die miserablen Anstellungsverhältnisse der Musiklehrerinnen und -lehrer. Das wollte ich ändern. Lokalpolitisch engagierte ich mich in der Schulpflege und wurde dann als erst Frau in den Stadtrat von Mellingen gewählt. Und zwar in einer Kampfwahl.

Sie gehören zu den Pionierinnen auf dem nationalen politischen Parkett. Wie haben Sie als Frau inmitten all der Männerseilschaften ihr Netzwerk aufgebaut?

Wir Aargauer Grossrätinnen haben uns gut vernetzt. Wir trafen uns regelmässig zum Austausch und überlegten auch, wie wir einander stärken können. Dieses Frauennetzwerk verhalf mir zur Wahl in den Nationalrat, und auch Stephanie Mörikofer schaffte es so in den Regierungsrat.

Als Sie von der Kantonspolitik in die Bundespolitik wechselten, was hat sich hauptsächlich für Sie verändert?

Die Erfahrung, dass Frauen mehr Offenheit haben zu fragen: «Wie packt ihr es an?» Die hat mich auch auf Bundesebene begleitet. Ich schätzte sehr, dass ich als Neugewählte an den regelmässigen «Frühstückstischen»von Bundesrat Cotti «Neues aus der Sozialpolitik» vorstellen durfte. Bei Reformen von Sozialversicherungen ging ich immer zuerst zum Arbeitgeberverband, um mir Standpunkte und Möglichkeiten der Arbeitgeber anzuhören. Danach hörte ich mir die Anliegen der Arbeitnehmer an. Mit diesem Überblick konnte ich mir eine eigene Meinung bilden, und wusste, was zu tun war.

Welche Reform war Ihnen besonders wichtig?

Die Invalidenversicherung und die AHV wurden aus demselben Topf gespiesen. Die IV hatte grosse Geldprobleme und stopfte das Loch über Gelder der AHV. Ich engagierte mich sehr für die Trennung der beiden Versicherungen, damit Beiträge und Leistungen der IV in ein Gleichgewicht gebracht werden konnten. Die zu bildenden Reserven mussten befristet über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0.4 Prozent finanziert werden. Die FDP war grundsätzlich immer gegen Steuererhöhungen. So beschloss sie die Nein-Parole – und ich zog mich aus der Geschäftsleitung zurück. Ich freute mich dann über das JA der Stimmbevölkerung.

Wo sehen Sie heute die Probleme der Altersvorsorge?

Das Hauptproblem ist europaweit dasselbe: Die Leute werden immer älter, aber die Altersvorsorge bleibt in der Struktur gleich. Früher rechnete man mit 15 Jahren AHV-Rente, heute sind es 20-25 Jahre. Ein grosses Problem ist auch die Teuerung. Die AHV wird unregelmässig minimal um 10 Franken angepasst, die Pensionskassen gar nicht, aber jedes Jahr steigen die Krankenkassenprämien um mehrere Prozente. Das führt dazu, dass den Rentenrinnen und Rentnern immer weniger Geld zur Verfügung steht.

Wir kennen uns von Ihrem Engagement in der Kultur her. Vor allem die klassische Musik liegt Ihnen am Herzen.

Ich zähle mich zu den Liberalen des 19. Jahrhunderts. Diese setzten sich für eine möglichst breite Bildung ein, und es war ihnen bewusst, dass die Kultur für die Bildung eine wichtige Rolle spielt. Ich habe als Kind viel gesungen, wir sangen beim Abwasch, wir kannten viele Volkslieder. Das aktive Singen, auch im Chor, hat mir viel Kraft gegeben. Ich erinnere mich gut an meine Stadtratszeit: Vor Weihnachten besuchten wir Mellinger Stadtbürger in Spitälern und Heimen. So kam ich zu einem älteren Mann in die Psychiatrische Klinik in Königsfelden. Seit Jahren sprach er kein Wort. Ich konnte ihm doch nicht einfach die Stange Zigaretten geben und wieder verschwinden. So begann ich das alte Männerchorlied «Wie die Blümlein draussen zittern» zu singen, und plötzlich sang er mit, er konnte sich an alle Strophen erinnern. Das hat mich sehr beeindruckt.

Für die Initiative «Jugend + Musik» haben Sie sich mit viel Leidenschaft eingesetzt. Auch für die Kulturbotschaft 2016-2020. Was hat dieses Engagement konkret gebracht?

Es war toll, dass die Umsetzung dieser Initiative nicht Jahre dauerte. Das hatten wir Bundesrat Alain Berset zu verdanken, der sehr musikaffin ist. Er hat sich sein Studium mit Klavierspielen finanziert. Überhaupt war der Bundesrat damals sehr kulturfreundlich, Simonetta Sommaruga ist ja Pianistin. Dank der Initiative unterstützt der Bund heute Musiklager für Jugendliche, denn das gemeinsame Musizieren ist eine sehr wertvolle Erfahrung. Zudem werden Retraiten für Chöre finanziert, und Ensembleunterricht an Musikschulen. Und dank der Motion von Grossrätin Simona Brizzi können heute im Aargau nicht mehr nur Kantonsschüler, sondern auch Lehrlinge weiterhin unentgeltlich Musikstunden nehmen.

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