Die Krankenkassen-Prämien für uns Schweizerinnen und Schweizer werden 2024 erneut steigen. Die Angelegenheit tangiert uns alle. Vor allem den Mittelstand. Seniorweb sprach mit dem erfahrenen Gesundheitspolitiker Konrad Graber über anstehende Reformen zur Kostensenkung.
Im Zentrum der Debatte stehen folgende Aspekte:
- Nach Corona gehen wir wieder häufiger zum Arzt. Holen eventuell eine OP nach. Gehen generell wachsamer mit unserer Gesundheit um.
- Der Bund hat die Versicherer in guten Zeiten zum Reserveabbau aufgefordert. Nun fehlen teilweise Reserven, um den erwarteten Prämienanstieg abzufedern.
- Unser Gesundheitssystem ist zwar sehr gut. Es ist aber auch teuer. Und es gibt grosse Fehlanreize im System.
- Wir haben zu viele Doppelspurigkeiten: Der Hausarzt ordnet eine Behandlung an. Der Facharzt tut dasselbe noch einmal, vielleicht ein bisschen anders. Und wenn es gut kommt, tut ein dritter Arzt nochmals dasselbe. Weil die eine Hand nicht weiss, was die andere tut. Darüber könnten wir Senioren ein Lied singen.
- Aber auch die Kantone sind Treiber des Systems. Im Kanton Aargau gibt es innerhalb einer Fahrzeit von 15 Minuten gleich zwei Kantonsspitäler. Das eine wirtschaftet gut, das andere nicht. Und trotzdem verteilt die Politik Geld, um beide am Leben zu erhalten.
Wir müssen es zur Kenntnis nehmen, dass derzeit aus verständlichen Gründen verschiedene Fragestellungen und Lösungsvorschläge im Raum stehen. Die Parteien überbieten sich in der Vorwahlzeit mit Ideen: die FDP mit einer Kranken-Versicherung light, die Mitte mit einer Kostenbremse, die SP mit einer Einheitskasse und die SVP seit neustem mit der Idee, die obligatorische Krankenversicherung gleich ganz abzuschaffen.
Auf der Basis der Thematik rund um die aktuellen Fragestellungen unterhielten wir uns mit dem ehemaligen Luzerner Ständerat Konrad Graber (2007 – 2019). Der diplomierte Wirtschaftsprüfer und Betriebsökonom und erfahrene Gesundheitspolitiker ist seit Juni 2023 Präsident des Krankenkassenverbandes curafutura.
Seniorweb: Welche Versicherer sind Mitglied des Dachverbands curafutura?
Konrad Graber: Dem Dachverband gehören die bedeutenden Versicherer CSS, Helsana, Sanitas und KPT an.
Wie beurteilen Sie die die verschiedenen aktuellen Vorstösse?
curafutura anerkennt in allen Vorstössen den Willen, einen aktiven Beitrag zur Besserung zu leisten. Beim genauen Hinschauen zeigt sich jedoch, dass alle Vorschläge der Parteien kleinere und grössere Mängel aufweisen, die letztlich das aktuelle System weitgehend verschlechtern. Sie sind zudem nicht kurzfristig umsetzbar. Nur zwei Beispiele: Abschaffung des Obligatoriums? Viele Senioren waren schon einmal in ihrem Leben in einem Spital und wissen, wie schnell eine Rechnung über 10’000 Franken kostet. Wer diese plötzlich aus eigenem Sack bezahlen muss, der kommt schnell an sein Limit. Auch die Idee einer Einheitskasse ist zu wenig durchdacht. Sie führt schnell zu einem Abbau an Leistungen. Haben wir keine Auswahl, wird uns diktiert, was bezahlt wird.
Augenfällig an der aktuellen Debatte ist, dass zwar viele neue Ideen auftauchen, die grossen Reformen aber, die längst umgesetzt sein sollten, seit mehr als 10 Jahren immer noch nicht unter Dach und Fach sind?
Dem ist so. Der Grund ist ein einfacher: Sobald es um die Ausgestaltung der Vorschläge in der Praxis geht, werden die unterschiedlichen Vorstellungen offenkundig. Bevor wir über Neues nachdenken, müssen die wichtigen systemrelevanten Reformen umgesetzt sein. Mein Rat an die Adresse von Bundespräsident Alain Berset, der die letzten Monate seiner Amtszeit vor sich hat, wäre: Die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (EFAS) sehe ich dabei als wichtigsten Grundstein. Ambulant ist günstiger und wird von vielen von uns bevorzugt. Doch aufgrund der grossen Menge und der unterschiedlichen Finanzierung durch Versicherer und Kanton, also Steuerzahler, beeinflusst dies die Prämien massiv.
Wie steht es um den Arzttarif?
Das ist jener Tarif, der definiert, wie viel welche ambulante Leistung beim Arzt oder im Spitalambulatorium kostet. Der Tarif ist 20-jährig und beinhaltet teilweise Behandlungen, die gar nicht mehr praktiziert werden. Ausserdem werden gewisse Leistungen zu gut und andere viel zu schlecht bezahlt. Auch das führt dazu, dass gewisse Leistungen zu viel und andere zu wenig angeboten werden. Der Verband curafutura hat den neuen Tarif TARDOC (TARDOC ist der neue Arzttarif der Schweiz) wesentlich mitgeprägt.
Welche Elemente sprechen für eine Margenreduktion bei den Medikamenten?
Wir haben in der obligatorischen Grundversicherung eine Liste an Medikamenten, die bezahlt werden. Von vielen gibt es ein Originalmedikament und ein Generikum. Weil der Apotheker oder der Medikamente abgebende Arzt am Originalmedikament mehr verdient, gibt er in der Tendenz lieber das Original ab. Auch dieser Fehlanreiz muss behoben werden, damit die Kosten sinken.
Um welche zwingenden Reformen geht es letztlich?
Drei Reformen sind kurz vor der Ziellinie. Die einheitliche Finanzierung der ambulanten und stationären Leistungen ist aber im Parlament nach wie vor ein Zankapfel, obschon fast alle Punkte bereinigt sind. Die Gesuche zum neuen Arzttarif liegen beim abtretenden Bundespräsident Alain Berset. Die Revision der Marge für Medikamente ist ebenfalls beim Departement des Innern. Bei allen drei Reformen kann er jetzt noch ein klares Signal senden. Damit nicht die Nachfolgerin oder der Nachfolger auf Baustellen beginnen muss, die dann plötzlich auf dem Papier völlig umgezeichnet werden und wieder Jahre vergehen.
Titelbild: Konrad Graber. Foto zvg.