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«Am besten bleiben wir gesund.»

Am Nachmittag der Delegiertenversammlung vom 24. September der VASOS hielt der 80-jährige Heinz Locher ein viel beachtetes Referat über «Die Gesundheitsversorgung der Zukunft – dargestellt aus der Optik älterer Menschen». Seniorweb war dabei.

Heinz Locher eröffnete sein Referat mit einer guten Nachricht, nämlich mit einem Ausschnitt aus der Präambel der Bundesverfassung und Art. 41 (BV). Aus der Präambel: «Das Schweizervolk und die Kantone (…) gewiss, dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen.» Und im gesundheitsbezogenen Artikel 41 steht: «Bund und Kantone setzen sich in Ergänzung zu persönlicher Verantwortung und privater Initiative dafür ein, (…) dass jede Person die für ihre Gesundheit nötige Pflege erhält.»

Nachdem Heinz Locher die hohe Komplexität und Kompliziertheit der schweizerischen Gesundheitsversorgung mit Witz, Scharfsinn und Durchblick in ein paar Zügen dargestellt hatte, kam er zu einer negativen Nachricht mit ein paar wesentlichen Elementen: Hohe finanzielle Belastung der Haushalte; rückständige Sicherheits- und Qualitätskultur mit ca. 2000 vermeidbaren Todesfällen pro Jahr; ungeeignete Tarifformen. Schelmisch meinte der 80-Jährige am Schluss dieses Abschnitts: «Am besten bleiben wir gesund.».

Im letzten Teil seines Referats skizzierte er einige Aspekte einer Gesundheitsversorgung für die Zukunft aus der Sicht älterer Menschen. Heinz Locher sieht die Basis der Gesundheitsversorgung weder in Spitälern noch in Pflegeheimen. Basis ist für ihn der einzelne Mensch, der in Selbstverantwortung sich um seine Gesundheit kümmert, der eine angenehme Wohnsituation hat, wenn möglich mit Angehörigen und einem sorgenden Umfeld. In Wohnblöcken sollte ein Concierge+ oder ein umsichtiger Portier dafür sorgen, dass beeinträchtigte Bewohnende mit Leichtigkeit zu Unterhaltsleistungen kommen, die für ihre Lebensqualität wichtig sind. Hauswirtschaftliche Leistungen, Betreuung und Begleitung und Spitex sollen auch bei zunehmender Fragilität ein gutes Leben zuhause bei hoher Lebensqualität ermöglichen.

Für medizinischen Support sieht Heinz Locher eine hausärztliche Versorgung mit Versorgungsnetzen als Basis, am besten mit Budgetverantwortung. Deswegen sollten aus seiner Sicht viel mehr Hausärzte ausgebildet werden, die gerade bei multimorbiden Personen aus ganzheitlicher Perspektive die professionellen Leistungen mit qualitätsabhängigen Tarifen am besten koordinieren können mit weniger Fehlanreizen, weniger Fehl- und Überbehandlungen und Übermedikation.

Im Gesundheitssystem, in welchem aktuell einige politische Exponenten einer Zweiklassenmedizin zuflunkern, sei ein Zugang ohne Diskriminierung und Rationierung, ohne sichtbare oder verdeckte Schlechterstellung älterer Menschen wichtig. Bei allen medizinischen Entscheidungen, insbesondere aber in der Palliativphase sei das Ernstnehmens des Willens älterer Menschen unabdingbar.

Nach dem Referat «hagelte» es Fragen aus dem interessierten Publikum, die Heinz Locher beantwortete, auch wenn er aus dem Hagelwetter mit seinem Realitätssinn nicht bloss Sonnenschein hervorzaubern konnte.

VASOS-Delegierte mit spannenden Fragen an Heinz Locher. Zum Schluss verabschiedeten die Delegierten eine Resolution, in welcher sie ein nationales Gesundheitsgesetz fordern (siehe Anhang).

Auch Seniorweb stellte dem Gesundheitsökonomen drei Fragen:

Seniorweb: Sie plädieren für Selbstverantwortung. Ist nicht ein elektronisches Patientendossier in die Hand des Patienten, der über vollständige Datenhoheit verfügt, ein wichtiges Instrument, um den blossen Profiteuren im Gesundheitssystem das Handwerk zu legen. Selbstverständlich wäre die Voraussetzung, dass ärztliche Rezepturen allgemeinverständlich sind und jeder Mensch die nötige Hilfestellung bekäme, um mit dem Patientendossier kompetent umzugehen.

Heinz Locher: Man kann darüber diskutieren, ob die Versäumnisse bei der Digitalisierung, allem voran der Flop mit den elektronischen Patientendossiers, absichtlich verursacht oder infolge der Unfähigkeit der Akteure entstanden sind. Tatsache bleibt, dass dies eine der grössten gesundheitspolitischen Fehlleistungen des vergangenen Jahrzehnts ist. Einschränkend ist festzuhalten, dass das elektronische Patientendossier zwar Grundlage vieler Verbesserungen werden kann, aber kein Zaubermittel ist.

Sie waren Mitglied der 14-köpfigen Expertengruppe, die unter Verena Diener 2017 38 Massnahmen zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen vorgeschlagen haben. Im August 2023 gaben Sie ein Interview zur Frage der Umsetzung dieser Massnahmen und nennen es ein «Trauerspiel» (s.u.). Ist dieses Trauerspiel beendbar, etwa wenn man daran denkt, dass die Gesundheitskommissionen des Parlaments von vielen Lobbyisten durchseucht waren und sein werden?

Die Hoffnung stirbt zwar – wie der Volksmund meint – zuletzt. Realistischerweise dürfen wir aber diesbezüglich keine Wunder erwarten. Fast alle Interessengruppen sind stark genug, ihnen unliebsame Veränderungen zu blockieren, aber nicht stark genug, ihre eigenen Anliegen durchzubringen. Das kann interessante Konstellationen ermöglichen, wenn zwei oder drei Akteure Pakete bilden: jede erhält ein Zückerchen und muss eine «Kröte» schlucken. Voraussetzung hierfür sind konsensorientierte Leader in den Fraktionen und ein Minimum an gegenseitigem Vertrauen. Beides fehlt zurzeit.

Sie sehen die Basis der Gesundheitsversorgung beim Einzelnen und seiner Wohnumgebung. Braucht es da nicht viel mehr Gesundheitsbildung der Einzelnen und besserer Coaching von seiten der professionellen medizinischen Fachpersonen hin zu den Laien vor Ort. Damit würde auch der verheerende Personalmangel im Gesundheitswesen  abnehmen – oder?

Die Gesundheitsbildung der meisten Menschen, ich schliesse mich da selbst in keiner Weise aus, ist noch stark verbesserungsfähig.
Eigenverantwortung wahrzunehmen ist ein Wert für sich. Deren vermehrte Wahrnehmung, verbunden mit Unterstützung durch das familiäre Umfeld, kann die Verschärfung des Personalmangels höchstens abmildern.

Dr. rer. pol. Heinz Locher (geb. 1943) war schon mit 28 Preisträger des Theodor Kocher Preises der Universität Bern in Anerkennung seiner Untersuchungen über das Pflegewesen in schweizerischen Spitälern. Es folgten Engagements im Gesundheitswesen beim Schweizerischen Roten Kreuz, im Gesundheitsdepartement des Kantons Bern, bei internationalen Organisationen, im Prüf- und Beratungswesen bei PricewaterhouseCoopers. Von 2001 bis 2020 war er in einer eigenen Firma tätig als Berater namentlich in den Bereichen Entwicklung und Regulierung des Gesundheitssystems, Strategiefindung sowie Allianzen und Fusionen. Mit 78 Jahren war er Mitbegründer der Care at Home Schweiz  GmbH, ist deren Gesellschafter und Mitglied der Geschäftsführung – eine Firma, um eine selbstbestimmte Lebensgestaltung im Alter zu ermöglichen. www.careathomeschweiz.ch

Das Interview mit Heinz Locher über die Umsetzung der 38 Massnahmen zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen ist zugänglich unter https://www.medinside.ch/ein-trauerspiel-20230813

Hier die Resolution der VASOS zu einer zukünftigen Gesundheitsversorgung: Resolution mit Einführungstext

Titelbild und Foto im Text von bs; Porträt von Heinz Locher zVg.

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1 Kommentar

  1. Angesichts seiner 50 Jahre Engagement im Gesundheitswesen und mit einem Fazit seiner Bemühungen: «ein Trauerspiel», müsste sich da Herr Dr. Locher nicht fragen, was er und seine Mitstreiter*innen in der Vergangenheit falsch gemacht haben? Tatsache ist doch, dass nicht nur die Kosten im Gesundheitswesen seit Jahren aus dem Ruder laufen und sich die Profiteure immer unverschämter auf Kosten der Patienten bereichern, sondern die Politik und die zuständigen Behörden keinerlei Anstalten machen, um unser krankes Gesundheitssystem zu reformieren. Von wegen Art. 41 der Bundesverfassung, Papier ist geduldig und guter Wille reicht auch in einer Demokratie nicht aus, um Verbesserungen umzusetzen.

    Herrn Lochers Zukunftsskizzen der Gesundheitsversorgung im Alter, obwohl nicht neu, kann ich nur befürworten. Nordische Länder in Europa haben dies für ihre Bevölkerung schon seit Jahren umgesetzt und grossen Erfolg damit. Man müsste also das Rad nicht neu erfinden, einfach nur anpacken und auf unsere Verhältnisse anpassen. Ob dies in absehbarer Zeit in der Schweiz gelingt, wage ich zu bezweifeln. Zu schwerfällig unser Foederalismus, zu konservativ die herrschenden Parteien, zu mächtig die Pharma und ihre Lobbyisten im Bundeshaus und anderswo, zu viele Profiteure in der boomenden Gesundheitsbranche, in manchen Betätigungsfeldern viel zu hohe Löhne der Ärzte und Ärztinnen sowie ein belastender und veralteter Bürokratismus.

    In der Schweiz hat das Volk das Sagen; dies jedenfalls suggeriert uns die Politik. Also warum lassen wir uns das weiterhin gefallen und bezahlen ohne grosses Aufmucken Jahr für Jahr immer mehr Krankenkassen-Prämien und überteuerte Medikamentenpreise und nehmen dabei auch noch eine schlechtere Versorgung in überfüllten Hausarztpraxen, Spitälern und Notfallzentren und eine bereits praktizierte Zweiklassenmedizin in Kauf? Pflästerli-Politik hatten wir jetzt zur Genüge. Patientenvertreter in Politik, Gewerkschaften und Organisationen sollten jetzt in die Gänge kommen und dafür sorgen, dass Mehrheiten entstehen, um die Missstände im Gesundheitswesen zu korrigieren und ein für alle bezahlbares und effizientes Gesundheitssystem installiert werden kann.

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