Überraschung für Kunstinteressierte: Eine Ausstellung im Bruder-Klaus-Museum Sachseln zeigt Grafik von M.C. Escher und Giuseppe Haas-Triverio, die um 1930 «Gemeinsam unterwegs» waren.
M.C. Escher ist mit seinen exakten Metamorphosen und verzerrten Treppen-Architekturen weltbekannt, Giuseppe Haas-Triverio dagegen selbst in seiner Obwaldner Heimat nur noch den älteren Leuten ein Begriff. Jahre nach seinem Tod liegt sein Nachlass nun geordnet, inventarisiert und digitalisiert vor. Und dabei kam ein wichtiger Missing Link zum Vorschein: «Unglaubliches Quellenmaterial» habe er entdeckt, sagt Kunsthistoriker Beat Stutzer, der rund drei Jahre mit dem Nachlass gearbeitet hat.
Giuseppe Haas-Triverio: Coculio, 8.6.1929. Bleistift auf Papier. Der ein Jahr später produzierte Holzschnitt ist seitenverkehrt, weil der Künstler das Papier entsprechend auf die Holzplatte übertrug. Das war ihm nicht wichtig.
Neben vielen Bildern, Holzschnitten, Briefen und anderen Artefakten sind zwei Oktavhefte mit Reisetagebüchern aufgetaucht. Darin steht, dass Haas-Triverio um 1930 zusammen mit Maurits C. Escher Kunstreisen unternommen hat. Dass sich die beiden begegnet sind, ist bekannt, denn beide lebten im selben Quartier Roms und beide verkehrten in Künstlerkreisen. Wie intensiv ihre Freundschaft war, weiss man nun dank der neu erschlossenen Dokumente.
Tagebucheintrag vom kurzen Aufenthalt in Palermo, wo Haas-Triverio und Escher am 23. April 1932 mit dem Schiff aus Neapel eintreffen.
Aber von vorn: Joseph «Seppli» Haas aus Sachseln, geboren 1889, lernte Flachmaler, absolvierte 1909 die Rekrutenschule und ging als Wandergeselle – damals noch üblich – ins Ausland. 1911 trat er eine Stelle im Hotel Excelsior in Rom an, wo er mit Unterbruch des Aktivdienstes in der Schweiz insgesamt zwölf Jahre als Dekoraktionsmaler angestellt war. 1919 heiratete er Secondina Triverio aus Norditalien, die ebenfalls im Hotel arbeitete, und nannte sich in der Folge auch nach der Rückkehr 1939 bis zu seinem Tod in Sachseln Giuseppe Haas-Triverio.
Giuseppe Haas-Triverio: Die Bleistiftzeichnung der Basilika San Francesco von Assisi…
Alle künstlerischen Techniken wie freies Zeichnen, Holz schneiden, mit Öl malen und so weiter hatte er sich autodidaktisch mit üben, lesen und Museumsbesuchen erarbeitet. 1923 beschloss er – unterstützt von seiner Frau und inzwischen Vater einer Tochter – als freier Künstler und Grafiker zu arbeiten.
… und der 1926 aufgrund der Zeichnung erstellte vierfarbige Holzschnitt, der die Betrachter mit all den Details herausfordert.
Eins seiner Meisterstücke ist in der Ausstellung von der Skizze bis zum Kunstwerk zu sehen: der vierfarbige Holzschnitt der Basilica San Francesco von Assisi aus dem Jahr 1926. Alle Druckstöcke sind in einer Glasvitrine ausgelegt, die Herstellung eines Holzschnitts für ein Publikum, das sich digital besser als mit Druckgrafik auskennt, in Einzelschritten beschrieben.
1922 hatte sich auch der 1898 in den Niederlanden geborene Maurits Cornelis Escher in Rom niedergelassen. Er hatte eine Ausbildung in grafischen Techniken abgeschlossen und konnte dank seiner vermögenden Familie freiberuflich leben.
Aus dem Fotoalbum der beiden Studienreisenden. Sie hatten Material zum Zeichnen dabei, der Sachsler dazu alles Nötige für die Ölmalerei.
Wann und wo sich die beiden erstmals begegneten liegt im Dunkeln, aber dass sie als Freunde zusammen Studienreisen unternommen hatten, dafür gibt es Belege: Die zwei Reisetagebücher von Giuseppe, sowie die vielen Fotos, die mit Maurits› Kamera geknipst wurden, und die Agenden, in denen Escher Daten und Orte vermerkte. Fünfmal sind sie zusammen losgezogen, in die Abruzzen 1929, nach Kalabrien 1930, auf die Insel Sizilien 1932, nach Korsika 1933, und erneut nach Sizilien und Malta 1935.
Giuseppe Haas-Triverio: Cesarò und der Ätna, der nur zwei Jahre vor der Sizilienreise ausgebrochen war. Bleistift auf Papier 1932
Maurits Cornelis Escher: Cesarò und der Ätna, Sizilien 1933. Holzstich, Privatbesitz © The M. C. Escher Company, Baarn, The Netherlands.
Kaum hatte Beat Stutzer die Entdeckung gemacht, meldete sich ein Filmteam aus Holland, weil es bei Recherchen zu einem Dokumentarfilm über Escher, der in Rom eine Schweizerin geheiratet hatte, auf den Künstlerfreund Giuseppe gestossen war. Die Zusammenarbeit brachte beiden Seiten erhellende Ergebnisse. Der Film M.C. Escher: Journey to Infinity von Robin Lutz kam 2018 in die Kinos, und nun ist die Ausstellung Gemeinsam unterwegs im Museum Bruder Klaus bis im August zu sehen. Die Coautorin des Drehbuchs, Marijnke de Jong, hat bei der Übersetzung der Tagebücher von Haas-Triverio ins Deutsche mitgewirkt.
Ausstellungsansicht mit einem erst jüngst der Stiftung geschenkten Ölbild des Doms von Cefalù, Sizilien, von Giuseppe Haas-Triverio, dessen Holzschnitt rechts davon hängt, darunter die Lithografie von M.C. Escher. Foto: Christian Hartmann
Dank der Austellung wird möglich, Haas-Triverio neu zu entdecken, nicht als lokalen Künstler in seiner näheren Obwaldner Umgebung, in der er von 1939 bis zu seinem Tod lebte, sondern als begabten Zeichner und Holzschnitt-Künstler während seiner italienischen Jahre. Ausserdem ist ein direkter Vergleich seiner Arbeiten mit jenen Eschers möglich: Bei den Studienreisen haben sie sich regelmässig die gleichen Motive vorgenommen, sassen zeichnend oft nahe beisammen. Gemeinsam waren sie auch im Zug, mit dem Esel oder zu Fuss unterwegs, gemeinsam genossen sie die jeweils lokale Küche und den Wein der Gegend und im gleichen Zimmer über der Gaststube legten sie sich schlafen.
Escher hat gern von einem erhöhten Standpunkt aus gezeichnet, während Haas-Triverio auch direkt an einem Strand mit Fischerbooten oder in den Gassen eines Städtchens eine Skizze anfertigte. Da sie beim Zeichnen meist nebeneinander sassen, sind fast deckungsgleiche Blätter entstanden. Die Ausbeute wurde jeweils in den Wintermonaten in ihren Römer Ateliers in einen Holzschnitt oder eine Lithografie umgesetzt. Nicht nur wegen der unterschiedlichen Technik sind aus denselben Motiven zwar ähnliche, aber doch eigenständige Papierarbeiten entstanden.
Giuseppe Haas-Triverio: Stilo, 1931, Holzschnitt
Giuseppe Haas-Triverio suchte eine Lösung nahe am Motiv, vertiefte die Schatten und das Licht in scharfe schwarz-weiss Kontraste. Den Vordergrund – in der Zeichnung meist nur angedeutet – gestaltete er passend mit Vegetation, Figuren setzte er aus seinem Fundus ein – immer wieder eine Frau mit Kind, einen Karren mit Esel und Mann, eine Lastenträgerin mit Korb auf dem Kopf. Keine Idyllen, aber auch kein flacher Realismus, sondern die poetische Umsetzung einer Zeichnung mit den Möglichkeiten des Holzschneiders.
Maurits Cornelis Escher: Cattolica von Stilo, Kalabrien, November 1930. Lithografie. © The M. C. Escher Company, Baarn, The Netherlands.
Maurits C. Escher realisierte geometrischere, abstraktere Lösungen, konzentrierte sich auf das Hauptmotiv und setzte es meist in die Bildmitte, während Haas-Triverio oft einen schwungvollen Rhythmus vom Bildrand her komponierte. Ein Beispiel ist der Dom von Cefalù.
In Eschers Blättern aus der italienischen Zeit wird deutlich, dass die späteren Metamorphosen hier ihre Grundlage gefunden haben. Auch die magischen Treppen haben in diesen steilen italienischen Städtchen ihre realen Vorbilder. Das Beispiel Scanno macht es augenfällig: Haas-Triverios Holzschnitt einer steilen Gasse unter einem gemauerten Torbogen sowie ausgetretenen Treppen ist sehr düster. Nur von links wird helles Licht an Mauern im Hintergrund geworfen. Die Gasse, die M.C. Escher abbildet, weist abwärts ins Offene eines Olivenhains, wobei es auf der wie ausgeräumt wirkenden Lithografie mehr Treppen gibt. Die bei beiden Künstlern vorhandene im Vordergrund rechts sitzende Figur könnte darauf hindeuten, dass dieselbe Gasse als Vorlage diente.
Ähnliches ergibt sich aus der Ansicht des Ätna mit dem Dorf Cesarò im Vordergrund: Bei Escher wird der Weg um das Häuserdickicht zur Mauer, die Landschaft an der Flanke des Vulkans ist in einer grafischen Fläche mit horizontalen Linien dargestellt, bei Haas-Triverio befinden sich auf der erwähnten Weg verschiedene Figuren aus seinem Fundus.
Wie diese gemeinsamen Reisen verlaufen sind, erschliesst sich weniger in der Ausstellung als vielmehr in der Begleitpublikation Gemeinsam unterwegs. Giuseppe Haas-Triverio & M.C. Escher. Herausgeber und Ausstellungsmacher Beat Stutzer erzählt aus seinen Recherchen und Beobachtungen bei der Aufarbeitung des Nachlasses von Haas-Triverio, das reiche Bildmaterial – Abbildungen der Grafiken und viele Fotos von unterwegs ergänzen einander – und die Reisetagebücher in deutscher Übersetzung geben einen Eindruck des Alltags der beiden Studienreisenden.
Die Gegenüberstellung samt den Tagebüchern und Fotos belegen: Haas-Triverio und Escher arbeiteten auf Augenhöhe. Heute ist dieser weltberühmt, jener beinahe vergessen.
Titelbild: Die beiden Künstler im Selbstporträt. Giuseppe Haas-Triverio, Holzschnitt o.J. (links), und Maurits C. Escher, 1943 © M.C. Escher (rechts)
Bilder: Stiftung Giuseppe Haas-Triverio
Bis 18. August
Die Ausstellung: Hier sind Infos zur Ausstellung im Museum Bruder Klaus, Sachseln
Das Buch: «Gemeinsam unterwegs. Giuseppe Haas-Triverio & M.C. Escher. hg von Stiftung Giuseppe Haas-Triverio, Sachseln. Mit einem kunsthistorischen Essay von Beat Stutzer und reichem Bildmaterial. Scheidegger & Spiess 2024, 49 Franken. ISBN 978-3-03942-184-8
Der Film: Robin Lutz «M.C. Escher: Journey to Infinity» 2018. Erhältlich als Stream auf Youtube.