StartseiteMagazinKulturDer «tumbe Thor» in der Welt

Der «tumbe Thor» in der Welt

Mit der «Götterdämmerung» wurde am Sonntag der Zürcher «Ring des Nibelungen» abgeschlossen. Nach Richard Wagners Auffassung sollte jeder der vier Teile in sich schlüssig sein. Deshalb hier eine Besprechung der «Götterdämmerung» als auch eine Betrachtung zur gesamten Tetralogie.

Es ist ein Bild, das hängen bleibt: Ein goldenes Bett, darauf die selig verklärte und doch bestimmt agierende Brünnhilde zusammen mit dem naiv strahlenden Siegfried. Zum Abschied eine fröhliche Umarmung, dann zieht der Held in die ihm fremde Welt. Ein starker Beginn eines bis zum Schluss intensiv und schlüssig agierenden und singenden Paares. Der Fokus von Andreas Homokis Regie liegt auf der Liebe dieses Traumpaares Camilla Nylund und Klaus Florian Vogt, die beide in der Tat keine Wünsche offenlassen.

Das «Traumpaar» Brünnhilde (Camilla Nylund) und Siegfried (Klaus Florian Vogt) nehmen Abschied. Der junge Held zieht in die böse Welt. (Alle Bilder Opernhaus Zürich/Monika Rittershaus)

Bei Andreas Homoki ist schon zu diesem Zeitpunkt klar, dass Siegfried den Machtgelüsten von Gunter und Hagen nichts entgegenzusetzen hat, weil er es nicht anders weiss. Wie schon im vorangegangenen «Siegfried» ist er nicht der Hauruck-Held, der alles zerschmettert, was sich ihm in den Weg stellt. Und so zieht er zu den Gibichungen, ohne zu realisieren, welches Ungemach da droht, obwohl der bürgerlich-wohlhabende Gunther hinterlistig unterwürfig dargestellt ist. Auch Hagen sieht man von Weitem an, dass er ein fieser Intrigant ist, der nur eines will, den Ring, also die Macht. Siegfried ist dafür blind und lässt sich von Hagen und Gunther instrumentalisieren.

Das machtgierige Böse in Reinkultur

Daniel Schmutzhard gestaltet die Rolle des Gunther formidabel, in seiner servilen Haltung und mit roten Haaren wirkt er wie eine Marionette seines Halbruders Hagen, obwohl sein heller, kräftiger Bariton eine andere «Sprache» zu sprechen scheint. Schlank, gross, schwarz gekleidet mit langen fadengeraden Haaren verkörpert Hagen das machtgierige Böse in Reinkultur, und als Publikum fragt man sich: «Warum realisiert Siegfried nicht, in welchem Hexenkessel er sich befindet?» Zumal David Leigh mit seinem schwarzen Bass so deutliche Signale setzt. Wenn auch etwas gar eindimensional.

Waltraute (Sarah Ferede) und Brünnhilde im Saal einer Villa aus der Gründerzeit, in der die ganze «Götterdämmerung» sich abspielt.

So kommt es zur Blutsbrüderschaft zwischen Siegfried und Gunther, die Archaik des Trinkhorns trifft auf die Dekadenz des mächtigen Grossbürgertums. Denn die Geschichte der «Götterdämmerung» spielt sich wiederum in den Innenräumen einer gründerzeitlichen Villa ab, die mittels Drehbühne verschiedene Inhalte von der Weltesche über goldene und weisse Betten bis hin zu Ledersofas präsentiert. Wobei das Neuzeitliche deutlich stärker vertreten ist. Denn wir sind ja bald am Ende der Geschichte angelangt.

Der schwierige mittlere Aufzug

Der Knackpunkt der reichlich verworrenen «Götterdämmerung» ist, wie immer, der mittlere Aufzug, der Verrat des mittels Tarnhelm als Gunther verkleideten Siegfried an seiner auf dem Felsen wartenden Brünnhilde. In dieser Inszenierung ein groteskes Verwirrspiel: Siegfried singt zuerst aus dem Off technisch verstärkt wie Samiel im «Freischütz», bevor er in seiner eigenen Kleidung mit Tarnhelm auf dem Kopf die Szene betritt. Dazu erscheint in des Helden Schlepptau Blutsbruder Gunther als puppenhafte Marionette. Ein pantomimischer Regie-Gag, der die Szene bewusst ad absurdum führen will?

Verwirrspiel mit der wartenden Brünnhilde, einem mit Tarnhelm verkleideten Siegfried, weiteren Protagonisten und dem Chor der Oper Zürich.

Aus dem Orchestergraben freilich kommen andere Töne, sausend und mächtig auftrumpfend, ohne viel Rücksicht auf die Singenden. Es rasen und johlen und jubilieren die «Mannen» am Hof, das Blech schmettert und die Streicher jagen, was das Zeug hält. Es grenzt an ein Wunder, dass die weichen, agilen und differenzierten Stimmen von Camilla Nylund und Klaus-Florian Vogt dabei nicht untergehen. Im Gegenteil, wie Camilla Nylund ihren Ärger, die Wut, das Unverständnis von Siegfrieds Verrat mit nie erlahmender Verve in der Stimme, aber auch mimisch darstellt, ist Extraklasse.

Viel Dramatik und laute Töne

Dass Gianandrea Noseda am Pult der Philharmonia Zürich die Dramatik und laute Töne liebt, ist hinlänglich bekannt, hat er es doch immer wieder bei der Interpretation von Wagner Opern demonstriert. Doch in der «Götterdämmerung» überspannt er den Bogen und konterkariert damit die Intimität, das Kammerspiel, das sich auf der Bühne abspielt. Auch Wagner ist in seiner Musik nicht nur der Kraftmeier, sondern der subtil mit Klangfarben und Dynamik spielende Meister des Instrumentalen.

Glanzlichter in dieser Hinsicht setzten im Mittelakt der Alberich von Christopher Purves, der mit klarer Diktion und leiser Bestimmtheit seinen Sohn Hagen auf die Spur des Bösen einschwört, sowie Sarah Ferede als Waltraute, die in einer anrührenden Szene ihre Walkürenschwester vergeblich vor eben diesem Unheil zu warnen versucht. Auch die lachenden und springenden Rheintöchter in ihrem Marilyn Monroe-Look sorgen für witzige Zwischennoten im rabenschwarzen Geschehen. Und Klaus Florian Vogts Vogel-Erzählung im dritten Aufzug wird zum reinsten Ohrenschmaus.

Homoki bleibt seiner Inszenierungslinie zusammen mit seinem Ausstatter Christian Schmidt treu bis zum Schluss, mit einer Drehbühne, bei der die verschiedenen Szenenverwandlungen unschwer zu bewerkstelligen sind. So jedenfalls dachte man am Anfang des Abends. Doch dann gibt es plötzlich schwarze Zwischenvorhänge, die in diesem Szenario irritieren. Etwa zu Siegfrieds Trauermarsch, womit szenisch der unheilvolle Pomp, den die Nazis einst als Totenklage für ihre SS-Männer zelebrierten, gebrochen wird.

Dramatische Schlussansprache von Brünnhilde – die Drehbühne machr schnelle Szenenwechel möglich.

Und dann folgt die Schlussansprache von Brünnhilde, «Starke Scheite schichtet mir dort». Sie beginnt mit einer anrührenden Rückblende auf die Liebe zu Siegfried. Mittels Drehbühne erscheint dieser nochmals – tot – auf dem goldenen Bett, wird in Zeitlupe lebendig und streift seinem «Weib» liebevoll den Ring an ihren Finger. Vorhang runter. Dann folgen die Rheintöchter. Vorhang runter. Dann die brennende Weltesche mit einem brennenden Siegfried. Vorhang runter, usw.

Nicht weniger als vier Mal geht’s rauf und runter, bis am Ende die leere Villa mit offenen Türen und Fenstern übrigbleibt. Dass damit die von Nylund grossartig gesungene Brünnhilden-Ansprache auseinandergerissen wird, scheint Nebensache. Es ist, als wenn Homoki sich nicht für ein einziges schlüssiges Ende entscheiden konnte oder wollte, um seinen «Ring» zu vollenden. Und so bleibt es bei der (gewollten?) Ratlosigkeit.

Die bürgerliche Welt im Mittelpunkt

Mit der Frage nach dem grossen Bogen und dem Ende der Tetralogie ist jede Inszenierung des «Ring des Nibelungen» konfrontiert, so auch die Zürcher Version. «Von der Welt Anfang und Ende» erzähle sein «Ring», hatte Wagner einst geschrieben. Andreas Homoki stellt in seinen Inszenierungen die bürgerliche Welt in den Mittelpunkt des Geschehens. Die diese Gesellschaft verkörpernden Götter und Menschen verschwinden am Ende von der Bildfläche, aber geht mit ihnen auch die gesamte Lebenswelt unter?

Abschied von Siegfried – und gleichzeitig Abschied vom «neuen Zürcher Ring» unter der Regie von Andreas Homoki.

Über alle vier Teile hinweg setzt Homoki konsequent auf die Charakterisierung der Figuren, die er lebendig werden lässt. Und das ist eine der grossen Stärken dieses neuen Zürcher «Rings»: die Intimität, das Kammerspiel, das hier gepflegt wird. Der Regisseur will zusammen mit der Dramaturgie (Beate Breidenbach und Werner Hintze) keine neue Deutung erfinden, etwa als Netflix-Serie wie Valentin Schwarz im aktuellen Bayreuther Ring. Homoki orientiert sich stark an Wagners Vorlagen und an dem Entstehungsort im bürgerlichen Zürich, wo der Komponist neun Jahre seines Lebens verbrachte. Es ist eine wohltuende Brechung innerhalb des überbordenden Regietheaters, die Zürich hoffentlich noch eine Weile erhalten bleibt.

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